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Maaßen, Chemnitz und Co.: Schluss mit den würdelosen Debatten!


Maaßen, Chemnitz und Co.
Schluss mit den würdelosen Debatten!

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

14.09.2018Lesedauer: 6 Min.
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Hans-Georg Maaßen: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ist in diesem Amt nicht haltbar, findet Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Hans-Georg Maaßen: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ist in diesem Amt nicht haltbar, findet Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der Chef des Verfassungschutzes sabotiert die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, die Sachsen-CDU betreibt nach Chemnitz politische Schönheitspflege. Etwas läuft falsch im Land.

Jemand, der offenkundig mit zweierlei Maß misst, kann für eine Behörde wie das Bundesamt für Verfassungsschutz kaum tragbar sein. Eine Ablösung seines Präsidenten, wie sie derzeit gefordert wird, ist nachvollziehbar. Ich habe Hans-Georg Maaßen im Kampf gegen Islamismus als vertrauenswürdigen Akteur erlebt und geschätzt. Sein Umgang mit den Gefahren des Rechtsextremismus jedoch lässt mich mehr als irritiert zurück.

Ein Inlandsgeheimdienst hat alle Gefahren gleichsam vom Staat abzuhalten. Da kann es keinen Bonus für einen Gefährdungsbereich geben, weil einem das Hemd näher ist als der Rock. Wäre der Chef des Verfassungsschutzes ein Muslim und würde nur einen Hauch von Verständnis für Islamisten erkennen lassen, wäre der Teufel los. Und das zu Recht!

Notwendige Diskussion über Rechtsradikalismus

Welches Fehlverhalten sich Maaßen bei seinen Zusammenkünften mit der AfD hat zu Schulden kommen lassen, lässt sich heute noch nicht abschließend beurteilen. Die Schilderungen der AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber in ihrem Buch "Inside-AfD" über ungewöhnliche Kontakte zwischen Maaßen und der früheren Parteichefin Frauke Petry sowie die gestrigen Recherchen des ARD-Magazins "Kontraste" über die Besprechung von Inhalten des noch unveröffentlichten Verfassungsschutzberichts mit AfD-Politikern lassen einiges befürchten.


Die Äußerungen Maaßens zu Chemnitz aber waren so unnötig wie unverständlich, unhaltbar und unwürdig. Ich kann letztlich nur zu dem Schluss gelangen, dass er den Rechtsradikalismus in Chemnitz damit gezielt bagatellisieren wollte. Vielleicht ganz im Sinne der AfD?

Keine Frage, ich begrüße es persönlich, dass wir derzeit intensiv wie selten über Rassismus und Rechtsradikalismus sprechen. Immerhin habe ich schon 2016 in meinem Buch "Die Zerreißprobe" versucht darauf hinzuweisen, wie sehr die Fremdenfeindlichkeit unsere Demokratie gefährdet. Und anders als zuvor, als ich die Gefahren des islamischen Fundamentalismus und Islamismus thematisiert hatte oder die verkrusteten Strukturen des organisierten Islams in Deutschland, war dieses Mal der Gegenwind, der mir aus der Öffentlichkeit ins Gesicht blies, deutlich stärker. Die kritische Auseinandersetzung mit Teilen einer Minderheit wird breit goutiert. Die kritische Auseinandersetzung mit der Mehrheit wird schnell heikel.

Keine Begriffsklauberei betreiben

Es verwundert mich also nicht, dass einige versuchen, die Debatten über Rechtsradikalismus nach Chemnitz oder Köthen zu sabotieren. Es verwundert mich auch nicht, dass leitende Behördenmitarbeiter wie Maaßen daran beteiligt sind. Nur dulden mag ich es nicht. "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist", hatte Maaßen der "Bild"-Zeitung gesagt.

Besagtes Video zeigt was? Wütende Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, die einem Ausländer nachsetzen zu dem Sound von "Haut ab!" – "Was ist denn, ihr Kanaken!" – "Ach da könnt ihr rennen, ihr Fotzen" – "Weg hier! Ihr seid nicht willkommen!". Dem Arbeitgeber eines der hier beteiligten "echten" Deutschen reichte das Gesehene aus, um sich nach Anhörung des Angreifers und unter Einbeziehung des Betriebsrats mit sofortiger Wirkung von diesem zu trennen. An der Empörung über diese hässlichen Szenen mitten in einer deutschen Großstadt gibt es wahrlich nichts auszusetzen.

Doch nach Ansicht von AfD, sächsischer CDU und Maaßen, sekundiert von Teilen der Medien, sollen wir lieber Begriffsklauberei betreiben und darüber diskutieren, ob hier wirklich eine "Hetzjagd" zu sehen ist oder eine "Jagdszene" oder "nur" eine Verfolgung. Der Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer tut in seiner jüngsten Kolumne so, als zeige das Video bloß wie ein paar unvorsichtige Kunden, die Fleischtomaten an einem Marktstand zerdötschen, um Maaßen vor einer angeblichen "Treibjagd" von Linken zu schützen.

Übergriff auf jüdisches Restaurant

Maaßen sagte ferner zu dem auf Twitter von einer Antifa-Gruppe geposteten Video, nach seiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord an dem 35-jährigen Daniel H. in Chemnitz abzulenken. Es scheint doch vielmehr so zu sein, also wollte Maaßen selbst von den rechtsradikalen Vorfälle in Chemnitz ablenken. Allein ein solcher Eindruck ist für den obersten Amtsinhaber im Kampf gegen politischen Extremismus schlicht würdelos.

Würdelos hat sich übrigens auch Sachsens Innenminister Roland Wöller mit seinem Besuch im koscheren Restaurant "Schalom" in Chemnitz verhalten, dessen Besitzer von einem antisemitischen Mob am Abend einer rechtsradikalen Demo überfallen worden war. Hatte nicht der Chef seiner Landesregierung, Michael Kretschmer, wenige Tage vor Wöllers Besuch betont: "Klar ist: Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome"?


Der Angriff auf das Lokal erfolgte Ende August. Im Polizeibericht ist das nach Recherchen von "Frontal 21" aufgeführt, regionale Medien berichteten wenige Tage später darüber, sprachen sogar mit dem Wirt. Das sächsische Innenministerium wertet wie vermutlich alle Behörden Presseberichte aus, aber erst nachdem die Zeitung "Welt am Sonntag" fast zwei Wochen später prominent über den Angriff berichtetet hatte, andere Medien und Politiker mit großer Empörung auf den Zug aufgesprungen waren, eilte Wöller zum Ort des Geschehens.

Und dann auch noch Seehofer

Es ist schwer zu glauben, dass es dabei tatsächlich um Mitgefühl für den überfallenen Gastronom gegangen ist; so wie es sein sollte. Vermutlich ging es wieder einmal nur darum, die eigene Regierung und Partei öffentlich besser aussehen zu lassen. Für mich ist das pure Heuchelei. Auch die Versuche der vergangenen Tage, das Chemnitzer Konzert "Wir sind mehr" kaputt zu reden, weil einzelne unsägliche Texte gegrölt wurden und eine Band einen höchst umstrittenen Eintrag in einem Landesverfassungsschutzbericht hat, sind unwürdig.

Ging es bei dem spontan ins Leben gerufenen Konzert denn nicht eindeutig um ein Zeichen gegen die rechtsradikalen Exzesse? Gegen eben diesen antisemitischen Mob, der einen Juden überfällt, gegen diesen ausländerfeindlichen Mob, der "Krieg" gegen "Kanaken" führen will, bis das Blut spritzt, wie es eine Audio-Nachricht nahelegt, die dem "ARD"-Faktenfinder vorliegt, gegen die Hitlergrüße auf deutschen Straßen im 21. Jahrhundert? Die Tatsache, dass sich im Line-up bei einzelnen Kritikwürdiges findet, kann doch nicht schwerer wiegen als die eindeutige Grundausrichtung dieser gesamten Veranstaltung.

Und zu allem Überfluss stellte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer im Sinne einer Opferumkehr hin, und erklärte die Migrationsfrage zur "Mutter alle Probleme", statt sich wenigstens in dieser Gemengelage auf eine eindeutige und unmissverständliche Verurteilung der unmenschlichen Übergriffe zu beschränken.

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Demokratie muss in jede Richtung verteidigt werden

Offenkundig läuft einiges schief im Lande. Nach wie vor gibt es Interessen in Deutschland, rechte Gewalt zu relativieren und den Fokus lieber auf Islamismus und Linksradikalismus zu verschieben. Das ist nicht nur unredlich, das gefährdet die Demokratie. Angriffe auf den Rechtsstaat müssen allesamt gleich behandelt werden – und zwar insbesondere von jenen Behörden, deren Hauptaufgabe die Abwehr selbiger ist, wie von dem Verfassungsschutz und den Innenministerien.

Warum die Rechts-Schwäche noch so verbreitet ist, dafür gibt es viele Gründe. Historiker und Politologen beobachten sie bereits seit dem 8. Mai 1945: Scham und gekränkter Stolz wegen der Vergangenheit, mangelnder Distanzierungswille aufgrund gewisser Sympathie für chauvinistisches Nationalstaatsdenken, Eigeninteresse, Angst vor Veränderungen etc. – aber auch strukturelle Probleme: Manche Beamte, Politiker und Medienvertreter, die sich zur Mehrheit zählen, fühlen sich selbst oder ihre Wähler und Leser stärker gefährdet durch Islamisten und Linksextremisten als durch Rechtsextremisten.

So ein Sankt-Florians-Prinzip aber kann kein guter Ratgeber für die Verteidigung der Demokratie sein. Jan Fleischhauer beklagte noch in seiner Kolumne, niemand scheine sich zu fragen, wie die "Treibjagd" auf Maaßen auf die Männer und Frauen wirken muss, von deren Einsatz es abhänge, ob wir auch morgen noch ruhig schlafen können. Nun, lieber Jan Fleischhauer, möglicherweise sind viele ja mehr mit der Frage beschäftigt, ob diese Männer und Frauen künftig verhindern werden, dass ein NSU erneut jahrelang unbehelligt morden kann.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und i. Sie können unserer Kolumnisten auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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