Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Reform ist nötig Unsere Mehrwertsteuer ist ein unüberschaubares Chaos
Sieben Prozent auf Schnittblumen, 19 Prozent auf Tampons: Das Mehrwertsteuer-System ist kaputt, meint CDU-Politikerin Jenna Behrends in ihrem Gastbeitrag. Sie fordert eine umfassende Reform.
Steuern müssen gerecht sein. Unser Mehrwertsteuer-System ist es schon lange nicht mehr. Aber anstatt über das gesamte System zu sprechen, diskutieren wir nur einzelne Bereiche. Zuletzt hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vorgeschlagen, den Mehrwertsteuersatz auf Fernverkehrstickets von 19 auf sieben Prozent zu senken. Er möchte das Bahnfahren attraktiver machen, statt zu Verboten oder Tempolimits zu greifen.
Scheuer argumentiert unter anderem mit dem Klimaschutz, der eine niedrigere Besteuerung rechtfertigen würde. Gegenüber dem subventionierten Flugverkehr ist die Bahn in steuerlicher Hinsicht tatsächlich benachteiligt. Aber wenn wir uns ansehen, wer noch von niedrigeren Mehrwertsteuersätzen profitiert, dann hat Klimaschutz bisher keine Rolle gespielt: Für Hundefutter und Schnittblumen gilt zum Beispiel der ermäßigte Satz von sieben Prozent.
Jenna Behrends, geboren 1990, ist Politikerin der CDU und Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Mitte. Sie hat Jura studiert, eine journalistische Ausbildung und ist Autorin des Buches "Rabenvater Staat. Warum unsere Familienpolitik einen Neustart braucht". (Foto: Andi Weiland)
Schnittblumen, und dafür muss man nun wahrlich kein Klimaexperte sein, sind keine Umweltparty. Sie kommen häufig entweder aus geheizten Gewächshäusern in den Niederlanden oder werden aus Ländern eingeflogen, in denen Wassermangel herrscht. Auch unsere geliebten, fleischfressenden Haustiere fallen leider in die Kategorie Klimakiller (wenn wir all die Freude, die sie uns bringen, sowie die nachgewiesenen gesundheitlichen Vorteile außer Acht lassen). Wirklich durchdacht ist das alles nicht.
Das Lebensnotwendige sollte bezahlbar sein
Unterschiedliche Mehrwertsteuersätze haben wir seit 1967. Der Bundestag wollte damals sicherstellen, dass die Grundprodukte, die jeder zum Leben braucht, auch für Niedrigverdiener erschwinglich bleiben. Seitdem zahlen wir auf Lebensmittel, Bücher und Zeitungen weniger Steuern. Dieser Grundgedanke mag gut gewesen sein. Heute ist das System aber so verwässert, dass es nicht mehr funktioniert.
Das spüren besonders Familien, denn mit Kindern steigt auch der notwendige Konsum. Die Ausgaben summieren sich schnell: ein Paket Windeln für 7,95 Euro, ein Tragetuch für 59,99 Euro und zwei Schnuller für 6,99 Euro. Immer darin enthalten sind 19 Prozent Mehrwertsteuer. Je niedriger das Einkommen ist und je mehr Familienmitglieder davon leben müssen, desto mehr indirekte Steuern müssen Familien im Verhältnis zahlen. Geld, das anderswo fehlt und mit dem sie übrigens das Kindergeld, das sie bekommen, fast gegenfinanzieren. Von einer Familienförderung kann hier also nicht gesprochen werden.
Allein für Windeln geben Eltern im Jahr 635,5 Millionen Euro aus. Darin enthalten sind mehr als 120 Millionen Euro an Steuern. Mit jeder vollgekackten Windel gehen ungefähr drei Cent an die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist unverständlich, wieso Windeln mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegt sind. Teure Trüffel hingegen, die im Feinkostladen neben dem Drogeriemarkt verkauft werden, mit sieben Prozent. 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Windeln, sieben auf Trüffel: Ist das gerecht? Es lässt sich systematisch kaum rechtfertigen, dass Hundefutter weniger besteuert wird als Kinderkleidung.
Die Monatsblutung als Luxus
Mit diesem Gedankenspiel können wir gleich im Drogeriemarkt weitermachen: Ein Blick auf den Kassenbon zeigt, dass Tampons als Hygieneartikel deklariert werden und deshalb mit 19 Prozent besteuert werden. Jede Frau gibt im Laufe ihres Lebens bis zu 5.000 Euro für Binden und Tampons aus. Ob sie will oder nicht. In steuerlicher Hinsicht gilt die Monatsblutung als Luxus.
Es ist an der Zeit, jede steuerliche Begünstigung kritisch zu hinterfragen –auch wenn das zum Unmut derer führt, die bisher vom niedrigen Mehrwertsteuersatz profitierten, wie zum Beispiel den Hoteliers. 2010 erhielten diese ein riesiges Geschenk, als die schwarz-gelbe Koalition den Mehrwertsteuersatz auf Hotelübernachtungen von 19 auf sieben Prozent reduzierte. Anschließend wurden große Wahlkampfspenden der Hotelkette Mövenpick an die FDP bekannt.
Eine wichtige Einnahmequelle für den Staat
Wir müssen endlich wieder das Gesamtbild im Blick haben. Die Mehrwertsteuer ist für den Staat eine sehr wichtige Einnahmequelle. Momentan kommen rund drei Viertel der staatlichen Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen und indirekten Steuern. Jede Ausnahme kostet den Fiskus viel Geld. Reformen des Mehrwertsteuersystems müssen deshalb sehr sorgsam angegangen werden.
Außerdem sollten wir Steuer- und Sozialpolitik nicht unnötig miteinander vermischen. Aber mit der Umweltsteuer gibt es bereits heute ein Beispiel für Steuern mit Lenkungseffekt. Genauso existieren unterschiedliche Mehrwertsteuersätze seit Jahrzehnten. Daraus ist mittlerweile nur leider ein unüberschaubares Chaos gewachsen.
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"Das haben wir schon immer so gemacht" ist schlechte Politik. Nicht nur im Steuerrecht. Alle Mehrwertsteuersätze müssen endlich auf den Prüfstand. Wir müssen uns bei jedem Produkt fragen, wen wir be- und wen wir entlasten wollen. Und ob es am Ende nicht sogar gerechter ist, doch wieder nur einen einheitlichen, niedrigeren Satz zu haben? Es wird Zeit für eine Kommission, die sich mit dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze befasst. (Generationen-)gerechtigkeit mit Blick auf das Klima und Familien sollte dabei ganz oben auf der Kriterienliste stehen.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung der Autorin wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.