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Die "Generation Merkel" – Ende eine Ära: "Ich habe Angst vor der Zukunft"


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Jüngere Generationen
"Mich interessiert Frau Merkel nicht"


Aktualisiert am 13.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Merkel besucht eine Schule in Groß Gerau: "Ich habe Angst vor der Zukunft", sagt eine Vertreterin der "Generation Merkel"..Vergrößern des Bildes
Merkel besucht eine Schule in Groß Gerau: "Ich habe Angst vor der Zukunft", sagt eine Vertreterin der "Generation Merkel".. (Quelle: Christian Thiel/imago-images-bilder)

16 lange Jahre hat Angela Merkel regiert, eine ganze Generation kennt bisher nur sie als Kanzlerin. Wie sind die jungen Menschen unter ihr und mit ihr aufgewachsen? Eine Erkundung zum Ende einer Ära.

"Prägend für eine ganze Generation junger Frauen und Männer" sei sie gewesen, sagte der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als er Angela Merkel (CDU) im Schloss Bellevue feierlich die Entlassungsurkunde überreichte. Noch ist die Kanzlerin geschäftsführend im Amt, doch die Tage sind gezählt.

16 Jahre Angela Merkel – eine ganze Generation kennt nur sie an der Spitze der deutschen Regierung. Wie blickt die "Generation Merkel" auf die Politik, den Zustand der Welt, auf ihre Leben? Und was haben sie von Angela Merkel mitgenommen, was war besonders prägend? Hier kommen vier junge Menschen zu Wort.

"Generation Merkel": Spaß, Sinn, Sicherheit

Der Jugendforscher Simon Schnetzer beschreibt die "Generation Merkel" mit drei Worten: "Spaß, Sinn und Sicherheit" – diese drei Konzepte seien den jungen Menschen von heute besonders wichtig. Viele Vertreter dieser Generation seien enttäuscht von der Politik: "Es gibt ein Sinnvakuum in Deutschland: Die Politik bietet im Moment wenig Sinnstiftendes. Wir sind Problembewältiger, aber keine Visionäre."

Die Merkelsche Regierungszeit war gezeichnet von zahlreichen Krisen: Klima, Flüchtlinge, Corona – das habe etwas mit den jungen Menschen gemacht, sagt Schnetzer. Es habe sich eine Wende in ihrer Wahrnehmung vollzogen: "Während Deutschland Krisen zuvor oft als Zaungast betrachtete, bemerkte diese Generation: Die Konflikte betreffen uns maßgeblich selbst."

► Lea Nausner, 20 Jahre

"Ich habe Angst vor der Zukunft", sagt Lea Nausner. Die Klimakrise sei ungreifbar: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist, wenn die Niederlande überschwemmt werden", sagt die Münchnerin. "Diese Unsicherheit ist furchteinflößend. Ich frage mich, in was für einer Welt ich leben werde – ob man da noch etwas tun kann, oder ob es schon zu spät ist."

Der Klimawandel sei eine grundlegende Frage für viele junge Menschen, sagt der Experte Schnetzer: "Das Damokles-Schwert über dieser Generation ist: Können wir die Weichen stellen für eine lebenswerte Zukunft, in Wohlstand und ohne dass uns das Klima frisst?" Dabei sei diese Generation die wahrscheinlich politischste seit den 68ern. "Die Auffassung ist: Die Klimakrise müssen wir, die Jüngeren, ausbaden", sagt Schnetzer.

Regelmäßig demonstriert Nausner mit der Klimabewegung Fridays for Future. "Aber da folgen nicht wirklich Taten", sagt die 20-Jährige. Sie sei desillusioniert: "Es gibt einige Momente, in denen ich mich frage: Bringt Aktivismus überhaupt was, oder soll ich mich nur um mein Leben kümmern?"

Das kreidet sie der scheidenden Bundeskanzlerin an: "Als ehemalige Umweltministerin hatte sie schon früh vor dem Klimawandel gewarnt. Ich habe kein Verständnis dafür, dass gerade sie als Bundeskanzlerin nicht wirklich gehandelt hat. Die Klimaziele erreichen wir nicht."

Die Politik denke zu wenig an die nachkommenden Generationen. Auch deshalb engagiere sie sich seit zwei Monaten beim Jugendrat der Generationenstiftung, der sich als Lobby für die junge Generation versteht. "Ich finde das total wichtig, dass junge Menschen von der Politik gehört werden", sagt Nausner.

Jugendforscher Schnetzer zufolge ist der Wunsch, mehr beteiligt zu werden, sehr verbreitet in der "Generation Merkel". Deshalb sähe auch viele die Regierungsweise der scheidenden Kanzlerin kritisch: "Merkel hat regiert und nicht beteiligt." Für viele der jungen Leute sei jetzt aber klar: "Die Zeiten des passiven Zuschauens sind vorbei."

So denkt Nausner ebenfalls. Auch in ihrem Beruf will sich die 20-Jährige für die nachfolgende Generation einsetzen: Gerade lässt sie sich in München zur Erzieherin ausbilden. "Ich will, dass Kinder von Anfang an die Chance bekommen, unterstützt zu werden und alle die gleichen Chancen haben", so Nausner.

► Meriam*, 12 Jahre

Die Sechstklässlerin Meriam (Name geändert) hofft inständig, dass die Schulen nicht wieder geschlossen werden. Das sei sehr schlimm für sie gewesen. Sie fand es schwer, zu Hause zu lernen. Obwohl ihre fünf älteren Geschwister ihr bei den Schulaufgaben geholfen haben, verschlechterten sich ihre Noten, so die Berlinerin.

Laut Jugendforscher Schnetzer habe die Corona-Pandemie die jungen Menschen sehr geprägt: "Im Privaten hat diese Generation eine Erfahrung von Kontrollverlust hinter sich."

Doch Meriam hat ihren Optimismus nicht verloren. Gut in der Schule zu sein, sei ihr wichtig, später will sie als Anwältin arbeiten. "Ich mag es, mich für Menschen einzusetzen und ihnen zuzuhören", sagt die junge Muslima. Sie weiß jetzt schon: "Ich will später etwas erreichen". Und das bedeute für sie: "Gutes zu tun".

In der Schule gefallen ihre "eigentlich alle Fächer". "Mich interessiert es, wenn ich etwas Neues lernen kann". Doch ihr Lieblingsfach sei Gesellschaftswissenschaften. Manchmal schaue sie beim Aufstehen die Nachrichten im Fernsehen. "Frau Merkel wirkt da nett", sagt sie. "Ich mag sie sehr, ich hätte es schön gefunden, wenn sie noch Kanzlerin geblieben wäre." Meriam finde es auch gut, dass ihre Kanzlerin – "denn mit ihr bin ich aufgewachsen" – eine Frau ist. "Oft werden in der Politik eher Männer gewählt", sagt sie.

► Mona*, 14 Jahre

Mona (Name geändert) sitzt in ihrem blauen Adidas-Anzug in einer Berliner U-Bahn-Station, scrollt durch Tiktok und wartet auf ihre Freunde. Eben erst sei sie mit ihrer Familie nach Sachsen-Anhalt gezogen, doch so oft wie möglich komme sie mit dem Zug zurück in die Hauptstadt, um mit Bekannten "abzuhängen". Die kenne sie nicht über die Schule, sondern "privat". "Ich mache eigentlich nichts sonst, ich treffe mich nur mit meinen Freunden", sagt die 14-Jährige, das sei ihr das Wichtigste.

Politik interessiere sie nicht, Frau Merkel eigentlich auch nicht. Ob sie es gut finde, dass die Bundeskanzlerin eine Frau ist? Da überlegt sie kurz – und sagt: "Mir ist das eigentlich egal". Manchmal würde in der Schule über Politik gesprochen, aber das finde sie langweilig. Auch die Corona-Pandemie habe sie nicht sehr belastet. "Nur die Masken mag ich nicht", sagt Mona (ohne Maske) in der U-Bahn-Station.

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► Elias Thies, 17 Jahre

Im nächsten Jahr wird Elias Thies sein Abitur machen. Danach will er nicht direkt ein Studium oder eine Ausbildung anfangen, sondern einen Freiwilligendienst an einer Förderschule. Erst danach könne er sich vorstellen, zum Beispiel Lehramt zu studieren. "Wenn mir das Jahr zusagt, ist es natürlich gut, ansonsten ist es auch eine Erfahrung wert. Es wird keine vertane Zeit sein", sagt Thies.

Darüber, was er vom Leben will, habe er sich noch nicht so viele Gedanken gemacht. "Unabhängig sein, gesund bleiben, das natürlich ganz vorneweg", sagt der 17-Jährige. "Dass man nicht jeden Cent umdrehen muss, einfach ein selbstbestimmtes Leben führen".

So gehe es vielen in der Generation, sagt Jugendforscher Schnetzer. Bei den Workshops, die er in Schulen anbiete, frage er die Schüler, was sie sich für ihre Zukunft wünschten. Familie, Haus, Gesundheit, Geld, seien häufige Antworten. "Das sind Ziele, die die vorausgehenden Generationen auch hatten, ein klassisches Zukunftsbild", so der Experte.

Der 17-jährige Thies blickt positiv in die Zukunft. "Ich bin selbst dafür verantwortlich", sagt er. Sein großes Glück sei, dass er von seinen Eltern nicht in seinen Entscheidungen eingeschränkt werde: "Außer, wenn ich etwas anfange, dann soll ich das auch vernünftig machen." Das sei die Erwartung.

Trotz der vielen Krisen habe er keine Angst vor dem, was kommt, "Respekt würde es eher treffen – vor allem was das Klima angeht". Kanzlerin Merkel habe sich nicht richtig um die Klimafrage gekümmert. Daher habe er "ein unwohles Gefühl". "Warum wurde da nicht gehandelt?", fragt er.

Trotzdem denke er, dass auch seine Generation es in der Hand habe: "Man kann sich engagieren und etwas bewirken." Zum Beispiel bei den kleinen Dingen anfangen: Er engagiert sich etwa als Schülersprecher an seinem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen und plante dort einen Schulgipfel zum Klima.

Das Gefühl von Selbstwirksamkeit – dass man durch eigenen Einsatz etwas erreichen könne – sei für viele in dieser Generation wichtig, sagt der Jugendforscher Schnetzer. So klingt das auch bei Thies. Durch sein Schülersprecher-Amt habe er gesehen, dass man etwas erreichen kann, "dass man nicht hilflos ist". Beispielsweise sei der Innenhof der Schule komplett zugewuchert und unnutzbar gewesen. Doch die Schülervertretung habe sich eingesetzt: "Wir haben geschafft, dass was verändert wurde – die Stadt hat den Hof renoviert." Jetzt endlich könne man dort in den Freistunden "vernünftig sitzen".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit Simon Schnetzer am 20.9.2021
  • Persönliche und telefonische Gespräche mit den Jugendlichen
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