1. Mai in Berlin "Schlichte Unvernunft": Trotz Corona protestieren Tausende
Wegen der Corona-Krise musste die Großdemonstration zum 1. Mai in Berlin ausfallen – eigentlich. Denn Tausende haben sich dennoch in Kreuzberg zum Protest versammelt.
Nach Aufrufen linker Gruppen sind in Berlin am Abend des 1. Mai trotz der Corona-Beschränkungen laut Beobachtern mehrere Tausend Menschen unerlaubt durch Kreuzberg gezogen. Die alljährliche "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" gegen den Kapitalismus, die oft Ausgangspunkt von Auseinandersetzungen mit der Polizei war, fiel wegen der Pandemie aus. Im Internet war aber zu spontanen Protesten aufgerufen worden.
Feuerwerk wurde gezündet, Sprechchöre gegen die Polizei skandiert. Die Einsatzkräfte versuchten, Demonstrationszüge zu verhindern. Platzverweise wurden erteilt, per Lautsprecher wurden die Aktivisten aufgefordert, sich zu zerstreuen. Nach Einbruch der Dunkelheit kam es zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizisten, vereinzelt flogen Flaschen. Einsatzkräfte mit Helmen zogen Einzelne aus der Menge, es gab Widerstand gegen die Festnahmen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) zufolge waren am Abend auf der Oranienstraße etwa 1.000, am Görlitzer Park etwa 3.000 Menschen unterwegs, wie die "Berliner Morgenpost" berichtete.
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Angekündigt worden war eine dezentrale Protestaktion: Ab 18 Uhr teilten die Veranstalter regelmäßig neue Orte in Kreuzberg mit, zu denen die Demonstranten auf verschiedenen Wegen, mit Masken "vermummt" und bei Wahrung des Mindestabstands von 1,5 Metern kommen sollten. Eine Reporterin beobachtete dennoch Straßen, in denen sich teilweise hunderte Menschen dicht gedrängt gleichzeitig aufhielten.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte in der RBB-"Abendschau": "Dass sich Menschen in solchen Größenordnungen mit so geringem Abstand versammeln, ist schlichte Unvernunft". Die Polizei werde versuchen, Gewaltausbrüche zu verhindern.
Geisel räumte laut "Berliner Morgenpost" aber auch ein, dass viele Polizisten ohne Mundschutz unterwegs waren und Abstände nicht einhielten. Alle hätten Schutzausrüstung erhalten, könnten aber selbst entscheiden, wann sie sie anlegen wollen.
Aufzüge sowie größere Ansammlungen sind wegen der Pandemie derzeit verboten, die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen ist derzeit eine Straftat. Die Polizei hatte mehrere Straßen gesperrt. Ketten aus Polizisten und Einsatzfahrzeuge standen auf den Fahrbahnen und zerteilten so die große Menge. Dennoch kam es außerhalb der Sperrungen zu den Spontandemos.
Polizeipräsidentin Slowik: "Lässt mich nur den Kopf schütteln"
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik reagierte im RBB-Fernsehen mit Unverständnis auf die Menschenansammlungen: Unvernünftige Bürger hätten das Abstandsgebot nicht gewahrt. Sie seien zunächst flaniert und dann zu einer "gaffenden Gruppe" worden. "Das konnten wir nicht zu jedem Zeitpunkt verhindern", sagte Slowik. "Natürlich hätten wir gerne mehr vernünftige Bürgerinnen und Bürger auf den Straßen gehabt. Dass es in Kreuzberg zu solchen Ansammlungen kam, lässt mich nur den Kopf schütteln."
Die Polizei sei aber konsequent eingeschritten, sagte Slowik. Es werde daran gearbeitet, Strafverfahren einzuleiten. Sechs Menschen wurden laut den Angaben von Slowik vom Abend dem Haftrichter vorgeführt. Es habe bislang 50 Festnahmen und fast 100 Freiheitsbeschränkungen (Identitätsfeststellungen) gegeben. Trotzdem zog die Polizeipräsidentin eine bislang positive Bilanz des 1. Mai-Einsatzes. Es sei vielerorts gelungen, den Infektionsschutz durchzusetzen und Versammlungen zu unterbinden.
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Polizei mit 5.000 Beamten im Einsatz
Die Polizei war am Freitag mit einem Großaufgebot von 5.000 Kräften im Einsatz. Genehmigt waren laut Innensenator in der Stadt 27 Versammlungen mit jeweils bis zu 20 Teilnehmern, darunter ein Autokorso ins Villenviertel Grunewald. Dort habe es keine besonderen Vorkommnisse gegeben.
Am Nachmittag trafen sich am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte Gegner der Corona-Maßnahmen, darunter auch Anhänger von Verschwörungstheorien und Mitglieder rechter Gruppen, zu einer nicht erlaubten Versammlung. Am Rand der sogenannten "Hygiene-Demonstration" kam es zu einem Zwischenfall: Ein Kamera-Team des ZDF wurde von einer Gruppe angegriffen, laut Polizei wurden mehrere Menschen verletzt ins Krankenhaus gebracht. Sechs Verdächtige wurden festgenommen.
In den 80er- und 90er-Jahren lieferten sich Tausende aus der linken Szene am 1. Mai in Kreuzberg Straßenschlachten mit der Polizei. In späteren Jahren gab es stundenlange Demonstrationen, gefolgt von einem kurzen Anrennen gegen die Staatsmacht. Zuletzt dämmten Straßenpartys die Gewalt ein.
Demos auch in Hamburg und Leipzig
Die Hamburger Polizei löste am Freitagabend eine nicht genehmigte Versammlung auf der Reeperbahn auf. Mehrere Hundert Menschen offenkundig aus dem linken Spektrum hatten sich auf der Amüsiermeile trotz des coronabedingten Versammlungsverbots eingefunden und antifaschistische Slogans skandiert. Die Polizei forderte die Teilnehmer auf, die Reeperbahn zu verlassen, und drohte mit dem Einsatz von Wasserwerfern. Die Menge kam der Aufforderung schleppend nach.
Auch im linksalternativen Leipziger Stadtteil Connewitz demonstrierten am 1. Mai mehrere hundert Menschen, nach ersten Schätzungen der Polizei mehr als 200. Die Initiative #NichtaufunseremRücken hatte dazu aufgerufen. Die Demonstranten waren mit Mundschutz "vermummt". Das Ordnungsamt hatte dem spontan zugestimmt, so eine Polizeisprecherin. Nach Angaben der Polizei verlief der Aufzug friedlich.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP
- "Berliner Morgenpost": Newsblog zum 1. Mai