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Wahlchancen in Sachsen
"Listen-Schlappe schadet AfD vielleicht gar nicht"


05.07.2019Lesedauer: 4 Min.
Die Liste der AfD in Sachsen ist wegen Formfehlern zusammengestrichen worden. Das hat am Wahlabend aber vielleicht kaum Auswirkungen.Vergrößern des Bildes
Die Liste der AfD in Sachsen ist wegen Formfehlern zusammengestrichen worden. Das hat am Wahlabend aber vielleicht kaum Auswirkungen. (Quelle: imago-images-bilder)

Die AfD Sachsen muss nach der Ablehnung ihrer Landtagswahlliste auf viele Direktmandate hoffen: Bis zu 40 Kandidaten haben dabei Chancen, schätzt ein Experte für Wahlkreisprognosen.

Der Freitag war kein guter Tag für die AfD und ein guter Tag für Valentin Blumert. Er erstellt mit seinem Unternehmen Wahlkreisprognosen – und diese waren selten so gefragt wie nach der Entscheidung des Wahlausschusses in Sachsen. Denn das Abschneiden dort spielt eine große Rolle nach dem Votum des Wahlausschusses.

Der hatte entschieden, dass auf der Landesliste der Partei nur 18 Namen statt wie eingereicht 61 stehen werden. Wegen erheblicher Formfehler bei der Aufstellung hat der Wahlausschuss die Kandidaten 19 bis 61 gestrichen. Sie waren an einem zweiten Termin mit einem veränderten Verfahren gewählt worden.

Die Direktkandidaten in den Wahlkreisen können dennoch antreten. Und auf die wird es für die Partei bei der Landtagswahl nun ankommen. Wenn die AfD nur wenige Direktmandate gewinnt, könnten ihr wegen der Listenpanne bei einem guten Zweitstimmenergebnis Plätze im Landtag verloren gehen. Prognose-Experte Blumert hilft bei der Frage, wo die AfD mit Siegen rechnen kann. "Aktuell gibt es in Sachsen 22 Wahlkreise, die völlig offen sind. Das sind enorm viele."

Die AfD liegt in den Umfragen bei etwa 26 Prozenten der Zweitstimmen nach 9,7 Prozent bei der Wahl 2014. Damals hatte sie 14 Sitze geholt, der aktuelle Werte könnte bis zu 36 Abgeordnete bedeuten.

Modellrechnung: Acht Mandaten wären verloren

Wenn die AfD aber wenige Direktmandate gewinnt, wird sie bei einem guten Wahlergebnis eigentlich an sie gehende Abgeordnetensitze nicht besetzen können. In einer Modellrechnung von Blumert sind das acht verschenkte Mandate.

In diesem Szenario für den schlechtesten Fall aus Sicht der AfD prognostiziert der Berliner ihr immer noch 16 gewonnene Direktmandate. Wahlkreisgewinner ziehen in jedem Fall ein. Wenn eine Partei mit ihrem Landesergebnis mehr Mandate erringt, als sie Direktmandate gewinnt, kommen Kandidaten von der Liste zum Zug.

Doch von den 16 Wahlkreisgewinnern in der Prognose stehen sechs auch auf der Liste. Das heißt: Es blieben dort noch zwölf, die ein Mandat antreten könnten. Macht zusammen 28. Bei 26 Prozent für die AfD könnte sie eigentlich 36 Mandate besetzen. Es würden bis zu acht ihrer Mandate verfallen. Dabei sind Effekte durch Überhang- und Ausgleichsmandate nicht berücksichtigt. Sie wäre aber auch in diesem Szenario verglichen mit der Wahl 2014 immer noch der große Wahlgewinner.

Listenkandidaten können bedeutungslos sein

Gewinnen Parteien viele Direktmandate, kann die Liste auch völlig bedeutungslos sein, weil alle zustehenden Mandate bereits über Wahlkreisgewinner vergeben sind. Das kann bei der AfD der Fall sein: "Die Schlappe vor dem Wahlausschuss schadet ihr vielleicht gar nicht. Nach unseren Prognosen könnte die AfD aktuell im für sie besten Fall 40 Wahlkreise direkt gewinnen."

Sie würde dann 40 Abgeordnete stellen können, die Liste würde gar keine Rolle spielen. Das Szenario, dass alle engen Wahlkreise tatsächlich an die AfD gehen, ist aber unrealistisch – ebenso wie der für die AfD schlechteste Fall.

Was Blumerts aktuelle Prognose noch nicht berücksichtigt: Welche Effekte hat die Entscheidung des Wahlausschusses auf die Sachsen? Wählen sie jetzt anders mit ihrer Erststimme, weil die noch wichtiger geworden ist? Einen solchen Möglichkeit kann sich etwa Wilko Zichert von "wahlrecht.de" vorstellen: "Es wird vermutlich Aufrufe geben, in den potentiellen AfD-Wahlkreisen mit der Erststimme den aussichtsreichsten Gegenkandidaten zu wählen, um ein AfD-Direktmandat zu verhindern."

Taktisches Wählen gegen AfD-Bewerber?

In allen Dresdner und Leipziger Wahlkreisen könnten solche Aufrufe und ein starkes Splitting von Erst- und Zweitstimme auch dazu führen, dass Grüne oder Linke Wahlkreise gewinnen, in denen bisher AfD und CDU vorne liegen, so Blumert. In den meisten Fällen ginge es aber um eine Unterstützung von CDU-Kandidaten, weil nur die Aussicht hätten, AfD-Bewerber zu schlagen.

Bereits am Freitag gab es entsprechende Überlegungen zu taktischem Wählen in sozialen Netzwerken. Dazu posteten Nutzer Übersichten von wahlkreisprognose.de, welche Wahlkreise eng sind. Die neue Prognose lag da noch nicht vor.

Methode für Prognosen nicht nachvollziehbar

Der "wahlkreisprognose.de"-Verantwortliche Blumert ist noch Student, hat in der Vergangenheit bei einem Umfrageinstitut gearbeitet und nach seinen Angaben vor wenigen Tagen ein Einzelunternehmen gegründet hat. Er bekommt für seine Webseite von Experten Anerkennung, es gibt aber auch kritische Stimmen, die die Methodik hinterfragen. "Das kann man kritisieren, und ich finde auch den Austausch wichtig", so Blumert. Das Splitting von Erst- und Zweitstimme seien in der Politikwissenschaft etwa noch nicht hinreichend untersucht.

Die genaue Ermittlung der Werte legt wahlkreisprognose.de nicht offen. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Mit seinen Modellen glaubt Blumert aber, den Ausgang gut projizieren zu können. Dafür fließen die Ergebnisse früherer Wahlen, aktuelle Umfrageergebnisse, demoskopische Veränderungen und Trends ein. "So machen sich die starken Verluste der großen Parteien bei den Zweitstimmen stärker bemerkbar, CDU-Bewerber werden mit der Erststimme noch eher verschont."

Solche Trends fließen in die Auswertung ein, dazu in einigen Fällen auch subjektive Bewertungen: Wenn ein besonders populärer Kandidat nicht mehr antritt, hat das Effekte. "Diese Kandidateneffekte sind aber nicht bei allen prominenten Kandidaten zu beobachten, sie treten häufig bei Amtsträgern."


In Sachsen könne es erstmals bei einer Landtagswahl dazu kommen, dass die CDU mehr Erst- als Zweitstimmen bekomme. Die Spanne für die Direktmandate an die CDU sieht er noch größer als bei der AfD: zwischen 14 im schlechtesten und 54 im besten Fall. Die Linke hat in seiner Prognose aktuell auf bis zu vier Direktmandate Chancen, die Grünen könnten acht oder neun erreichen. Die SPD hat keinen möglichen Gewinner-Kandidaten.

Verwendete Quellen
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