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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was kommt nach der Hessenwahl? Mögliche Koalitionen und die Angst vor den Folgen
Drei mögliche Ministerpräsidenten, die Rückkehr eines Gespensts und eine drohende Gefahr für die Kanzlerin: Was nach der Hessenwahl passieren könnte.
Vor einer Wahl sind alle schlau, hinterher alle schlauer. Umfragen können danebenliegen, Wähler können sich umentscheiden. Trotzdem lassen sich einige mögliche Szenarien für den Sonntag der hessischen Landtagswahl beschreiben – und die Tage danach.
Wie könnte es ausgehen? Wer könnte regieren? Und was passiert in der CDU?
Die Ausgangslage
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die CDU wieder stärkste Partei. Dahinter ringen in Umfragen SPD und Grüne um die zweitmeisten Stimmen. Auch Linke, FDP und AfD liegen in Umfragen stabil über der Fünf-Prozent-Hürde. Es ist also mit sechs starken Fraktionen zu rechnen. Bei der bayerischen Landtagswahl vor zwei Wochen verloren CDU und SPD zusammen mehr als 21 Prozentpunkte; diesmal könnten die Verluste ähnlich groß werden.
Mögliche Regierungen
Nach aktuellem Stand sind je nach Wahlausgang extrem viele verschiedene Koalitionen denkbar – deshalb könnte die Koalitionsbildung diesmal auch außerordentlich kompliziert werden.
Die CDU würde am liebsten ... das schwarz-grüne Bündnis fortsetzen, so ist zu hören. Obwohl sich ihre Wahlprogramme immer noch deutlich unterscheiden. Sollte dieses Zweierbündnis eine Mehrheit haben, ist es wahrscheinlich, dass die Koalition ihre Arbeit fortsetzt. Es ist aber gut möglich, dass es knapp nicht reicht.
Unwahrscheinlicher ... ist das einzig andere denkbare Zweierbündnis: Schwarz-Rot. Allerdings hatten CDU und SPD in vergangenen Umfragen keine Mehrheit, Ministerpräsident Volker Bouffier und SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel haben kein sehr gutes Verhältnis und da beide Parteien zum Schluss kommen werden, dass ihre großen Verluste viel mit der schwarz-roten Koalition in Berlin zu tun haben, wäre die ganz kleine große Koalition schwer zu vermitteln.
Gut möglich, dass sich eine Dreier-Koalition finden muss, und gleich mehrere Möglichkeiten sind denkbar.
Sollte es für Schwarz-Grün nicht reichen, ... wird vor allem die CDU versuchen, die FDP mit einzubinden. Diese Koalition wird mit großer Sicherheit auf eine Mehrheit kommen. Die Grünen lehnen eine Jamaika-Koalition nicht prinzipiell ab. Es ist die wahrscheinlichste Option.
Eine Ampel-Koalition ... aus SPD, Grünen und FDP ist vorstellbar. Allerdings könnte es sein, dass sich die FDP verweigert. Vor allem, falls die Grünen stärker sein sollten als die SPD. Man werde keinen grünen Ministerpräsident wählen, lautet die Position der FDP.
Ein linkes Bündnis ... mit Thorsten Schäfer-Gümbel oder mit Tarek Al-Wazir an der Spitze, also Rot-Grün-Rot (R2G) oder Grün-Rot-Rot, stünde für den größten Wechsel. Aktuell sieht es so aus, als würden die drei Parteien zusammen eine Mehrheit bekommen. Die Linke ist von der Aussicht nicht begeistert, würde sich aber wohl auf Gespräche einlassen. Für die SPD wäre es die beste Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Die Grünen sind skeptisch; weil sie sich mit der CDU recht wohl fühlen und weil sie fürchten, dass R2G an Abweichlern scheitern könnte, wenn die Mehrheit sehr knapp ist. So war es vor zehn Jahren – damals hatte die Union mit allen Mitteln vor dem Gespenst des Linksrucks unter Beteiligung der Linken gewarnt.
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Die Grünen können ein linkes Bündnis kaum ablehnen, ... falls sie zweitstärkste Kraft werden. Tarek Al-Wazir könnte seinen immer noch eher linken Wählern und seiner Partei nicht erklären, warum er lieber Juniorpartner von CDU sein möchte, als Ministerpräsident in einer linken Koalition. Für die SPD und Thorsten Schäfer-Gümbel, der zum dritten Mal als Spitzenkandidat antritt, könnte es paradoxerweise von Vorteil sein, wenn die Grünen stärker werden als sie selbst: Möglicherweise bietet sich nur dann die Chance, in einem Bündnis ohne die CDU zu regieren.
Die drohenden Folgen
Wenn es in etwa so ausgeht, wie die Umfragen vermuten lassen, werden die Grünen selig sein, FDP, Linke und AfD zufrieden. CDU und SPD dagegen stellen sich jetzt schon auf ein schlechtes Ergebnis ein. Je nachdem, wie schlecht es wird, kann die Wahl in beiden Parteien gravierende Folgen haben.
In der SPD ... werden sich diejenigen, die schon immer gegen die schwarz-rote Koalition in Berlin waren, bestätigt fühlen. Die Diskussion, ob man aus der Bundesregierung aussteigen solle, wird lauter werden. Thorsten Schäfer-Gümbel, erst 49 Jahre alt, der seit neun Jahren Landesvorsitzender ist, aber auch stellvertretender Bundesvorsitzender, wird nach einer dritten Wahlniederlage zurücktreten müssen, falls er sich nicht in eine Regierung rettet. Auch die Diskussion, ob Andrea Nahles die richtige Parteichefin ist, wird aufkommen. Ob aus alldem etwas folgt, wird wahrscheinlich vor allem davon abhängen, wie viel Druck die Landesverbände von den Mitgliedern bekommen.
In der CDU ... hofft man darauf, dass man mit den Grünen, den Grünen und der FDP oder der SPD an der Regierung bleiben kann. Der heute 66-jährige Volker Bouffier würde noch einmal Ministerpräsident, in fünf Jahren dann aber eher nicht mehr antreten. Eine zweite Landtagswahl für die Union mit zehn Prozentpunkten Verlust für eine Unionspartei täte weh, würde aber wohl hingenommen. Aber während man das eher schlechte Ergebnis der CSU in Bayern noch auf das Gebaren der CSU selbst schieben konnte, geht das in Hessen nicht. Es wird als Zeichen gedeutet werden, dass die Menschen mit der Partei, dem Kurs oder der Regierung in Berlin unzufrieden sind.
Sollte sich eine Koalition ohne die CDU bilden, ... also eine Ampel oder R2G/G2R, sollte also der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier die Staatskanzlei verlieren, wird eine andere Diskussion losbrechen: ob die CDU sich ganz neu aufstellen muss. In der Partei wird spekuliert, ob dann auf dem Wahlparteitag im Dezember bekannte Politiker als Parteichef kandidieren könnten – bislang sieht es so aus, als stelle sich Angela Merkel zur Wiederwahl, herausgefordert von mehreren unbekannten Mitgliedern.
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Aber es scheint im Fall einer Abwahl der CDU aus der Regierung nicht mehr vollkommen abwegig, dass Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet, Jens Spahn oder andere aus der Parteispitze antreten. Dann wäre die Frage, ob Merkel den Posten abgibt, oder ob sie das Risiko eingeht, als Kanzlerin in einer Kampfkandidatur um den Parteivorsitz zu unterliegen.
- Eigene Recherchen