Klimakrise und Muslime "Die Energiewende steht schon im Koran"
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutschland steht diese Woche im Zeichen des Klimaschutzes. Und was machen die Muslime? Unsere Kolumnistin weiß es: Der Schutz der Umwelt steht schon im Koran.
Morgen soll die Welt gerettet werden. Die Fridays-for-Future-Bewegung ruft zur internationalen Großdemo auf und das Klimakabinett der Bundesregierung fasst seine Beschlüsse. Seit Wochen geistern verschiedene Vorstellungen durch den Raum, was alles getan werden könnte – vom baldigen Kohleausstieg über CO2-Bepreisung bis zum Neubau von Ladesäulen für Elektroautos. Es ist schwer, den Überblick zu behalten, noch schwerer, die einzelnen Vorschläge hinsichtlich ihres Nutzens, ihrer Effizienz und Nachhaltigkeit einzuschätzen.
Doch unabhängig von der Komplexität des Themas verändern die Diskussionen darüber bereits unsere Gesellschaft. Selbst das Auto scheint inzwischen den Weg vom Fetisch zum Hassobjekt der Deutschen einzuschlagen. Während mancher SUV-Besitzer sich bereits fragt, ob es noch richtig ist, so ein großes Auto zu fahren, sehen sich andere bereits verschämt um, ob Nachbarn sie beobachten, wenn sie zum Brötchenkauf ihren Zweitonner wie einen Audi Q8 starten.
Steigende Temperaturen und die Pilgerreise nach Mekka
Der Papst prangerte jüngst mit ungewöhnlich deutlichen Worten Naturzerstörung und Raubbau an. "Man muss die Umwelt verteidigen, die Biodiversität, die unser Leben ist. Den Sauerstoff, der unser Leben ist!", sagte Franziskus. Im britischen "Guardian" appellierte die muslimische Kolumnistin Remona Aly: Es sei Zeit für Muslime, der Klimabewegung beizutreten. Die steigenden Temperaturen in Saudi-Arabien gefährdeten die muslimische Pilgerfahrt nach Mekka, argumentierte sie.
Man muss gar nicht so lange warten. Die islamische Welt ist längt von Umweltzerstörung und -verschmutzung massiv betroffen. Indonesien versinkt in Abfallbergen, Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten führen die Listen der CO2-Emissionen pro Kopf an. Angesichts dessen gibt es bereits einige laute Stimmen, die zur Umkehr aufrufen – und das schon länger. Vor vier Jahren wurde in Istanbul eine "Islamische Erklärung zum Klimawandel" verabschiedet.
Marokkos König zum Beispiel versucht, die Energiewende in seinem Land voranzutreiben. Fazlun Khalid gründete 1994 in Großbritannien die "Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences" (IFEES). Der Philosoph und Theologe Seyyed Hossein Nasr fordert in zahlreichen Schriften die Vorstellungen einer anthropozentrischen Weltordnung heraus und stellt ihr das kosmologische Gleichgewicht aus Flora, Fauna, Mensch und dem Rest der Schöpfung gegenüber.
Weltweit engagieren sich Musliminnen und Muslime für die Umwelt. Sie verbreiten die Idee des "Öko-Islams", verweisen auf die Verankerung des Themas im Koran, und sprechen von einer "grünen Religion", die die Gläubigen zu einem harmonischen Leben mit der Natur anleitet. Es gibt sogar Workshops zu Koran und Klima. "Liest man zwischen den Zeilen, stehen die Gebote der Energiewende schon im Koran", sagte ein Seminarleiter in Marokko der Journalistin Susanne Götze für das Portal "klimafakten.de".
Auch in Deutschland denken muslimische Menschen laut über Umwelt- und Tierschutzfragen nach. Eine der prominentesten Stimmen ist die Autorin Hilal Sezgin. Der Liberal-Islamische Bund lud zum Opferfest in den Wald, um Müll einzusammeln und die Natur zu schützen, statt Teile daraus zu opfern.
Dennoch muss man insgesamt konstatieren: Eine breite Bewegung unter deutschen Muslimen gibt es bislang nicht. Aufrufe zur Teilnahme an den Fridays-for-Future-Demos sind mir nicht bekannt. Im organisierten Islam in Deutschland spielt Umwelt nur am Rande eine Rolle, etwa beim deutschen Ableger der umstrittenen Gülen-Bewegung, die an diesem Wochenende ein Forum für Jugendliche zum Thema Umwelt- und Klimaschutz in Berlin veranstaltet.
Dabei sind die Ansätze für eine islamische Umweltethik schon Jahrhunderte alt. Themen, die Umwelt-, Natur- und Tierschutz berühren, werden von Muslimen seit dem Mittelalter in der Literatur verhandelt. Heutige Umweltaktivisten könnten zum Beispiel auf die Schriften der Lauteren Brüder von Basra (Ikhwân al-safâ’), einem Kollektiv anonymer Philosophen vor dem 10. Jahrhundert, zurückgreifen; oder auf die kosmologischen und naturphilosophischen Überlegungen bei Ibn Sina alias Avicenna; auf die humangeografischen Erkenntnisse von Abu l-Hassan al-Mas´udi oder die frühen Gedanken zur Evolution des Universalgelehrten Abu l-Raihân al-Birûnî oder des Ethikers Miskawaih, die den Einfluss der Umwelt auf Lebewesen und ihre graduelle Weiterentwicklung erkannt hatten. Anknüpfungspunkte finden sich zudem in der wunderbaren arabischen Naturdichtung, die Flüssen, Auen, Wüsten, Blumen, Tieren mit detailreichen und ausgefeilten Beschreibungen schon vor dem Islam poetische Denkmäler gesetzt hat.
Sündhaftes Verhalten
Der Koran lehrt nach Auffassung der meisten Theologinnen und Theologen, dass jedes Leben beseelt ist und in seiner Existenz Gott lobpreist; manche Gelehrte behaupten das sogar über unbelebte Materie. Dadurch wird eine direkte Beziehung zwischen Gott und allem "Erschaffenen" postuliert. Greift der Mensch in diese Beziehung ein, also vernichtet er Wälder, verpestet er das Klima, quält er Tiere, vermüllt er den Weltraum, pfuscht er folglich ins Werk des Schöpfers. Ein sündhaftes Verhalten. Ähnliches lässt sich aus dem Verständnis von Bergen, Tälern, Ebenen, Meeren als Zeichen Gottes ableiten, deren Bewahrung eine gottesdienstliche Handlung darstellt.
Und schließlich ist der Mensch laut Koran als Statthalter Gottes (khalîfa-Gedanke) eingesetzt und somit zum Hüter der Erde bestimmt worden (etwa Sure 2:30). So lassen sich zahlreiche Koranverse heute in Richtung Umwelt- und Naturschutz auslegen.
Solche Vorstellungen werden durch Erzählungen etwa vom Propheten Salomo (koranisch Sulaimân) bestätigt. Salomo verstand die Sprache der Tiere und ließ seine Armee anhalten, um ein Ameisenvolk nicht zu gefährden. Ein anderer Bericht sieht in der nickenden Kopfbewegung des Wiedehopfs einen Akt des Gotteslobs.
Die wohl berühmteste Überlieferung über den Propheten Muhammad in diesem Zusammenhang prangert die Verschwendung an. Muhammad beobachtete demnach einen Mann, der sich an einem Fluss wusch, um sich für das rituelle Gebet vorzubereiten. Als der Mann das benutzte Wasser achtlos ans Ufer schüttete, tadelte er ihn und hielt ihn an, das Wasser wieder in den Fluss zu gießen, statt es zu vergeuden.
Wenn nun Imame bei ihren Freitagspredigten von Schleswig-Holstein bis Bayern dazu aufriefen, Klima und Umwelt zu schützen, wäre das als zusätzlicher Motivationsfaktor gewiss hilfreich. Fazlun Khalid zufolge gelang es, Fischer auf Sansibar mithilfe des Korans davon abzubringen, Dynamit in die Korallenriffe zu werfen; dazu waren sie übergegangen, um angesichts der Überfischung noch die letzten Bestände zu erbeuten. Weil andere Umweltschützer hier zuvor gescheitert waren, versuchte es Khalid mit der Überlegung: Wenn sie schon nicht staatlichen Vorgaben folgen, dann vielleicht Gottes Geboten.
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Ob man sich jedoch auf die Religion versteifen sollte, um das Umweltbewusstsein zu schärfen, darf bezweifelt werden. Der Schutz des eigenen Lebensraums muss ein Ergebnis der Vernunft sein, nicht bloß religiöser Gebote. Denn sollte der Glaube mal nachlassen oder sich jemand ganz vom Islam abwenden, wird er dann wieder zum Umweltsünder?
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.