Verteidigungstalk bei "Illner" Wagenknecht bringt Expertin zum Schäumen
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online."Wir geben 90 Milliarden für Waffen aus", warnt Sahra Wagenknecht bei "Maybrit Illner". Claudia Major schäumt. Denn die Nato nennt völlig andere Zahlen.
Verteidigung ist nicht gleich Rüstung – über diesen Unterschied ist Sahra Wagenknecht bei "Maybrit Illner" gestolpert. Die BSW-Vorsitzende warnte am Donnerstagabend vor einer vermeintlich ausufernden Aufrüstung. Der deutsche "Rüstungshaushalt" habe vor zehn Jahren noch bei gut 30 Milliarden Euro gelegen. "Jetzt ist er inzwischen bei 90 Milliarden, also eine gewaltige Aufrüstung", kritisierte sie. Dann gingen die Wogen hoch.
Die Gäste
- Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), Parteivorsitzender
- Sahra Wagenknecht (Bündnis Sahra Wagenknecht), Parteivorsitzende
- Claudia Major, Verteidigungsexpertin
- Ben Hodges, Generalleutnant a.D.
- Claus Kleber, Journalist
Wagenknecht korrigierte sich umgehend, was aber kaum etwas am Ergebnis änderte. Sie habe nicht den Verteidigungshaushalt gemeint, sondern die Ausgaben für Rüstung nach den Nato-Kriterien, inklusive Waffenlieferungen an die Ukraine und das Sondervermögen. "Also wir geben 90 Milliarden für Waffen aus. So kann man es korrekt formulieren", sagte Wagenknecht. "Das stimmt ja auch nicht", widersprach die Verteidigungsexpertin Claudia Major.
"Das ist faktisch falsch"
"Ich glaube, dass ich ein anderes Verhältnis zu Fakten habe als Sie", sagte die Leiterin der Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik" der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die unter anderem Bundestag und Bundesregierung berät. Major stellte richtig: Der deutsche Verteidigungsetat von aktuell rund 71 Milliarden Euro umfasst nicht nur Rüstung, sondern viele weitere Ausgaben für die Bundeswehr. "Das heißt: Wenn man sagt '71 [Milliarden Euro] für Rüstung', ist das faktisch falsch", betonte die Wissenschaftlerin.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Größte Ausgaben der Bundeswehr für Personal
Aber wie viel entfällt wirklich auf Rüstung? Kurzer Faktencheck zur besseren Einordnung: Der deutsche Verteidigungsetat 2024 beläuft sich auf 51,8 Milliarden Euro. Hinzu kommen 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr. Die Nato schätzt die deutschen Verteidigungsausgaben in diesem Jahr auf 90,6 Milliarden Euro. Dadurch wurde das Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht.
28,7 Prozent der deutschen Verteidigungsausgaben entfallen den Angaben zufolge 2024 auf die Kategorie "Major equipment, including related R&D". Dazu zählen Kampfflugzeuge, Panzer, Raketensysteme, Schiffe und so weiter, aber auch Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
Mehr noch als für diese Rüstung gibt Deutschland laut Nato bei der Verteidigung für Personalkosten aus (29,6 Prozent). Den größten Batzen macht laut dem Bericht mit 38,5 Prozent der Posten "Operations & maintenance and other expenditures" aus. Dazu gehören Munition und Sprengkörper, aber auch Wartung, Mieten und Betriebsausgaben. Hinzu kamen 3,2 Prozent für Infrastruktur.
Dann wurde es laut
Als Wagenknecht später bei "Maybrit Illner" erneut hohe Ausgaben für Verteidigung monierte, wurde es endgültig laut. "Wie oft wollen Sie denn 90 sagen? Bis Sie es selber glauben?", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour und widersprach dem Einwand der BSW-Vorsitzenden: "Nein, das sind keine offiziellen Zahlen."
"Die Zahlen stimmen nicht", bekräftigte auch Major. Sie warf Wagenknecht vor, mit Fakten "sehr kreativ" umzugehen. Major sprach von einem "Propagandaproblem" mit falschen Behauptungen, die sich häufig auf russische Quellen stützten und meinte damit auch das Kiewer Kinderkrankenhaus.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Das Problem ist, dass damit die öffentliche Debatte vergiftet wird, weil nämlich immer weniger klar wird, was eigentlich stimmt", warf die Sicherheitsexpertin Wagenknecht vor. Mit Aussagen zu den Verteidigungsausgaben oder zum Einschlag eines Marschflugkörpers in dem Kinderkrankenhaus delegitimiere Wagenknecht die Ukraine. Es sei Fakt, dass die Klinik von einer russischen Rakete getroffen wurde.
Wagenknecht stellt Angriff auf Krankenhaus in Frage
Wagenknecht hatte zuvor gesagt: "Ich finde nicht sehr plausibel, zur Eröffnung des Nato-Gipfels ausgerechnet ein Kinderkrankenhaus anzugreifen." Die Frage sei, ob die Rakete auf die Klinik abgefeuert worden sei oder aber von ukrainischer Luftabwehr abgeschossen und dann auf das Krankenhaus gestürzt sei.
An anderer Stelle hatte die BSW-Chefin bei Illner gesagt, viele Zivilisten in der Ukraine würden durch Trümmerteile abgeschossener russischer Raketen getötet. Aber glaube sie denn, dass es besser sei, wenn eine Rakete im Ziel explodiere?, fragte der ZDF-Journalist Claus Kleber.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Auf Marschflugkörper der USA setzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun auch auf heimischem Boden. Er begrüßte die ab 2026 geplante Stationierung von Marschflugkörpern vom Typ "Tomahawk", die während des Nato-Gipfels in Washington, D. C. verkündet worden war. Deutschland müsse "einen eigenen Schutz haben mit Abschreckung", sagte Scholz angesichts der russischen Aufrüstung.
Auch aus Reihen der SPD hatte es daraufhin Warnungen vor einem Wettrüsten mit Russland gegeben. Ex-US-General Ben Hodges sagte hingegen bei "Illner", mit der "Tomahawk"-Verlegung werde endlich eine eklatante Sicherheitslücke an der Nato-Flanke geschlossen. Deutschland habe dies bereits vor sieben Jahren tun sollen, sagte der aus Washington zugeschaltete Ex-Oberkommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa und verwies auf die Stationierung russischer Langstreckenraketen in Kaliningrad. "Auf diese Bedrohung muss die Nato reagieren", sagte auch Major. "Momentan ist da eine riesengroße Schutzlücke."
- zdf.de: "Maybrit Illner" vom 11. Juli 2024
- nato.int: "Defence Expenditure of NATO Countries (2014-2024)" (englisch)