Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.In der Sommerhitze Kampfzone Freibad – Männer machen die Ansagen
In deutschen Schwimmbädern zeigen sich die Folgen des Rückzugs des Staats. Zu teuer, zu teuer, zu teuer! Das rächt sich.
Es wird wieder heiß und Deutschlands Freibäder drohen, erneut zu Kampfzonen zu werden. Die Nervosität der Badbetreiber steigt. Zwar gibt es keine seriösen Zahlen oder Erhebungen, aber wenn wir die jüngsten Vorfälle und die Erfahrungswerte des Bundesverbandes Deutscher Schwimmmeister sowie eigene Beobachtungen zur Grundlage nehmen, sind es in der Tat oftmals junge Männer mit orientalischer oder südeuropäischer Herkunft, die in Freibädern für Stress und Ärger sorgen. Dabei treten sie oft in größeren Gruppen auf und präsentieren sich mit aufdringlichem Machogehabe.
Wenn Angst um sich greift
Die Tatsache, dass rassistische Hetzer und rechte Scharfmacher solche Beobachtungen nutzen, um Stimmung gegen Menschen zu machen, die in ihren Augen fremd sind, darf nicht davon abschrecken, sich einmal offen mit dem Thema zu befassen. Denn wenn Angst um sich greift und sich Familien mit Kindern, Senioren oder Jugendliche nicht mehr ins Schwimmbad trauen, stehen wir vor einem gesellschaftlichen Problem, dem man sich stellen sollte.
Erziehung in Familien mit Wurzeln zum Beispiel in einem südeuropäischen, nahöstlichen oder nordafrikanischen Kulturkreis ist vergleichsweise häufiger darauf ausgerichtet, Jungs mehr Freiheiten zu gestatten als Mädchen. Darauf weisen seit Längerem verschiedene Studien hin, wie die des Dortmunder Erziehungswissenschaftlers Ahmet Toprak.
Klassische patriarchale Grundeinstellungen
Durch diesen Erziehungsstil wird mitunter ein Frauenbild weitergegeben, das sich aus klassischen patriarchalen Grundeinstellungen speist: Männer sind das starke Geschlecht und machen die Ansagen, Frauen sind das schwache Geschlecht und haben zu funktionieren. Solche Haltungen werden häufig bei Mitgliedern sozial benachteiligter Familien besonders schnell sichtbar.
Auffällig wirkt zudem das Auftreten in Gruppen. Geselligkeit ist typisch für eine südländische Lebensart. Das überträgt sich auf viele Jugendliche. Sie machen ihr Ding gerne in größeren Gruppen – auch ins Freibad gehen.
Im Freibad prallt alles aufeinander
Im Freibad, insbesondere an richtig heißen Tagen über 30 Grad, wenn Schwüle und Hitze ganz allgemein die Gereiztheit mancher Menschen steigert, Becken und Liegewiesen heillos überfüllt sind, kommt es vor, dass erzieherische Vorgaben oder sozialisierte Verhaltensweisen stärker zum Ausdruck kommen. Im Freibad prallen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und allen Altersklassen, die sonst wenig miteinander zu tun haben, aufeinander.
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Der Anblick von Frauen und Männern, spärlich bekleidet in Badehose, Badeanzug oder Bikini, lässt Hormone aufkochen, löst Balzgehabe und Hahnenkämpfe aus. Verliebte Pärchen, innig verschlungen und küssend auf ihren Badetüchern, wecken sexuelles Verlangen. Freibäder sind da ähnlich wie Diskotheken, wo es ebenfalls um gutes Aussehen und das Präsentieren des eigenen Körpers geht, was andere wiederum animiert. Wenn dann noch Alkohol oder Drogen konsumiert werden, kocht das Blut leicht mal über. So weit, so normal.
Wer provoziert, wer reagiert?
Solche Verhaltensmuster lassen sich in einer pluralistischen Gesellschaft keiner Gruppe von Menschen fest zuschreiben. Auch wenn es den Anschein hat, die einen seien mehr als die anderen davon betroffen, wäre es falsch, die Ursache zu kulturalisieren und das Phänomen zum Migrantenproblem zu erklären. Menschliches Verhalten lässt sich nie eindimensional begreifen. Südländisches Temperament ist nicht automatisch gleichzusetzen mit Geringschätzung von Frauen, nördliches nicht mit Wertschätzung von Frauen. Jeder, der hin und wieder ein westfälisches oder rheinisches Schützenfest besucht hat – nachdem der Vogel abgeschossen wurde –, weiß das.
Zudem ist die Kulturalisierung eines gesellschaftlichen Verhaltens kontraproduktiv. Sobald das geschieht, haben wir automatisch eine Debatte über Rassismus und Nazikeulen, die von der Problemlösung ablenkt.
Nicht immer gehen Provokationen von Südländern aus. Die verbreiteten Vorurteile gegen sie und die zunehmend salonfähiger werdenden völkischen Denkmuster können gleichfalls Auslöser sein. Im Rheinbad Düsseldorf zum Beispiel soll ein Familienvater Jugendliche als sogenannte "Nafris" – abwertend für Nordafrikaner – beschimpft haben.
Die Familien sind gefragt
Der übereifrige Spruch eines Seniors, der sich von Spritzwasser gestört fühlt, hier, dort die abfällige Geste einer Seniorin, die sich darüber ärgert, dass ein Jugendlicher ihre Bahn kreuzt. Auch ein Bademeister, angesichts vieler Streitigkeiten mit Jugendlichen vielleicht ein gebranntes Kind, reagiert ab und zu über und provoziert so wütende Gegenreaktionen. Schnell gibt ein Wort das andere, Umherstehende mischen sich ein, die Situation eskaliert.
Die ausartenden Konflikte in Freibädern sind auch eine Manifestation gegenwärtiger gesellschaftlicher Spannungen zwischen Ausgrenzen und sich ausgegrenzt Fühlen. Aufklärung ist da ein erster Schritt, um sie effektiv angehen zu können. Lösen lassen sie sich weder von heute auf morgen noch mit einer Einzelmaßnahme. Gesellschaftliche Konflikte sind immer komplex.
Zunächst sind die Familien gefragt. Aus früherer Perspektive mag es seltsam klingen, aber heute müssen Eltern mit ihren Kindern sprechen, bevor sie erstmals allein ins Schwimmbad gehen. Sie müssen sie für die möglichen Gefahren sensibilisieren und sie zum korrekten Verhalten anhalten: nicht provozieren, sich nicht provozieren lassen, nicht pöbeln, Streit aus dem Weg gehen. Außerdem muss sich jeder selbst vergegenwärtigen: Je heißer der Tag, je voller das Schwimmbad, desto höher das Risiko für Streit, desto mehr Toleranz muss jeder Einzelne aufbringen.
Freibäder sind nicht überall gleichermaßen betroffen. Es gibt Unterschiede zwischen jenen auf dem Land und in der Stadt und dort zwischen jenen in Münster oder Berlin. An sozialen Brennpunkten muss mehr getan werden. Der Berliner FDP-Politiker Marcel Luthe schlug jetzt vor, über den Sommer Polizeieinheiten für die Sicherheit in Bädern aufzustellen. Darüber kann man nachdenken, es scheint aber überzogen zu sein.
Es muss auch durchgegriffen werden
Manche Schwimmbäder brauchen jedoch ähnlich wie Diskotheken Sicherheitspersonal. Laut einer Umfrage des WDR greifen auch immer mehr Bäder darauf zurück. Bei der Personalauswahl bietet es sich an, auch auf Bewerber mit ausländischen Wurzeln zu achten.
Zudem müssten sich die Schwimmbadbetreiber verstärkt um mehr Mitarbeiter bemühen. Laut BDS fehlen mehr als 2.500 Bademeister. Dabei handelt es sich um einen interessanten Ausbildungsberuf zwischen technischen Fragen wie Wartung von Anlagen und Garantieren der Wasserqualität bis zu sozialpädagogischen Anforderungen wie Animation und eben Deeskalation.
Dort, wo Aufklärung und Ermahnung an ihre Grenzen stoßen, muss härter durchgegriffen werden, um Gewalt im Keim zu ersticken. Dazu gehören Hausverbote wie es sie für Hooligans in Fußballstadien gibt. Die Restriktionen müssen konsequent durchgesetzt werden.
Allerdings darf es dabei nicht zu Diskriminierungen kommen. Wenn Jugendliche bereits aussortiert werden, nur weil sie dunklere Haut und/oder schwarze Haare haben oder gebrochenes Deutsch sprechen, werden die Probleme verschärft und verlagert. Die Verantwortlichen müssen gegebenenfalls eigene Vorurteile in den Griff bekommen. Ganz generell könnten Städte und Gemeinden Ombudsleute benennen, an die man sich wenden kann, wenn man sich im öffentlichen Raum ungerecht behandelt fühlt.
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Abschließend zeigt sich in der Schwimmbadproblematik der Rückzug des Staats. Seit Jahren werden Schwimmbäder geschlossen, alternative Jugendangebote verschwinden. Zu teuer! Wenn plötzlich nur noch ein Schwimmbad zur Verfügung steht, in das sich an heißen Tagen alle auf einmal drängen; wenn ein Freibad im Sommer das einzige niedrigschwellige Freizeitangebot in der Umgebung ist, das sich Jugendliche aus sozial schwächeren Familien ebenso leisten können, dann läuft in der Städteplanung etwas falsch. Und das rächt sich. Auf vielen Ebenen. Unter anderem im Freibad.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.