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Hessen-Wahl: Volker Bouffier im Portrait – Zwischen Loyalität und Kungelei


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Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier
Vom schwarzen Sheriff zu Merkels Leibgardisten

Ein Portrait von Jonas Schaible

Aktualisiert am 28.10.2018Lesedauer: 7 Min.
Bouffier und Merkel: Er gehört seit einer Weile zu ihren wichtigsten politischen Verbündeten.Vergrößern des Bildes
Bouffier und Merkel: Er gehört seit einer Weile zu ihren wichtigsten politischen Verbündeten. (Quelle: Hannibal Hanschke/reuters)

Früher galt Volker Bouffier als härtester Innenminister Deutschlands. Wie wurde aus dem Vorzeigekonservativen ein schwarz-grüner Landesvater und Merkels wichtigster Helfer in Not? Eine Annäherung.

Am 17. Juni sieht es so aus, als ob die Kanzlerin in der kommenden Woche stürzen könnte. Bundesinnenminister Horst Seehofer droht, gegen ihre klare Anweisung Grenzzurückweisungen für Flüchtlinge anzuordnen. Am nächsten Morgen will er sich im Parteivorstand in München die Rückendeckung seiner CSU für den Alleingang holen. Er weiß, dass seine Partei ihm folgen wird. Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, wer in der CDU der Kanzlerin noch folgt.

Merkel schart deshalb in der CDU-Zentrale in Berlin ihre engsten Verbündeten um sich, die loyalsten Vertrauten, die Leibgarde gegen den drohenden politischen Putsch. Annegret Kramp-Karrenbauer ist gekommen, Volker Kauder, Daniel Günther und der ewig schwarzgrüne Armin Laschet aus dem mächtigen Nordrhein-Westfalen: Merkels Generalsekretärin, ihr Fraktionsvorsitzender und zwei parteilinke Ministerpräsidenten.

Dann ist da noch Volker Bouffier.

Der hessische Ministerpräsident aus dem legendär konservativen Landesverband. Der Mann, der härtester Innenminister Deutschlands und "schwarzer Sheriff" genannt wurde. Der Freund von Roland Koch, der seinerseits Merkel einst am Telefon angeschrien haben soll, sie habe kein Recht auf die Kanzlerkandidatur.

Was ist passiert mit dem tiefschwarzen Bouffier, dass er sich plötzlich schützend vor die Kanzlerin stellt? Und dass er als erster CDU-Ministerpräsident in einem Flächenland eine schwarz-grüne Koalition führt, geräuschlos, konfliktfrei, partnerschaftlich?

Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingt, wird schlüssig, wenn man mit ehemaligen Weggefährten Bouffiers spricht. Man versteht dann auch besser, wer dieser Mann ist, der am Sonntag wieder Hessens Ministerpräsident werden will.

Zwei Seilschaften, die den Aufstieg sichern

Volker Bouffier, geboren in Gießen, Abitur in Gießen, Jurastudium in Gießen, Arbeit an der Universität in Gießen, beginnt seine politische Karriere so richtig im Jahr 1978. Da wird er zum Landesvorsitzenden der Jungen Union gewählt, ein Jahr später wird er Stadtverordneter in Gießen und Kreistagsabgeordneter im Landkreis Gießen.

Zu dieser Zeit bilden sich zwei Seilschaften, die Bouffiers politisches Leben prägen, seinen Aufstieg sichern und Deutschland verändern.

Als Landeschef der Jungen Union organisiert Bouffier 1978 Treffen ehrgeiziger junger Christdemokraten. Teilnehmer unter anderem: Roland Koch und Franz-Josef Jung. Treffpunkt: Die Tankstelle Wetterau an der A5. Ziel: ein Bündnis schließen, dass sie gemeinsam an die Spitze der Hessen-CDU bringen soll. "Blutsbrüder" nennen sich die Männer von der Tankstelle.

Im Jahr darauf ruft eine Delegation der Jungen Union während einer Südamerikareise im Flugzeug den Andenpakt ins Leben. Die Kernforderung lautet: Mehr Ambiente in der Politik. Was als Scherz beginnt, wird bald zu einem mächtigen Bündnis. Die Andenpaktler schwören sich, einander niemals öffentlich anzugreifen oder gegeneinander zu kandidieren. Bouffier gehört dazu, Koch, Christian Wulff, Günther Oettinger, Peter Müller. Friedrich Merz steht dem Pakt nahe.

Bouffier erfährt früh: Wer sich bindet und Vertrauen gibt, profitiert. Vielleicht muss er warten. Vielleicht muss er zurückstecken. Aber am Ende wird er belohnt.

Zwischen Loyalität und Kungelei

Zum ersten Mal wird das 1987 wichtig. Bouffier hat da gerade seine ersten fünf Jahre im Landtag hinter sich. Aber er schafft den Wiedereinzug nicht. Seine politische Karriere ist in Gefahr. Sein Freund und Tankstellenblutsbruder Roland Koch greift ein. Dessen Vater Karl-Heinz Koch ist gerade Justizminister geworden. Er holt Bouffier als Staatssekretär ins Ministerium.

Koch rettet Bouffier. Bouffier, der Ältere, richtet sich als Nummer zwei ein. Freund, Stellvertreter, Kronprinz, aber kein Konkurrent.

"So einen großen Zusammenhalt habe ich sonst nirgends gesehen", sagt einer aus dem Andenpakt über die Männer aus der Hessen-CDU. "Die wurden, was sie sind, weil sie loyal sind." Viele von Bouffiers Weggefährten reden bereitwillig, wollen allerdings nicht namentlich genannt werden.

Und fast alle preisen die Freundschaft. Zwischen Bouffier und Koch. Zwischen ihnen und Bouffier. Zwischen den Familien. In der Politik ist Freundschaft selten, aber die Andenpaktler sprechen davon, ohne gefragt zu werden. "Bouffier war der, dem Beziehungen immer am wichtigsten waren", sagt einer.

Das Problem an bedingungsloser Loyalität in der Politik ist, dass der Grat zwischen ihr und Kungelei schmal ist. In dieser Hessen-CDU voller Freunde und loyaler Partner reiht sich in den nächsten Jahrzehnten ein Skandal an den nächsten. Selten muss sich jemand dafür verantworten

Skandale und Untersuchungsausschüsse

Zwei Beispiele aus der langen Reihe von Skandalen und Aufregern:

Kurz nachdem Koch 1999 Ministerpräsident wird, wird bekannt, dass die Hessen-CDU seit 1983 Millionen auf Schwarzgeldkonten geparkt und auch unter Kochs Ägide als Landesvorsitzender für Wahlkampf ausgegeben hat.

Bouffier, Kochs Innenminister, macht später den Gießener Polizeichef zum Präsidenten der hessischen Bereitschaftspolizei. Ein Mitbewerber klagt, weil es kein ordentliches Verfahren gegeben habe. Die Opposition setzt einen Untersuchungsausschuss ein – nicht den ersten gegen Bouffier. Das Land einigt sich mit dem Gegenkandidaten auf einen Vergleich, zahlt 50.000 Euro, erkennt keine Schuld an.

Stets hält Koch zu Bouffier und Bouffier zu Koch, beide halten zu den Mitarbeitern und die zu ihnen. Gemeinsam stehen sie alles unbeschadet durch.

Bouffier weiß sich zu profilieren

Doch Bouffier hat offenbar verstanden, dass es zwar ohne gute Freunde nicht geht, mit guten Freunden allein aber auch nicht.

Der Innenminister Bouffier inszeniert sich deshalb als harter Sicherheitspolitiker. Er will die Rasterfahndung, obwohl ein Gericht sie untersagt hat. Er will die Bundeswehr im Inland einsetzen. Zweimal bekommt er von Datenschützern den "Big Brother Award", einen Negativpreis für allzu große Überwachungsfreude.

Bouffier ist auch politisch verantwortlich für den Landesverfassungsschutz und damit für die Aufarbeitung des Mordes des rechtsextremen NSU in Kassel. Er hat die Polizei daran gehindert, Zeugen zu befragen, um einen Geheimdienstler zu schützen. Dafür muss er sich vor Untersuchungsausschüssen im Bundestag und im Landtag rechtfertigen. Bouffier redet alles weg, manches bleibt widersprüchlich. Es schadet ihm nicht.

Immer nur missverstanden?

"Ich glaube, die Öffentlichkeit hatte immer ein falsches Bild von ihm", sagt einer aus dem Andenpakt über Bouffier. "Er war nie so hart." So ähnlich beschreiben ihn mehrere alte Weggefährten. "Wenn man Innenminister ist, muss man manche Sachen eben machen", sagt einer. Der schwarze Sheriff, ein Zerrbild?

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Allerdings ensteht so ein Ruf nicht ohne Zutun. "Er hat sich nicht dagegen gewehrt, er hat es billigend angenommen, das stimmt", sagt ein alter Freund. Ein anderer sagt: "Er hat verstanden, dass er neben dem dominanten Koch untergeht, wenn er sich nicht ins Gespräch bringt."

Also brachte er sich ins Gespräch. Stets galt er als logischer Nachfolger, sollte Koch gehen – nach Berlin oder in die Wirtschaft. Am 31. August 2010 ist es so weit. Koch beendet seine politische Karriere. Natürlich macht er Bouffier zu seinem Nachfolger.

Der übernimmt ein schwarz-gelbes Bündnis, mimt den gelassenen Landesvater, steigert das Wahlergebnis. Weil die FDP aber extrem abrutscht, steht Bouffier nach der Wahl 2013 vor der Frage: Koalition mit der SPD oder den Grünen? Zu Überraschung auch vieler Vertrauter wählt er die Grünen, also den alten politischen Feind. "Vor 15 Jahren hätte er das abwegig gefunden", sagt ein alter Bekannter.

Feinde zu Partnern

"Vor allem zu Tarek Al-Wazir hat er einfach Vertrauen", sagt ein alter Bekannter. Das habe sich in den Sondierungsgesprächen schon gezeigt. Dabei hatten sich Bouffier und der Grünen-Vorsitzende Al-Wazir früher so oft angegriffen. All der Streit, all die Vorwürfe und Verletzungen: vergessen. Alles Rollenprosa? Mit Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPD soll sich Bouffier jedenfalls nicht gut verstehen.

Wieder sind es die persönlichen Beziehungen, die zur Grundlage für Politik werden. Vertrauen schlägt Dünkel. Pragmatismus schlägt Ideologie. Das passt dann doch zu Bouffier.

Der zweite Bruch mit den Erwartungen

Als Landeschef gibt er sich leise, abwägend, vermittelnd. "Das ist der wahre Bouffier", sagt ein alter Freund, "er hat immer eine landesväterliche Attitüde gehabt." Ein Scharfmacher oder Ideologe sei er nie gewesen. "Er hat zu einer inneren Ruhe gefunden", sagt ein anderer. Ob das stimmt oder nicht: Ganz sicher füllt Bouffier seine neue Rolle ebenso entschlossen wie seine alte.

Es funktioniert offenbar. In der CDU redet man wohlwollend über den Koalitionspartner. Bei den Grünen auch.

Im Sommer 2018 bricht Bouffier zum zweiten Mal mit den Erwartungen an einen Konservativen. In Berlin kommt es zum großen Streit zwischen CDU und CSU, der Bouffier am 17. Juni 2018 ins Konrad-Adenauer-Haus führt. Auch in den Tagen danach bleibt er dabei: Er unterstützt Merkel.

Erstaunt das alte Freunde? "Er gehörte nie zu den Merkelhassern, die gegen sie agitiert haben", sagt einer aus dem Andenpakt, der nach Merkels Aufstieg zur Parteichefin auch ein Pakt gegen sie war. "Wirklich gravierende inhaltliche Unterschiede zwischen Merkel und Bouffier fallen mir nicht ein", sagt ein anderer. "Er hat die Entscheidung, 2015 die Grenze nicht mit aller Gewalt zu schließen, nie grundsätzlich in Frage gestellt."

Man hält zusammen

Inhaltlich war es nach Einschätzung alter Bekannter nicht so schwer für Bouffier, die Kanzlerin zu stützen. In der Union gilt ohnehin die Formel: Nichts wollen Wähler weniger als Streit an der Spitze. Bouffier, der selbst CDU-Vize ist, tut also auch, was ihm zu nützen scheint, als er Merkel verteidigt. Dazu kommt die Erfahrung seines Politikerlebens. Man verrät seine Freunde nicht und man verrät seine Parteivorsitzende nicht, auch ihr schuldet man Loyalität. Man hält zusammen. Dann geht es für alle am besten aus.


Oder für alle schlecht. Sollte Bouffier seinen Posten als Regierungschef verlieren, weil es für eine Koalition aus Grünen, SPD und Die Linke reicht und sich die Grünen dafür entscheiden, könnte Merkel auf dem Parteitag im Dezember als CDU-Vorsitzende herausgefordert werden. Ihre Zukunft hängt erneut an Bouffier.

Verwendete Quellen
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