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Immer mehr junge Frauen fliehen aus Saudi-Arabien


Frauen fliehen aus Saudi-Arabien
"Du hättest wenigstens Tschüss sagen können"

Von dpa
16.02.2019Lesedauer: 4 Min.
Eine schwarz verschleierte Frau geht durch ein Einkaufszentrum in der saudi-arabischen Hauptstadt (Archivbild): Immer mehr junge Frauen aus Saudi-Arabien suchen verstärkt auch in der EU und Deutschland Asyl und lassen alles zurück.Vergrößern des Bildes
Eine schwarz verschleierte Frau geht durch ein Einkaufszentrum in der saudi-arabischen Hauptstadt (Archivbild): Immer mehr junge Frauen aus Saudi-Arabien suchen verstärkt auch in der EU und Deutschland Asyl und lassen alles zurück. (Quelle: Arno Burgi/dpa-bilder)

Immer mehr junge Frauen aus Saudi-Arabien fliehen vor der Bevormundung durch ihre Familie. Vielen hilft eine App, die sie eigentlich kontrollieren soll.

Noch ein letztes Mal stiehlt die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren das Handy ihres Vaters. Draußen, in einer hinteren Ecke im Hof, hat sie drei Taschen zwischen einigen Kisten versteckt. Sie öffnet die App, die ihr Leben reglementiert und kontrolliert die Einstellungen. Dann steigt sie in ein Taxi Richtung Flughafen. Am nächsten Tag sitzt Dania (Name geändert) in einer Sammelunterkunft in Deutschland.

Junge Frauen aus Saudi-Arabien beantragen sei einigen Jahren vermehrt Asyl in Deutschland und der EU. Sie wollen der Bevormundung durch ihre Familien entgehen. Denn auch als Erwachsene können Frauen in dem konservativen Königreich nicht selbst einen Pass beantragen oder nach eigenem Willen heiraten, sie brauchen dafür das Einverständnis eines Mannes der Familie.

Verglichen mit den insgesamt 130.000 Asylanträgen allein im vergangenen Jahr in Deutschland ist die Zahl von etwas mehr als 160 saudischen Anträgen in den letzten drei Jahren verschwindend gering. EU-weit waren es in den vergangenen vier Jahren auch nur knapp 700 Saudis, die um Asyl gebeten haben. Aber in den Jahren zuvor hatte es kaum einen Antrag aus dem arabischen Königreich gegeben. Zuletzt haben immer mehr junge Saudis versucht zu fliehen.

Ständige Kontrolle durch die Familie

"Ich habe es nicht mehr ausgehalten", erzählt Dania, die aus Angst ihren echten Namen nicht veröffentlicht sehen möchte. "Ich bin 28 Jahre alt und durfte mich nicht einmal mit meinen Freundinnen treffen, ohne meine Eltern um Erlaubnis zu bitten." Irgendwann hätten die Eltern ihr auch verbieten wollen, Bücher zu lesen. Sie habe sich verändert, behaupteten sie. Gerade wenn es um den Islam ging. "Ich kann dieses Bild, dass der Mann über die Frau bestimmt, einfach nicht akzeptieren", so Dania.

Das Verbot, weiter zur Arbeit zu gehen, die ständigen Kontrollanrufe, die Durchsuchungen ihres Zimmers: All das sorgt dafür, dass Dania ein Ticket nach Minsk bucht, weil sie dafür kein Visum braucht. Mit Transit in Frankfurt. Zwei Mal verschiebt sie den Flug, weil der Zeitpunkt ungünstig ist. Hin- und Rückflug, dazu ein Hotel in Weißrussland, um am Flughafen keinen Verdacht zu wecken.

Leben im "Goldenen Käfig"

Ein paar Monate vor Dania ist Marwa aus ihrem Familienhaus in der saudischen Hauptstadt Riad verschwunden. Auch sie fliegt nach Frankfurt und sagt bei der Passkontrolle nur ein Wort zu den Bundespolizisten: "Asyl". Auch sie will nicht erkannt werden, twittert im Internet anonym über Frauenrechte, bezeichnet das relativ luxuriöse Leben in Saudi-Arabien für Frauen als "Goldenen Käfig".

"Man wird ständig beleidigt, dass man die Familie und das Land entehrt habe", sagt sie am Telefon. "Es gab aber auch Fälle, dass die saudischen Behörden einige von uns ausfindig gemacht und versucht haben, sie davon zu überzeugen, zurückzugehen." Zur Bevormundung der Frauen in Saudi-Arabien hat Marwa eine klare Meinung: "Das ist Sklaverei."

Digitale Kontrolle durch "Absher"-App

Eine App und eine Computersoftware des saudischen Innenministeriums haben zuletzt für Aufsehen gesorgt: "Absher", was im saudischen Dialekt so etwas heißt wie: "In Ordnung!" Das Programm regelt digital alle möglichen Behördengänge von der Zahlung eines Strafzettels bis zur Beantragung eines Passes. Über die App verwalten Männer und Väter auch die Daten ihrer Schutzbefohlenen und können für Frauen festlegen, an welchem Flughafen sie Saudi-Arabien verlassen dürfen. Die App gibt es in dieser Form seit 2015 – seitdem gibt es immer mehr Asylanträge.

Marwa hat das Handy ihres Vaters vor etwa einem Jahr gestohlen, sich mit dessen Daten eingeloggt und sich dann selbst die Erlaubnis gegeben, Saudi-Arabien zu verlassen, erzählt sie. Früher musste der Vater, Ehemann oder Bruder persönlich zur Behörde gehen. "Die App hat uns geholfen und eigentlich eine Möglichkeit eröffnet, abzuhauen", sagt Marwa.

Politiker und Menschenrechtsgruppen in den USA hatten Apple und Google zuletzt aufgefordert, die App nicht mehr anzubieten. Das Europäische Parlament kritisierte das elektronische System erst in einer Sitzung am Donnerstag und forderte Saudi-Arabien auf, Vormundschaften für Frauen endlich zu beenden. Trotz der bislang durchgeführten Reformen wie der Stärkung von Frauenrechten und dem Ende des Fahrverbots für Frauen bleibe das politische und soziale System für Frauen weiter diskriminierend, heißt es in der Resolution des EU-Parlaments.

"Ich kann nicht mehr zurück"

Für Dania, die in einer Asylunterkunft in Ostdeutschland auf ihren Bescheid wartet, bedeutete die Flucht, alles zurückzulassen – auch ihren Freund, einen Christen. "Ich weiß, wir werden hier nicht zusammenkommen können, aber er versteht, dass ich weg musste", erzählt die junge Frau. "Er war nur etwas enttäuscht: "Du hättest wenigstens tschüss sagen können", schrieb er mir."


Ein Zurück gibt es für sie nicht. Sie liebe es, morgens aufzustehen und sich spontan zu entscheiden, ob sie sich mit Freunden treffe, in den Supermarkt einkaufen oder im Park spazieren gehe. Diese Freiheit will sie nicht wieder aufgeben. Sie kenne Geschichten, in denen weggelaufene Mädchen nach der Rückkehr von ihrer Familie eingesperrt oder sogar getötet wurden. "Über das Internet habe ich letztens meinen Status in Absher kontrolliert", sagt Dania. Alle zuvor bestehenden Berechtigungen für Reisen und Behördengänge seien ihr inzwischen entzogen worden. "Ich kann nicht mehr zurück."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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