t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschlandGesellschaft

"Constantin Schreiber nicht zum Helden stilisieren": Toleranz-Forscher


Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Toleranz und ihre Grenzen
"Wir brauchen auch eine Ablehnungskultur"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

14.09.2023Lesedauer: 3 Min.
"Tagesschau"-Sprecher Constantin Schreiber: Der 44-Jährige will nie wieder öffentlich über den Islam reden.Vergrößern des Bildes
"Tagesschau"-Sprecher Constantin Schreiber: Der 44-Jährige will nie wieder öffentlich über den Islam reden. (Quelle: IMAGO/STAR-MEDIA)
News folgen

"Tagesschau"-Sprecher Constantin Schreiber lässt aufhorchen, weil er nach Angriffen nicht mehr über den Islam sprechen will. Ein Toleranzforscher sagt dazu: "Wir müssen uns härten."

Bernd Simon hat eigentlich wenig Zeit für ein Interview: Heute und morgen feiert die Forschungsstelle Toleranz am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Politische Psychologie der Universität Kiel ihr fünfjähriges Bestehen. Da gibt es für ihn als Gründer noch einiges vorzubereiten. Zentrale These seiner Forschung ist, dass Ablehnung zu Toleranz gehört, sie aber durch Respekt für den anderen gezähmt ist. Was lässt sich daraus lernen, wenn ein "Tagesschau"-Sprecher nach negativen Erfahrungen nicht mehr über das Thema Islam sprechen will?

Denn Constantin Schreiber hat genau das erklärt. Der Fernsehjournalist hat bei einer Podiumsdiskussion in Jena wegen seines Buchs "Die Kandidatin" über eine muslimische Kanzlerkandidatin offenbar von einem Mitglied einer linksradikalen Gruppe eine Torte ins Gesicht bekommen. Er wurde als "rassistisch und islamfeindlich" bezeichnet, dazu hat ein Taxi-Fahrer Schreiber bedroht. Ein Gespräch mit dem Leiter der Forschungsstelle Toleranz über Toleranz und ihre Grenzen.

t-online: Herr Simon, wie viel Intoleranz spricht aus der Tortenattacke?

Bernd Simon: Das ist ein klarer Fall von Intoleranz, weil Herrn Schreiber das Recht abgesprochen werden soll, seine Meinung zu äußern. Drastisch gesprochen: Ihm soll buchstäblich "das Maul gestopft werden". Milder ausgedrückt: Es ist ein Foulspiel bei dem Versuch, die eigene Position deutlich zu machen. Das darf aber für andere wiederum nicht als Rechtfertigung dienen, selbst intolerant gegenüber diesen Leuten zu werden. Das wäre ein Revanchefoul. Als Tolerante sind wir auch keineswegs wehrlos ...

Die Universität Jena hat Strafanzeige wegen des Vorfalls gestellt gegen die Beteiligten, die an dem Abend entkommen konnten.

Ja. Toleranz erlaubt uns, Ablehnung zu zeigen, ohne Respekt zu verweigern. Und Respekt erlaubt uns, verlangt sogar von uns, Intoleranz zu benennen und die Intoleranten zur Rechenschaft zu ziehen.

Hinter solchen Attacken steckt oft eine Rechtfertigung, die auf Karl Poppers Paradoxon der Toleranz zurückgeht: Eine tolerante Gesellschaft muss sich gegen Angriffe der Intoleranz verteidigen, damit nicht die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.

Die, die das in diesem Fall so sehen und dafür zu intoleranten Mitteln greifen, maßen sich ein Urteil an, das völlig überzogen ist. Selbst wenn ihre Analyse richtig wäre, dass der andere intolerant ist, unterliegen sie einem Denkfehler: Daraus ließe sich nämlich nicht das Recht einer intoleranten Gegenreaktion ableiten. Die Polizei, die Kriminelle bekämpft, darf dazu auch nicht kriminelle Methoden nutzen. Wenn überhaupt, dann dürfen wir nur in extremen Ausnahmefällen, bei einem akuten Notstand, Toleranz außer Kraft setzen. In Deutschland sind wir aber von einer solchen Situation weit entfernt.

Prof. Bernd Simon.
Prof. Bernd Simon. (Quelle: privat)

Bernd Simon

Der Wissenschaftler (Jg. 1960) hat in Münster und Kent in Canterbury (England) Psychologie, Soziologie und Philosophie studiert und in Münster in Psychologie promoviert und habilitiert. Seit 1998 ist er Professor für Sozialpsychologie und einer der Direktoren des Instituts für Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Arbeitsschwerpunkte sind die Identitäts- und Gruppenforschung unter besonderer Berücksichtigung von Beziehungen zwischen Minder- und Mehrheiten, Politisierungsprozesse, Macht, Respekt und Toleranz. 2018 gründete er die Kieler Forschungsstelle Toleranz (KFT).

Der Fall um Constantin Schreiber könnte auch dazu instrumentalisiert werden, selbst intolerante Positionen gegenüber dem Islam stärker zu verankern.

Es gibt keinen Grund, Toleranz neu zu kalibrieren. Mit Intoleranz konfrontiert zu sein ist kein Grund, Toleranz neu zu denken, sondern sie als durch Respekt gezähmte Ablehnung konsequent, also auch wehrhaft, anzuwenden.

Constantin Schreiber könnte jetzt zu einer Galionsfigur werden für die, die einen Kampf gegen Cancel Culture von links führen.

Ich muss da an einen Dialog aus Brechts "Leben des Galilei" denken"...

... in dem es um den Konflikt zwischen der Alten Zeit vertreten durch die Kirche und der Neuen Zeit vertreten durch die Wissenschaft geht.

Galileis Schüler Andrea sagt, dass das Land unglücklich ist, das keine Helden hat und Galileis berühmte Replik ist "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." Wir sind längst nicht an dem Punkt, dass wir Helden nötig haben. Man sollte Constantin Schreiber nicht zum Helden stilisieren, und es ist sein gutes Recht, kein Held sein zu wollen und sich zurückzuziehen.

Was wäre denn die richtige Folgerung?

Schreiber braucht Solidarität, das müssen Dritte deutlich machen. Gegner der Freiheit werden dreister und frecher, das gibt es auf allen Seiten. Wir müssen widerstandsfähiger werden, das heißt, wir brauchen auch eine Ablehnungskultur, allerdings eine durch Respekt gezähmte.

Was ist damit gemeint?

Wir müssen uns härten, dass wir besser mit Ablehnung durch andere und mit deren Meinungsfreiheit umgehen. Hart spielen und gewinnen wollen, ist nichts Falsches.

In der Corona-Krise haben sich auch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wegen Anfeindungen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Diesen Kollegen und Kolleginnen wurde zu wenig der Rücken gestärkt, der Aufwand dafür gescheut. Deutschland ist sehr konsensorientiert, wir haben uns vom Konsensgefühl über viele Jahre einlullen lassen. Wir sind dadurch empfindlicher geworden. Wer zu lange in der Konsenssoße schwimmt, dessen Abwehrkräfte gegen Widerspruch verkümmern. Dann kommt es schnell zu übertriebener Empfindlichkeit.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website