Gegen Rechtsextremismus Hunderttausende bei Protesten – Riesendemo in Berlin
Vor dem Reichstagsgebäude in Berlin haben mindestens 150.000 Menschen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie demonstriert. Auch in vielen weiteren Städten gab es Proteste.
Am Samstag haben in mehreren Städten Deutschlands erneut Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Allein in Berlin nahmen nach Angaben der Polizei etwa 150.000 Personen an einer Kundgebung am Reichstag teil. Die Veranstalter sprachen sogar von rund 300.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sprach von einer Demonstration mit 10.000 Menschen in Mainz. In Dresden sollen es nach Angaben der Veranstalter 30.000 Teilnehmer gewesen sein, die Polizei wollte keine Teilnehmerzahl nennen. In Hannover sprach die Polizei von rund 7000 Menschen. Insgesamt soll es am Wochenende rund 200 Kundgebungen gegen Rechtsextremismus geben.
Seit gut drei Wochen gehen überall in Deutschland immer wieder Zehntausende Menschen gegen rechts und gegen die AfD auf die Straße. Auslöser ist eine Recherche des Medienhauses Correctiv zu einem Treffen radikaler Rechter mit einzelnen Politikern von AfD, CDU und Werteunion im November in Potsdam.
Scholz: Demonstrationen sind "starkes Zeichen"
Dort hatte der frühere Kopf der rechtsextremen "Identitären Bewegung" in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über das Konzept der sogenannten Remigration gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die zahlreichen geplanten Demonstrationen als "starkes Zeichen" für die Demokratie und das Grundgesetz bezeichnet. "Ob in Eisenach, Homburg oder Berlin: In kleinen und großen Städten im ganzen Land kommen viele Bürgerinnen und Bürger zusammen, um gegen das Vergessen, gegen Hass und Hetze zu demonstrieren - auch an diesem Wochenende", schrieb der SPD-Politiker am Samstag auf der Plattform X. Der Kanzler hatte die Großdemonstrationen zuletzt wiederholt gelobt und im Januar selbst an einer Kundgebung in Potsdam teilgenommen.
Die Großdemonstration in Berlin reihe sich in die Protestaktionen der vergangenen Wochen ein, teilten die Veranstalter mit. Zugleich sei sie gedacht als Auftakt für das Netzwerk Hand in Hand, das sich mit Blick auf die Wahlen in diesem Jahr für Demokratie und Menschenrechte einsetzen will.
Viele Initiativen unterstützen Protest
"Ja, unsere Demokratie ist in Gefahr", hieß es im Aufruf des Berliner Bündnisses. "Doch wir sind entschlossen, laut und aktiv zu werden: für eine offene, demokratische, plurale und solidarische Gesellschaft, gemeinsam gegen den Rechtsruck in Deutschland und Europa."
Zu den Unterstützern zählten viele kleine Initiativen, aber auch große Organisationen wie die Gewerkschaften Verdi, GEW und IG Metall, Amnesty International, Flüchtlingshilfsorganisationen und auch die Klimaprotestgruppen "Extinction Rebellion" und "Letzte Generation".
Das sagen andere Politiker zu den Demonstrationen
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland: "Viele Menschen in Deutschland sind entsetzt über die Deportationspläne rechtsextremer Netzwerke, die das Recherchenetzwerk Correctiv aufgedeckt hat." Es sei beunruhigend, "wie tief die AfD in diese Netzwerke eingebunden zu sein scheint". Gerade deshalb müsse man Initiativen stärken, die sich überall im Land für Demokratie, Vielfalt und Zusammenhalt einsetzten. Dazu müsse möglichst schnell das Demokratiefördergesetz vom Bundestag beschlossen werden.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, forderte dagegen mehr Schutz vor Diskriminierung. "Viele Menschen, die Rassismus und Diskriminierung erleben, haben gerade große Zukunftsängste. Und sie haben den Eindruck, dass die Politik nichts für sie tut und ihre Ängste und Sorgen nicht ernst nimmt." Von der Bundesregierung und den demokratischen Parteien komme fast nichts – "außer ein paar Lippenbekenntnisse". Die Bundesregierung bleibe sowohl beim Kampf gegen Diskriminierung als auch beim Thema Antisemitismus hinter dem eigenen Koalitionsvertrag zurück.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete es als "völlig richtig", dass die AfD Adressat der bundesweiten Proteste ist. "Sie ist eine zutiefst rechtsextreme Partei. Es schüttelt mich jedes Mal regelrecht, wenn ich diese hasserfüllten Reden höre", sagte Söder der "Rheinischen Post".
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Bereits mehr als 100.000 Demonstranten vor knapp zwei Wochen
In das Berliner Regierungsviertel waren schon einmal am 21. Januar nach Angaben der Polizei mehr als 100.000 Demonstranten gekommen. Der Bundestag, seit 1999 mit Sitz im umgebauten historischen Reichstagsgebäude, ist zentrales Symbol der bundesdeutschen Demokratie.
Am 29. August 2020 hatten einige Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen versucht, das Gebäude zu stürmen. Viele trugen damals "Reichsbürger"-Symbole und Flaggen bei sich. Die Polizei konnte sie nach Angaben beteiligter Beamter nur mit Mühe abwehren.
Ende 2022 ließ die Bundesanwaltschaft eine mutmaßliche Terrorgruppe um den Unternehmer Heinrich VIII. Prinz Reuß festnehmen, die ebenfalls einen Sturm auf das Reichstagsgebäude geplant haben soll. Ziel der Verdächtigen aus der "Reichsbürger"-Szene soll ein Umsturz unter Einsatz von Gewalt gewesen sein.
20.000 Demonstranten in Freiburg
Rund 20.000 Menschen hatten sich nach Polizeiangaben am Samstag in Freiburg versammelt, um gegen Rechtsextremismus zu protestieren. Zur größten Veranstaltung im Land hatten mehr als 300 Organisationen, darunter der Fußball-Bundesligist SC Freiburg, Gewerkschaften und Kirchen aufgerufen.
Nach einer Kundgebung auf dem Platz der Alten Synagoge setzte sich der Demonstrationszug durch die Freiburger Innenstadt in Bewegung. Die Stadtverwaltung rechnete mit größeren Verkehrsbehinderungen. Ähnliche Proteste wurden auch andernorts angemeldet – so in Lahr, Lörrach, Wiesloch und Aalen.
- zeit.de: "Menschenkette in Berlin wegen großem Andrang abgesagt"
- Nachrichtenagentur dpa