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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Habeck und das Gas Operation Reißleine
Der Staat übernimmt Deutschlands größten Gasimporteur Uniper. Die Regierung streitet jedoch weiter: Wer soll das alles bezahlen?
Die bittere Erkenntnis sickerte in den vergangenen drei Wochen so richtig durch: Die Milliardenhilfen, die erste Beteiligung des Staates, die neuen Gesetze und die mit allerlei Geburtsfehlern erschaffene Gasumlage, mit der die Bürger viele weitere Milliarden zuschießen würden, all das würde nicht reichen.
Seit ein paar Monaten treibt die Beamten im Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) der Problemfall Uniper wie kaum ein anderes Thema um. Immer wieder erdachten sie neue Ideen, mit der das größte Sorgenkind in der Energiekrise irgendwie gerettet werden soll.
Doch seit Wladimir Putin Deutschland auch das letzte Gas, das noch durch Nord Stream 1 floss, am 1. September abdrehen ließ, wurde Habecks Beamten von Tag zu Tag klarer, dass alle Maßnahmen Uniper eben doch nicht vor der Insolvenz retten würden.
Nun übernimmt der deutsche Staat die Firma nahezu komplett – bei 99 Prozent wird der Anteil liegen. Am Mittwochmorgen machte Robert Habeck den Schritt offiziell. Seit dem ersten Rettungspaket habe sich die Lage "deutlich verschlechtert".
Too big to fail
Zwar war Uniper bis vor Kurzem nur den wenigsten Bürgern ein Begriff. Doch ohne das Unternehmen bricht die Erdgasversorgung in Deutschland zusammen. Der Gas-Großhändler beliefert über 100 Stadtwerke und große Unternehmen, besitzt die meisten Speicher. Mit anderen Worten: too big to fail.
Zu bedeutend, als dass man die Pleite des Unternehmens einfach hinnehmen könnte. Aber Uniper machte nach eigenen Angaben zuletzt eben mehr als 100 Millionen Euro Verlust pro Tag. Deshalb zog Habeck jetzt die Reißleine.
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Unipers Problem ist, dass es so stark wie kein anderer Energieversorger auf russisches Gas ausgerichtet war. Und dieses ausbleibende Gas zuletzt zu horrenden Preisen auf anderen Wegen beschaffen musste.
Aus für die Gasumlage?
Mit der Übernahme entschied sich die Bundesregierung für eine Variante, die viele Beamte und Politiker schon vor Monaten favorisiert hatten: direkte Staatshilfen. Doch weil diese den Haushalt belasten könnten, war in erster Linie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dagegen. Der will bekanntlich auch in der gegenwärtigen Krise die Schuldenbremse einhalten.
Doch der Kompromiss geriet zu einem verflixten Konstrukt: Es sollten die Gaskunden sein, egal von welchem Versorger und Großhändler ihr Gas stammt, die die Zeche zahlen. Geboren wurde die umstrittene Gasumlage, 2,419 Cent pro KWh. Ihre Geburtsfehler waren zahlreich: Es blieb lange unklar, welche Unternehmen außer Uniper davon überhaupt profitieren, und wer sie zahlen muss – auch Kunden mit Festpreis- und Fernwärmeverträgen?
- Volle Gasspeicher: Ist das schon die Entwarnung?
Die Gasumlage war als Rettungsmaßnahme für Uniper gedacht, wurde aber auch von anderen Energiefirmen beantragt, die deutlich besser dastanden und teils satte Gewinne machten und machen.
Nun wird die Gasumlage, die Anfang Oktober eingeführt wird, voraussichtlich nicht lange gelten. Sonst würden die Kunden das Staatsunternehmen Uniper gleich doppelt stützen: über den Einstieg mit Steuergeldern und über den Aufschlag auf den Gaspreis.
Das Hin und Her von Habeck und Lindner
In der Ampel wollen viele die Gasumlage deshalb gern streichen. "Die rechtlichen Zweifel an einer Gasumlage steigen damit enorm", so formuliert es Fraktionsvize Matthias Miersch von der SPD.
Am liebsten hätte wohl Habeck auch selbst bei der Gasumlage die Reißleine gezogen. Dass es wegen der geplanten Uniper-Übernahme nun "finanzverfassungsrechtliche Bedenken" gebe, wie es bürokratisch korrekt heißt, drang seit Tagen aus seinem Haus in die Öffentlichkeit. Doch parallel arbeiteten die Beamten weiter an der Korrektur der Geburtsfehler.
Neben diesen inhaltlichen und rechtlichen Fragen gibt es auch politische Motive für Habeck, die Umlage wieder einzukassieren. Die offenkundigen Fehler bei der Gasumlage haben dem an hohe Beliebtheitswerte gewöhnten Vizekanzler heftige Kritik eingebracht und ihn viel Ansehen gekostet.
Habeck wäre wohl glücklich, wenn er das Kapitel Gasumlage möglichst schnell wieder vergessen machen könnte. Doch vorerst ist das nicht möglich. Der Minister kündigte am Mittwoch an, bis die Übernahme von Uniper in drei Monaten tatsächlich vollzogen sei, müsse die Gasumlage "als Brücke" erhoben werden. Nachmittags im Bundestag verteidigte er sie dann wütend.
Seine korrigierte Version legte er nun den Kollegen in der Bundesregierung vor. Er habe einen rechtssicheren Weg gefunden, um Trittbrettfahrer abzuschütteln, versicherte der Minister. Zugleich laufe die finanzverfassungsrechtliche Prüfung im Finanzministerium, betonte Habeck.
Doch dessen Chef Lindner will nichts davon wissen. Der FDP-Chef widersprach Habeck prompt: "Es gibt keine weitere Prüfung, sie ist abgeschlossen".
Und so sind die vielschichtigen Probleme und Koalitionsstreitigkeiten in der Energiekrise mit der Übernahme von Uniper längst nicht beigelegt.
Wahrscheinlich bleibt es ohnehin nicht die letzte staatliche Rettungsaktion. Bei seinem kurzen Auftritt am Mittwoch betonte Habeck, der Staat werde "alles Nötige tun, um die Unternehmen immer stabil am Markt" zu halten. "Das gilt für Uniper. Das gilt für die anderen großen systemrelevanten Unternehmen in Deutschland."
- Eigene Recherchen