Mindestens 60 Ärzte angezeigt Dieser Abtreibungs-Aktivist will nicht beim Namen genannt werden
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kann man als Abtreibungsgegner reihenweise Ärzte anzeigen, dieses Vorgehen "Hobby" nennen – und dann auf Anonymität pochen? "Markus Krause" geht gegen Menschen vor, die seinen richtigen Namen nennen.
Eine von Deutschlands bekanntesten Anwaltskanzleien geht gegen Menschen vor, die einen von Deutschlands aktivsten Abtreibungsgegnern beim Namen nennen. Mit Klage und Abmahnschreiben erreicht der Mann mit dem Pseudonym "Markus Krause" aktuell das Gegenteil: Sein echter Name wird nun noch häufiger genannt, und es gibt nun sogar einen Wikipedia-Eintrag.
Vor rund vier Jahren hat der damalige Student nach eigenen Angaben begonnen, das Netz zu durchsuchen und Ärzte und Ärztinnen anzuzeigen, die Informationen zum Schwangerschaftsabbruch geben: "Ich überleg mir, wo würden schwangere Frauen suchen im Internet?", sagte er in einem Interview und sprach von mindestens 60 Anzeigen.
Forderung über 1.564,26 Euro
Die Folge sind bundesweit beachtete Prozesse und eine Debatte um den Paragrafen 219a, der Information über legale Abtreibungen und den Hinweis auf deren Durchführung als "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Trotz dieses Wirbels und Medienberichten mit seiner Mitwirkung will der Mann verbieten, seinen Namen damit öffentlich in Verbindung zu bringen.
Das bekam die Freiburger Studentin Michelle Janßen am 2. November zu spüren, als sie die Post aus dem Briefkasten holte. Acht Seiten hatte das Schreiben mit der Abmahnung, sie soll nun 1.564,26 Euro Anwaltskosten zahlen. So viel fordert die Kanzlei Höcker wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts und Verstoß gegen das Datenschutzrecht.
Janßen, ehrenamtliche Mitarbeiterin eines Frauenhauses hatte in zwei Tweets den Namen genannt, der nicht genannt werden soll. Sie war wütend wegen des ultrakonservativ-christlichen Aktivisten, der ins Leben vieler Frauen eingreifen und dabei selbst in der Anonymität bleiben will.
Paragraph 219a
Im Strafgesetzbuch heißt es: Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
"Das passt nicht zusammen", sagt Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, zu t-online.de. "Natürlich führt es nicht zu einem öffentlichen Interessem eine einzelne Straftat anzuzeigen. Hier sieht es dagegen nach Strafanzeigenkampagne aus, Ärzte werden von ihm systematisch wegen vermeintlich unzulässiger Werbung angezeigt."
Kanzlei sieht kein öffentliches Interesse
Zudem habe der Mann überregionalen Medien ein Interview gegeben, in dem er – wenn auch anonym – seine Motive erläuterte. "Wer öffentlich aktiv ist, muss es sich grundsätzlich auch gefallen lassen, dass andere angemessen über sein Verhalten diskutieren."
"Keinerlei öffentliches Informationsinteresse" sieht dagegen die Kanzlei Höcker. Sie ist bekannt, weil dort Anwälte arbeiten, die Jörg Kachelmann zu Recht verholfen haben, die den türkischen Präsidenten Erdogan gegen Jan Böhmermann vertreten haben oder immer wieder die AfD.
Fragen nicht beantwortet
Am Mittwochnachmittag an die Kanzlei gerichtete Fragen wurden am Freitag nicht beantwortet. Am Donnerstag hatte die Kanzlei mitgeteilt, man werde "in Kürze" zu der Anfrage Stellung nehmen. Eine Nachfrage und eine Bitte um Antwort bis Freitag, 13 Uhr, wurden nicht beantwortet.
Michelle Janßen war beeindruckt von ihrem Schreiben mit der hohen Summe und den kurzen Fristen. Sie löschte ihre Kurznachrichten umgehend. "Ich hätte Flagge zeigen sollen", ärgert die Freiburgerin sich jetzt nach Rücksprache mit einem Anwalt. Sie werden die Abmahnung zurückweisen.
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Im Netz ist der Name bereits für jeden zu finden in einem Artikel des Magazins der Böll-Stiftung der Grünen. Eine Ärztin verriet dort in einem Interview, wer sie angezeigt hat: Sie erwähnte einen bekannten Namen, Klaus Günter Annen, den Betreiber der Seite "babykaust.de". Sie nannte aber auch den zweiten Namen: "Wir wurden zunächst von Yannick Hendricks, einem Mathematikstudenten aus Kleve angezeigt, der hobbymäßig Online-Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte erstattet."
Gegen Text mit Namen nicht vorgegangen
Gegen die Berichterstattung hat es keine rechtlichen Schritte gegeben, erklärte die Böll-Stiftung gegenüber t-online.de. Hierbei handelt es sich nach Einschätzung von Juristen um eine wahre Tatsachenbehauptung, für die ein öffentliches Interesse anzunehmen sei.
Anders als der lange öffentlich bekannte babykaust.de-Betreiber Annen hat der Höcker-Mandant am Mittwoch sogar einen Wikipedia-Eintrag bekommen, auch wenn nun heftig darum gestritten wird, ob er relevant genug ist. Der Eintrag ist zwar für das Pseudonym "Markus Krause" – aber darunter findet sich die Erläuterung, dass das nur ein Pseudonym ist und zeitweilig stand dort auch sein richtiger Name.
Der ist wieder verschwunden. Und ein Buzzfeed-Artikel als Quelle ist genannt, aber nicht verlinkt und der im Original ausgeschriebene Name in der Überschrift abgekürzt: "Y. H. zeigt Ärztinnen an, die gegen 219a verstoßen, aber möchte anonym bleiben".
Dem Wikipedia-Artikel waren auf Twitter und Facebook etliche Postings voran gegangen, in denen Nutzer den Namen bewusst genannt hatten: Der Mann mit dem Namen wolle es nicht, dass sein Name genannt werde. Das ist eine Folge davon, dass Michelle Janßen ihre Abmahnung öffentlich gemacht hat. "Streisand-Effekt" nennt es sich, wenn ein Versuch, etwas zu unterdrücken, das Gegenteil erreicht.
Interview mit Pseudonym als Bedingung
Der Abtreibungsgegner hatte in einem Interview zur Bedingung gemacht, dass er nur mit dem Pseudonym Markus Krause genannt wird. Er habe Angst vor "gewaltbereiten linken Abtreibungsbefürworter", so seine Erklärung. Tatsächlich gab es vor einem Jahr einen Farbanschlag auf die ultrakonservative „Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur“.
Im Interview mit dem Deutschlandfunk verriet der "Lebensschützer" über sich, dass er 27 und aus Kleve ist, an der Abschlussarbeit seines Mathematikstudiums arbeitet ist, sein Alter und dass er mit dem Geschlechtsverkehr mit seiner Freundin bis zur Ehe warten will. Angaben, die ihn bereits für manche identifizierbar machten.
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Hamburger "Pro Familia"-Vorsitzender warnt
Die Hamburger "Pro Familia"-Vorsitzende Kersten Artus wurde ebenfalls abgemahnt und registriert mit gemischten Gefühlen, was sich nun entwickelt. Sie hatte den Namen in einem Solidaritätsblog für die angezeigte Ärztin Kristina Hänel mehrfach genannt, dazu auf Facebook und auf Twitter.
Die Unterstützung aktuell freut sie, "aber andere sollen nicht den Ärger haben, den ich habe und Anwälte zahlen müssen". Sie hat Nutzer gewarnt, die mit echtem eigenem Namen Krauses echten eigenen Namen verbreiten.
Artus wundert sich, dass Hendricks durch sein Handeln das Gegenteil dessen erreiche, was er zu wollen vorgebe: "Sein Name spielte vorher eigentlich keine Rolle. Es ist die Frage, ob er wirklich anwaltlich umfassend beraten wurde und das bedacht hat." Außerdem haben die Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte aus Artus Sicht erst dazu geführt, dass die Gegner des 219a sich organisiert und eine starke Bewegung für eine Änderung gebildet haben. Auch werde mehr über Abtreibungen gesprochen.
Im Februar Prozess um Namensnennung
Die angemeldeten Ansprüche aus der Abmahnung hat ihr Anwalt zurückgewiesen und der Kanzlei Höcker geschrieben, sie müsse dann ihr "Glück vor Gericht versuchen".
- Schnell erklärt: Worum geht es bei dem Werbeverbot für Abtreibungen?
- Kommentar: Deshalb gehört der Paragraph 219a abgeschafft
Das wollen Hendricks und seine Anwälte offenbar. Laut Artus soll am 15. Februar vor dem Landgericht Hamburg verhandelt werden. An der Tür zur öffentlichen Verhandlung wird der richtige Name angeschrieben sein. "Und da könnte auch wieder einige Presse sein", sagt Kersten Artus.
- Eigene Recherchen
- Böll.Thema: "Es soll wieder heimlich passieren"
- Deutschlandfunk Kultur: Selbsternannte Lebensschützer gegen Frauenärzte
- Frankfurter Rundschau: Farbe gegen Abtreibungsgegner
- Tweet zu einem geplanten Wikipediartikel
- Welt: Neue Stufe in Debatte um Werbeverbot für Abtreibungen
- Deutschlandfunk: Rechtssuche, wo rechts ist
- BuzzFeed: Yannic Hendricks zeigt Ärztinnen an, die gegen 219a verstoßen, aber möchte anonym bleiben