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Harder-Kühnel fällt als Bundestagvize durch: Ein Skandal oder nicht?


AfD-Kandidatin fällt als Vizepräsidentin durch
Ein Skandal oder nicht? Diese Frage ist besonders heikel

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 05.04.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Mariana Harder-Kühnel: Der AfD steht rechtlich kein Posten als Bundestagvizepräsident zu. Auch andere Parteien mussten auf das Amt lange warten.Vergrößern des Bildes
Mariana Harder-Kühnel: Der AfD steht rechtlich kein Posten als Bundestagvizepräsident zu. Auch andere Parteien mussten auf das Amt lange warten. (Quelle: Axel Schmidt/reuters)

Mariana Harder-Kühnel wird dreimal als Vizepräsidentin des Bundestags abgelehnt. Die AfD tobt, doch CDU und Co. sind im Recht. Trotzdem tut sich unsere Kolumnistin mit einer Bewertung des Wahl-Theaters schwer. Und Sie?

Kolumnen oder Kommentare sind dazu da, die Meinungsbildung zu unterstützen. Einige stimmen dem Gesagten zu, andere lehnen es ab. Im besten Fall finden beide Seiten darin Argumente für ihre jeweilige Position. Manchmal regt ein Kommentar sogar neue Denkansätze an, manchmal bekräftigt er nur eigene Überzeugungen.

Dazu wäre es natürlich hilfreich, wenn sich die Kommentatorin oder die Kolumnistin eine klare Haltung überlegt hat. Leider kann ich damit heute nicht so recht dienen, denn die Frage, ob die anderen Parteien im Bundestag gestern die Kandidatin der AfD ins Vizepräsidentenamt des Parlaments hätten wählen sollen oder nicht, ist heikel.

Nach der Bundestagswahl bestand die Problematik ursprünglich in dem Kandidaten, den die Partei aufgestellt hatte: Albrecht Glaser. Seine offen vorgetragene Islamfeindlichkeit und seine Äußerungen zur Religionsfreiheit sind untragbar. Seine Wahl wäre ein Skandal gewesen. Ein demokratischer Kandidat muss einigermaßen akzeptabel sein.

Kein rechtlicher Anspruch auf das Vize-Amt

Gestern nun hat mit der neuen Kandidatin Mariana Harder-Kühnel eine Frau zum dritten Mal kandidiert, der, außer dem Vorwurf in der AfD zu sein, bislang keine besonderen Vorhaltungen gemacht wurden. Dennoch scheiterte sie.

Das Hauptargument gegen ihre Wahl ist nun allgemeiner Natur: Dadurch werde eine Normalisierung der AfD vorangetrieben. Eine Partei, die vielfach eine rassistische und völkische Politik betreibt und die Verbrechen der Nazi-Zeit verharmlost, darf auf deutschem Boden keine Normalität werden.

Ferner gibt es anscheinend keine zwingenden rechtlichen Gründe für die Wahl einer Person. Es mag bislang gute Praxis gewesen sein, aber Juristen weisen darauf hin, dass der rechtliche Anspruch auf das Amt nicht unbedingt übergeordnet ist. Die Geschäftsordnung des Bundestags mag vorsehen, dass jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist. Dem Grundgesetz zufolge bilden die Abgeordneten jedoch keinen Abnickverein, sondern sind "nur ihrem Gewissen unterworfen" und sollten bei so grundlegenden Fragen auch danach handeln.


Davon abgesehen: eine Vertreterin einer in Teilen antidemokratischen Partei mit Björn Höckes, Wolfgang Gedeons, Jens Maiers, Albrecht Glasers in ihren Reihen, die ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist, als Repräsentantin der Herzkammer der Demokratie zu wählen, klingt irgendwie absurd. Auch das Argument, die Partei sei nun einmal in einer demokratischen Wahl gewählt worden, zieht nicht richtig. Ende Mai sind Europawahlen. Dann werden Abgeordnete einziehen, die das EU-Parlament auflösen wollen. Nicht alles, was juristisch richtig sein mag, ist auch moralisch richtig.

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Man könnte der AfD ferner zurufen: Stellt euch nicht so an! Der Kandidat der Linken, Lothar Bisky, fiel bei deren Einzug in den Bundestag viermal bei der Wahl zum Vizepräsidenten durch, und die Grünen mussten nach ihrem erstmaligen Einzug sogar gut elf Jahre lang warten, bis sie eine Vize hatten.

Und möchte man sich am Ende wirklich ein Plenum vorstellen, das von einer AfD-Politikerin moderiert wird, die womöglich die Ausfälle ihrer Parteikolleginnen und -kollegen, die andere Sitzungsleitungen rügen würden, stillschweigend übergeht?

Die Wahl ist nur ein Nebenkriegsschauplatz

AfD-Chef Alexander Gauland grämte sich, seine Partei solle ausgegrenzt werden. "Na, was denn sonst?!", dürften ihm jene zurufen, die gestern Harder-Kühnel nicht gewählt haben. Dass radikale Positionen in einer Demokratie von anderen öffentlich ausgegrenzt werden, ist sogar zwingend. In Österreich hat Appeasement dazu geführt, dass nun die FPÖ an der Regierung ist.

Andererseits findet das Aufheben über die Besetzung auf einem Nebenkriegsschauplatz statt. Das Hauptproblem ist nicht die Frage des Vizeamts, sondern dass Millionen Deutsche so viele AfD-Politiker mit rechtsextremen Ansichten in den Bundestag gewählt haben. Wenn die anderen Parteien etwas dagegen unternehmen wollen, sollten sie vielmehr den wichtigsten Grund für deren Wahl weiter angehen: die Verbreitung völkischen, rassistischen und islamfeindlichen Gedankenguts im Land.

Die AfD verfügt bereits über wichtige Ausschussvorsitze, und die Personen, die diese innehaben, sind bei Weitem nicht alle "tadellos". Was tut es da zur Sache, ob sie noch einen Vizepräsidenten oder eine -präsidentin stellt oder nicht?


Dank des Boykotts ihrer Kandidatin kann die Partei ihren Anhängern nun weiterhin erzählen, wie böse die "Altparteien" sie behandeln. Gerade weil die Fraktion ihren Kritikern schon entgegen gekommen war und mit Harder-Kühnel nicht nur eine Frau aufgestellt hat, sondern auch noch eine, die als "moderat" gilt. Der Boykott wird die eingefleischten Anhänger in ihrer Wahlentscheidung nur bestätigen und vielleicht weiter radikalisieren. Fatal aber ist: Dieses Lamento könnte gerade jenen Auftrieb geben, die erwägen, die AfD aus Protest gegen jene etablierten Parteien zu wählen. Denn nach der Protestlogik würden noch stärkere AfD-Fraktionen diese noch stärker unter Druck setzen. Ist es dieses Risiko wert?

Wer kennt eigentlich die Bundestagsvizepräsidentin der Partei Die Linke? Wer sitzt für die FDP in der Runde? Und wen hat eigentlich die CSU noch mal entsandt? Ich fürchte, die Namen Petra Pau, Wolfgang Kubicki und Hans-Peter Friedrich werden vielen nicht so ohne Weiteres einfallen. Vielleicht sind die Namen Thomas Oppermann und Claudia Roth für SPD und Grüne etwas präsenter. Dennoch kann man sich fragen: Ist die Rolle von Bundestagsvizes in der öffentlichen Wahrnehmung wirklich so bedeutsam, dass man so viel Lärm darum machen muss?

AfD will Arbeit des Parlaments stören

Auch könnte es sein, dass sich eine aufgestachelte AfD nun verstärkt darum bemüht, die Arbeit des Parlaments zu stören. Gauland deutete es bereits an. Bei "jeder Gelegenheit" wolle man künftig einen weiteren Kandidaten aufstellen, sagte er.

Für eine Wahl würde auch sprechen, dass sich die Partei dann innerhalb des Parlaments vor den Augen Deutschlands und der ganzen Welt noch mehr beweisen müsste. Jeder Fehltritt einer Bundestagsvizepräsidentin könnte von den anderen Parteien ausgeschlachtet und angeprangert werden.

Die Bestätigung einer AfD-Kandidatur wäre letztlich auch eine weitere Mahnung. Wenn die Partei durch so ein Amt öffentlich noch sichtbarer wird, erhöht das den Widerstand gegen sie.


Aus demokratischer Sicht gibt es also durchaus gute Argumente für und gegen die Wahl einer AfD-Politikerin oder eines AfD-Politikers. Nur was ist treffender? Lassen Sie uns das Für und Wider gemeinsam abwägen. Ich habe meine Argumente pro und contra aufgeschrieben, schreiben Sie Ihre doch in den Kommentarbereich unter diese Kolumne.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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