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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Demo gegen Behörden Wut an der Ahr: Flutopfer gehen auf die Straße
Das Ahrtal steht auf: Erstmals demonstrieren Flutopfer wegen schleppender Hilfen beim Wiederaufbau. Die Betroffenen fürchten, dass Querdenker und Demokratiefeinde ihre Proteste kapern.
Iris Münn-Buschow fürchtet, dass sie auch im kommenden Winter mit Holz heizen muss. Das ist ein Grund, weshalb die 62-jährige aus Bad Neuenahr-Ahrweiler eine Demo anmeldet. Zum ersten Mal in ihrem Leben: die erste Demonstration von Flutopfern im Ahrtal überhaupt.
Dabei dürften sich am Donnerstagnachmittag Frust Bahn brechen über die schleppenden Aufbauhilfen nach der Katastrophe.Allerdings treibt sie auch eine andere Sorge um. Querdenker und Rechtspopulisten kapern solche Proteste gern mit ihren zweifelhaften Botschaften. Auch darüber spricht sie im Interview.
t-online: Frau Münn-Buschow, schert sich der Staat nicht um die Betroffenen der Flut?
Iris Münn-Buschow: Wir ärgern uns, dass ein ganzer Landstrich hängengelassen wird, wir hätten uns mehr Zusammenarbeit und Transparenz gewünscht. Aber wir würden nie sagen, dass der Staat sich nicht um uns schert. Es sind ja große Hilfen beschlossen, es gibt das Geld. Wir sind nicht staatsverdrossen, es gibt keinen bösen Willen. Aber viele staatliche Stellen managen eine Katastrophe immer noch mit den Mitteln und auf die Art, die sie gewohnt sind, und sind deshalb überfordert. Und die Menschen müssen darunter leiden. Das wollen wir zeigen.
Und es gibt die, die permanent zur Revolution anstacheln wollen und Ihre Demo exzessiv bewerben. Auf Telegram wurden die Postings zigtausendfach gesehen.
Ich habe das selbst nur von Facebook am Rande mitbekommen, ich bewege mich ja in den Gruppen nicht. Es gab wegen des Themas auch Kontakt mit der Polizei, die das auf dem Radar hat. Die haben mir geraten, gleich zu Beginn unserer Demo klarzumachen, dass wir die nicht wollen und deren Ansichten nicht teilen. Das werde ich sagen und solche Leute bitten zu gehen. Die helfen uns nicht, die schaden uns und unserem Anliegen. Und die Polizei hat uns Unterstützung zugesagt, wenn die unsere Kundgebung stören.
Mit wie vielen Demonstranten rechnen Sie denn?
Ich hatte jetzt noch einmal ein Gespräch und muss noch fünf Ordner nachmelden, weil wir jetzt von 300 Teilnehmern ausgehen; es haben sich jetzt auch welche von der oberen Ahr angekündigt. Wir können aber nicht abschätzen, ob es nicht noch mehr werden. Entstanden ist es aus einer WhatsApp-Gruppe mit 80 Mitgliedern. Das sind allesamt Betroffene von hier, keine Reichsbürger, wie sie hier in einer Schule waren. Über die habe ich mich schon in der ersten Woche geärgert, als hier plötzlich eine Gruppe ausgeschwärmt ist und mit Warnung vor einem Dammbruch Panik gemacht hat.
Für Ihre Demo wird auch damit Stimmung gemacht, dass für die Ukraine Geld da sei und für das Ahrtal nicht.
So etwas kommt nicht von uns. Ich habe mich zwar auch gewundert, wie flott Hilfe für die Ukraine beschlossen wurde, und wir haben die Sorge, dass die Katastrophe an der Ahr darüber in Vergessenheit gerät. Hier ist noch viel zu tun, hier sind Schäden entstanden, die man in vielen Kriegsgebieten nicht sieht. Geld sollte aber für beides da sein, auch für die Ukraine. Wenn ich könnte, würde ich auch spenden.
Schnell versprochen wurde auch Geld nach der Flut. Es gab einen Hilfsfonds mit 28 Milliarden Euro.
Das stimmt, das Geld ist vorgesehen. Aber das kommt eben sehr langsam an. Die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz, die in Rheinland-Pfalz für die Bewilligung der Aufbauhilfen zuständig ist, ist damit völlig überfordert. Da denkt man sich, wieso war es bei Corona möglich, dass dann Feuerwehr und Bundeswehr Gesundheitsämter personell unterstützt haben. Feuerwehr kann hier sicher nicht helfen, aber weitere Verstärkung muss doch möglich sein, damit es schneller geht.
Wie sind Sie selbst denn betroffen?
Das Erdgeschoss mit Wohn- und Esszimmer stand unter Wasser, der Keller mit der Heizung und Öltank sowieso. Der Boden musste bis auf die Kappendecke raus. Als das Wasser auf der Straße stand, hatte ich noch die Bücher und Platten retten wollen, aber wir haben uns dann nach oben in Sicherheit gebracht. Hätte man ein paar Stunden früher Bescheid gewusst... Und dann haben wir ein Gutachten erstellen lassen, das fünf Monate gedauert hat und seit sechs Wochen vorliegt. Damit können wir jetzt den Antrag stellen.
Dann liegt es aber doch gar nicht an der ISB.
In dem Fall bisher nicht. Aber da sieht man dann ein anderes Problem, das Verfahren. Die Menschen hätten Geld schon vor einer aufwendigen, detaillierten Prüfung bekommen sollen. Architekten können ja überschlägig schätzen, welcher Schaden bei einem Haus mindestens entstanden ist. Und wenn man so einen Mindestbetrag schon einmal bekommen würde und ein Gutachten nachreichen könnte, das hätte vielen Menschen sehr geholfen. Ohne die Baustoffzelte, an denen es gespendetes Material für Betroffene gibt, wären viele Menschen gar nicht weitergekommen, weil sie das Geld nicht haben. Wir selbst auch nicht. Wir können uns eine neue Heizung erst leisten, wenn wir das Geld haben. Ich fürchte, dass wir im nächsten Herbst auch zunächst noch behelfsmäßig mit Holz heizen müssen. Und manche Leute haben aufgegeben.
Flutopfer haben aufgegeben?
Ich kenne Leute, die sagen, dass sie das nicht schaffen, dass sie das fertig macht. Es sind ja auch viele Menschen traumatisiert. Ich rede auf die Leute ein, dass sie doch nicht Geld verschenken müssen, auf das sie Anspruch haben. Es überfordert aber auch viele.
Querdenker-Spenden nicht da
Kein Euro an die Ahr geflossen ist bisher von rund 700.000 Euro, die der Querdenken-Arzt Bodo Schiffmann in den Tagen nach der Flut über Paypal gesammelt hat. Nachdem er selbst zunächst keinen Abnehmer zu seinen Konditionen gefunden hatte, wollte er die Summe an einen esoterischen Verein abtreten. Der Verein machte jedoch einen Rückzieher. Schiffmanns Anwalt sagte t-online, das Geld solle nun nach entsprechenden Prüfungen von ihm für Hilfe an der Ahr weitergeleitet werden, sei abe rnoch immer nicht von Paypal freigegeben.
Und was soll der Staat da tun?
Am Anfang kurz nach der Flut gab es ein Schwarzes Brett am Marktplatz und jemanden, der dort saß. Da hatten die Menschen den Eindruck, dass es alle wichtigen Infos dort gibt. Jetzt steht das irgendwo auf einer Internetseite, das erreicht einfach nicht jeden. Da hätte mehr passieren müssen, da hätte es auch mehr Zuspruch geben müssen. Jetzt geht es immerhin an der oberen Ahr los mit aufsuchender Hilfe, wo die Menschen noch zu Hause besucht werden.
Das heißt aber, es gibt die Hilfe sehr wohl – für die, die mit dem Internet vertraut sind und Anträge ausfüllen können?
Die haben es natürlich einfacher. Aber da weiß ich auch von Leuten, die seit Oktober warten. Oder von einem Fall, wo jemand nach seinem Antrag als Antwort bekam, er solle sich noch einmal melden und einen Monat später hieß es, der Antrag sei im System verloren gegangen. Und es gibt auch Ungerechtigkeit unter den Flutopfern, abhängig vom Bundesland.
Wie das?
Nach Erhalt des Förderbescheids kann in Rheinland-Pfalz eine erste Abschlagszahlung von 20 Prozent beantragt werden. In Nordrhein-Westfalen sind es 40 Prozent. Das kann doch keiner erklären.
Es sind auch Info-Points eingerichtet worden.
Die Menschen dort leisten gute Arbeit, wenn sie bei den ISB-Anträgen helfen, aber die sind voll ausgelastet. Und es sagt ja von uns keiner, dass alles schlecht ist. Eine Sorge ist ja auch, dass wichtige Angebote aufgegeben werden. Deshalb gab es auch die ersten Gedanken zu einer Demo, als erstmals überlegt wurde, die Versorgungszelte zu schließen.
Bestseller-Autor unterstützt
Der an der Ahr lebende Bestseller-Autor Andy Neumann sieht für Bewohner des Ahrtals "eine Menge gute Gründe, wütend zu sein, traurig, verzweifelt und auch nur skeptisch". Es liege seitens der Landesregierung und der kommunalen Verwaltung noch immer unglaublich viel im Argen, sagte der Autor des Buchs "Es war doch nur Regen!? Protokoll einer Katastrophe" zu t-online. Neumann, Beamter beim BKA, warnt aber auch: Menschen, die vollkommen andere Interessen vertreten, sollten die Demo nicht kapern – und für dieses Bestreben gebe es reihenweise Hinweise.
Wieso sind die wichtig?
Da können Menschen zum Essen hingehen. Es gibt hier immer noch viele, die keine Küche haben oder Zwei-Platten-Herde, das ist kein Spaß. Wenn man den ganzen Tag im Haus gearbeitet hat, fehlt einem auch oft die Kraft, noch zu kochen. Da sind keine kulinarischen Höhepunkte, und man zahlt auch einen Obolus, aber es sind auch Treffpunkte, die wichtig sind für die Menschen.
Die Demo führt zur Kreisverwaltung, und dort wird auch die Landrätin Cornelia Weigand zu Ihnen sprechen. Was erwarten Sie sich von der Frau, die im Januar in das Amt gewählt worden ist, nachdem sie sich zuvor als Krisenmanagerin der Verbandsgemeinde Altenahr bewährt hat?
Sie wird nicht da sein, unsere Ankündigung war ein Missverständnis. Eine Delegation von uns hatte ein Gespräch bei ihr, und sie wäre auch zu der Demonstration gekommen, aber sie hat einen anderen Termin. Sie hat viel Verständnis für die Kritik, und wir hoffen, dass sie sich noch mehr zur Anwältin für unser Anliegen macht. Es geht aber ja um sehr viele Stellen. Sie kann ja auch nicht ändern, dass beispielsweise Spenden von Winzern für Winzer wegen des Spendengesetzes nicht fließen dürfen. Das Gesetz muss auch geändert werden.
Landrätin Cornelia Weigand und Bad Neuenahr-Ahrweilers Bürgermeister Guido Orthen haben in einem Video zu den Forderungen der Demonstranten Stellung genommen.
Und die Spenden in Höhe von 270 Millionen, die an "Deutschland hilft" gegangen sind?
Das ist ein weiteres Ärgernis. Die liegen zum großen Teil bei den Hilfsorganisationen. Nach den ersten Soforthilfen können sie beim Wiederaufbau erst dann helfen, wenn Betroffene Hilfsgelder vom Staat bekommen haben. Das haben viele Menschen sicher auch anders erwartet.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonat mit Iris Münn-Buschow
- swr.de: Bürokratie verhindert Auszahlungen von Spenden für das Ahrtal
- badneuenahr-ahrweiler.de: Info-Flyer Hochwasserhilfe