Merkel zur Wiedervereinigung "Hatte die Hoffnung, dass es schneller geht"
Es war eine Weltsensation, als Günter Schabowski vor 30 Jahren fast beiläufig die Öffnung der Grenzen verkündete. Doch zu all dem Jubiläums-Jubel gesellen sich auch nachdenkliche Töne – vor allem von der Kanzlerin.
Die Wiedervereinigung nimmt nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich erhofft. "Bei manchem, von dem man gedacht hat, dass es sich zwischen Ost und West angleichen würde, sieht man heute, dass es doch eher ein halbes Jahrhundert oder länger dauert", sagte Merkel der "Süddeutschen Zeitung". "Nach zehn oder zwanzig Jahren hatte man die Hoffnung, dass es schneller geht. Aber dreißig Jahre haben schon etwas fast Endgültiges", meinte die aus dem Osten stammende 65-Jährige.
Damit widerspricht die Kanzlerin der Einschätzung von Ex-Kanzler Helmut Kohl. Der hatte 1990 im Bundestagswahlkampf "blühende Landschaften" gesprochen, die im Osten bald entstehen würden.
Gedenkveranstaltungen am Samstag
In Berlin wird am Samstag an die friedliche Revolution und den Mauerfall erinnert. Zu einem zentralen Gedenken in der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße wird neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Kanzlerin erwartet.
Der 30. Jahrestag des Mauerfalls wird nach Einschätzung von Merkel intensiver diskutiert als frühere Jubiläen. "Außerdem wird es jetzt vielleicht auch deshalb intensiver empfunden, weil nationalistische und protektionistische Tendenzen weltweit zugenommen haben, so dass wieder mehr aus dem nationalen Blickwinkel diskutiert wird. Und da richtet sich der Blick dann auch verstärkt auf die Unterschiede, die es zwischen den alten und den neuen Bundesländern gibt", sagte Merkel in der "SZ".
"Das Leben in der DDR war manchmal fast bequem"
Merkel warb um Geduld. "Auch die Mühen der Freiheit, alles entscheiden zu müssen, müssen gelernt werden", sagte sie. "Man muss sich viel mehr kümmern, das ist ja auch nicht allen in die Wiege gelegt. Das Leben in der DDR war manchmal auf eine bestimmte Art fast bequem, weil man manche Dinge einfach gar nicht beeinflussen konnte."
Bei den Feierlichkeiten am Samstag empfängt der Bundespräsident zunächst die Staatspräsidenten der Slowakei, Polens, Tschechiens und Ungarns im Berliner Schloss Bellevue, bevor sie zusammen zu der Veranstaltung an der Bernauer Straße fahren. Dort werden sie auch das Denkmal "Die Kauernde, sich aufrichtend" besuchen, das den Beitrag der Staaten zum Fall der Mauer am 9. November 1989 würdigt.
Bei der Gedenkveranstaltung auf dem früheren Todesstreifen werden laut Mauer-Stiftung auch Schüler sprechen. Zudem sollen Rosen für die Opfer in die Hinterlandmauer gesteckt werden. An einer Andacht in der Kapelle der Versöhnung nimmt auch die Kanzlerin teil, die dort auch sprechen wird. Danach werden Kerzen entzündet. Damit soll laut Stiftung der Mut der DDR-Opposition gewürdigt werden, die die friedliche Revolution möglich gemacht habe.
Die Bernauer Straße gilt als Symbol der deutschen Teilung. Als die Mauer 1961 hochgezogen wurde, lag die Häuserfront der Straße im Osten, der Bürgersteig im Westen. Zur heutigen Erinnerungslandschaft unter freiem Himmel gehören original erhaltene Mauerteile.
Sachsen-Anhalt und Niedersachsen haben eine gemeinsame Feierstunde mit ihren Länderchefs geplant. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wird im bayerischen Hof erwartet. Hessen und Thüringen feiern zusammen mit ihren Ministerpräsidenten ein Bürgerfest. Im früheren Grenzort Mödlareuth soll symbolisch wieder ein Tor zwischen Thüringen und Bayern geöffnet werden.
In Berlin wird der Bundespräsident am Brandenburger Tor bei einer großen Bühnenshow zu den Menschen sprechen (18.00 Uhr), ebenso die frühere DDR-Oppositionelle Marianne Birthler. Die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim spielt die 5. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Zum Abschluss soll ein Feuerwerk in den Himmel steigen.
Das Programm wird von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) eröffnet. Er hatte am Freitag bei einer Feierstunde im Abgeordnetenhaus gesagt: "Berlin, Deutschland freue Dich darüber, was Du in den letzten 30 Jahren geschaffen hast."
Studie bestätigt: Leben der Menschen ist besser geworden
Nach einer Studie im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finden 74 Prozent der Menschen, dass das Leben nach dem Mauerfall besser geworden ist – gleichermaßen in Ost und West. Mehr als drei Viertel empfinden die Öffnung der Grenzen als Glücksfall. Aktuell denken aber 41 Prozent, dass die Unterschiede zwischen den Menschen in Ost- und Westdeutschland gegenüber Gemeinsamkeiten überwiegen.
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Mit dem Mauerfall ging die deutsche Teilung nach mehr als 28 Jahren zu Ende. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen starben an der knapp 160 Kilometer langen Berliner Mauer mindestens 140 Menschen durch das DDR-Grenzregime. An einer Studie, wonach an der deutsch-deutschen Grenze mindestens 327 Menschen ums Leben kamen, waren zuletzt Zweifel aufgekommen.
- Nachrichtenagentur dpa