Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Juden in der AfD Die Veralberung des Wählers
Gründet sich an diesem Wochenende die Vereinigung "Ausländer in der NPD" - oder die "Muslime bei Pegida"? Weder noch. Es sind die "Juden in der AfD". Ein rechtspopulistisches Trauerspiel auf Kosten der Wähler.
"Ein Trauerspiel, meine Herren, ist ein lehrreiches moralisches Gedicht, darin eine wichtige Handlung vornehmer Personen, auf der Schaubühne nachgeahmet und vorgestellet wird. Es ist eine allegorische Fabel, die eine Hauptlehre zur Absicht hat, und die stärksten Leidenschaften ihrer Zuhörer, als Verwunderung, Mitleiden und Schrecken, zu dem Ende erreget, damit sie dieselben in ihre gehörige Schranken bringen möge", erklärte der begnadete Johann Christoph Gottsched, Poesieprofessor, Literat, Dramaturg, Aufklärer, im 18. Jahrhundert seiner Zuhörerschaft.
Als ein solches Trauerspiel würde Gottsched vermutlich die für dieses Wochenende geplante Gründungsversammlung einer jüdischen Bundesvereinigung innerhalb der AfD inszenieren. In den Hauptrollen würden nach bisherigem Stand besetzt: die Herzogin Beatrix von Storch, die Patrizierin Erika Steinbach, Hochwürden Joachim Kuhs von den "Christen in der AfD" und Adjutant Michael Klonovsky aus dem Umfeld der früheren AfD-Chefin Frauke Petry. Vervollständigt würde das Tableau durch die etwa 15-köpfige Gruppe der Günstlinge um Dimitri Schulz, Artur Abramovych und Wolfgang Fuhl, die die JAfD gründen wollen. In Wiesbaden wollen sie den Akt über die Bühne bringen.
"Denkmal der Schande" – war da was?
Da fragt sich der gemeine Pöbel, zu wieviel Selbstverleugnung man in der AfD eigentlich fähig ist? Und für wie einfältig man seine eigenen Wählerinnen und Wähler hält, dass sich die Partei des "Vogelschisses" und des "Denkmals der Schande", des Verbots von Schächten und Beschneiden nicht entblödet, diesen Vorgang auch noch lautstark zu feiern? Traurig. Wirklich traurig.
Aber nonchalant aus Überzeugung werden die Protagonisten um von Storch selbstredend pathetische Reden halten, wie natürlich die Nähe von Judentum und deutschem Rechtskonservatismus sei. Und die Anhänger im Publikum werden applaudieren und sich zunickend auf die Schultern klopfen. Lächelnd werden sich die Rechtsradikalen in der AfD gegenseitig versichern, dass sie nicht rechtsradikal sondern lupenreine Demokraten sind. Zum Vergnügen der Parteistrategen, die sich genüsslich ins Fäustchen lachen über die Einfaltspinsel im Volk, die sich kurz vor der Hessen- und der Bayern-Wahl derart veralbern lassen. Schließlich ist eine Gruppierung "Juden in der AfD" in etwa so intelligent wie "Ausländer in der NPD", "Satanisten in der Evangelischen Kirche", "Muslime bei Pegida" oder "Sterneköche bei McDonalds". Aber diese Schussfolgerung freilich überlassen sie getrost den rot-grün versifften Mainstreammedien-Konsumenten.
Wer für Israel ist, kann nicht antisemitisch sein
Die Idee hinter diesem Schauspiel ist so alt und erfolgreich wie die organisierte Islamfeindlichkeit im Land. Sie geht zurück auf die Macher des Denunzianten-Portals PI-News, das seit fast einem Sechsteljahrhundert sein staatsgefährdendes Gift versprüht, ohne dass Politik und Sicherheitsbehörden etwas dagegen unternommen hätten. Es war dieses Portal, das sich als erstes in Deutschland demonstrativ eine Art Hechscher, einen „Koscher-Stempel“, aufgedrückt hat, indem es „pro-israelisch“ in seine Kopfzeile schrieb, um die Hetze gegen vor allem türkische und arabische "Ausländer" (kostümiert und pauschalisiert als Islamisten) zu kaschieren.
Es ist ein Akt der Exkulpation, denn wer für Israel ist, kann nicht rechtsextrem, nicht rassistisch, nicht antisemitisch, nicht deutsch-völkisch und somit kein Problem in der bundesdeutschen Demokratie sein. Diese (Un-)Gleichung scheint bis heute aufzugehen, worauf sowohl die AfD als auch das zweite Ziehkind der PI-News, die Pegida, samt ihrer Sympathisanten und Beschwichtiger hindeuten.
Muslimischer Antisemitismus ist untragbar
Als einen ehrlichen Anlass für die JAfD-Gründung vermuten manche nicht zu Unrecht den zunehmenden muslimischen Antisemitismus. Er versetzt tatsächlich viele jüdische Mitbürger in Sorge und das ist gerade in Deutschland ein untragbarer Zustand. Viele im Rest der Gesellschaft tun sich schwer damit, dieses Thema anzupacken, aus Angst davor, im Gegenzug Islamfeindlichkeit zu schüren. Die JAfD jedoch als "Akt der Verzweiflung" zu erklären, gar als "Notwehr" zu deklarieren, wie es der Historiker Michael Wolffssohn jüngst in der NZZ getan hat, weil die Gesellschaft allzu passiv sei, schießt weit übers Ziel hinaus und ist arg einseitig argumentiert.
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Gewiss mögen manche aus Wut zu "Kurzschlusshandlungen" neigen, wie er schreibt. Aber mit der Fokussierung dessen blendet Wolffssohn aus, dass andere jüdische Mitbürger auch aus puren Ressentiments, aus Chauvinismus und Rassismus gegenüber Muslimen, Arabern oder Türken handeln könnten; womöglich sind solche sogar eher bereit, ausgerechnet der "Vogelschiss"-Partei beizutreten.
Keine Gruppe ist durchweg heilig
Wundern muss man sich aber nicht, dass es jüdische Deutsche gibt, die sich für solche Absurditäten hergeben und sich von der AfD instrumentalisieren lassen. Warum sollte es sie nicht geben? 1. Nicht jeder, der sich Jude nennt, ist religiös. 2. Nicht jeder Jude macht sein Judentum zum Zentrum seiner Existenz. Machen wir nicht den Fehler, und sehen in einem Juden nur den Juden. Religion ist außer bei Fundamentalisten lediglich eine Facette des Ichs.
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Die Vorstellung, alle Juden müssten vorbildlich und vernünftig sein, ist von ähnlicher Qualität wie die Aussage, alle Menschen mit abstehenden Ohren seien Opernfreunde. Es gibt keine Gruppe von Menschen, die durchweg heilig ist. Keine Flüchtlinge, keine Ausländer, ja, nicht einmal Muslime. (Achtung: Ironie!) Davon abgesehen, haben die zentralen Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland die JAfD-Gründung bereits scharf kritisiert und unmissverständlich abgelehnt.
Bedeutungslos, unappetitlich, politisch unhygienisch
Sergey Lagodinsky spricht in der Welt vom "schlechtesten jüdischen Witz seit Langem": "Die ominöse Gründung ist angesichts der Unwichtigkeit der Beteiligten bedeutungslos, angesichts ihrer Inhalte unappetitlich und angesichts ihrer ideologischen Verblendung politisch unhygienisch." Man sollte rasch einen Haken hinter das Trauerspiel "Juden in der AfD" machen.
Die Hauptlehren, um noch einmal mit Gottsched zu sprechen, die die Leidenschaften der Zuhörer in ihre gehörigen Schranken bringen sollen, sind eindeutig. 1. den Vorgang nicht überhöhen, 2. sich von den wenig begabten Parteistrategen der AfD nicht auf so unkreative Art auf den Arm nehmen lassen, 3. im Gedächtnis behalten, dass die "Juden in der AfD" nicht "die" Juden sind. Und damit Licht aus. Vorhang zu. Nicht jede Theateraufführung ist ihr Eintrittsgeld wert. Punkt.