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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Diese Faulheit der Leute" Und dann zieht Wulff einen überraschenden Vergleich
Bei "Maischberger" wurde unter anderem der Aufstieg der AfD diskutiert. Altbundespräsident Christian Wulff schimpfte auf Nichtwähler und bediente sich eines provokanten Vergleichs.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) steht auch ohne Nachbesserungen zu den neuen Asylregeln der Europäischen Union. Dass Familien mit Kindern an den EU-Außengrenzen in Lager geschickt werden sollen, spaltet die Regierungsparteien. Faeser stellte hier am Dienstagabend bei "Maischberger" eine Nachbesserung im EU-Parlament in Aussicht. Und wenn die nicht kommt?, wollte Sandra Maischberger wissen. "Wir haben den Kompromiss ausgehandelt – zu dem stehen wir", erwiderte Faeser.
Die Gäste:
- Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin
- Christian Wulff, Bundespräsident a. D.
- Melanie Amann, "Der Spiegel"
- Vassili Golod, ARD-Korrespondent für die Ukraine
- Sigmund Gottlieb, ARD-Kommentator
"Wir tun alles dafür, dass die Kinder rauskommen. Ich bin sehr zuversichtlich", versicherte Faeser. Sie habe entsprechende Signale von EU-Parlamentariern erhalten. Letztlich gelte aber: "Es ist ein Kompromiss. Da muss man nachgeben und zugeben: Wir haben jetzt alles dafür getan, dass wir einen Kompromiss hinbekommen."
Faeser verteidigt Asylkompromiss
Die Sozialdemokratin sprach bei "Maischberger" von einem "historischen Verhandlungsergebnis": "Wir haben für den Erhalt des Asylrechts gekämpft, für die individuelle Prüfung für alle. Das haben wir durchsetzen können." Sie würdigte insbesondere die Vereinbarung zur solidarischen Verteilung von Geflüchteten in der EU. "Dass das gelingen kann, hat mir letztes Jahr noch niemand geglaubt. Das ist die eigentliche Errungenschaft."
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Der sogenannte Solidaritätsmechanismus greift bei abgelehnten Asylbewerbern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können. "Das heißt, dann kommen sie doch nach Deutschland zurück?", fragte die Moderatorin. "Das ist nicht anders möglich gewesen", bestätigte Faeser und verwies auf rechtsstaatliche Grundsätze. Die Kommunen würden durch die gerechtere Verteilung in der EU aber stark entlastet, versprach die Bundesinnenministerin. "Das ist auf jeden Fall besser als das, was wir jetzt haben", sagte sie.
Gänzlich anderer Ansicht war in der Kommentatorenrunde bei "Maischberger" der ARD-Ukraine-Korrespondent Vassili Golod. "Wenn ich mir vorstelle, dass man nach dieser Flucht in haftähnlichen Umständen untergebracht wird, über Monate, dann hat das mit Menschenwürde nichts zu tun." Melanie Amann aus der Chefredaktion des "Spiegel" gab zu bedenken: "Jetzt sitzen die Leute halt im Dreck."
"Ein historischer Kompromiss ist das doch weiß Gott nicht", widersprach der ehemalige Chefredakteur des Bayrischen Rundfunks, Sigmund Gottlieb, Faesers Einschätzung. Die Asylreform sei bereits am ersten Tag insbesondere von Teilen der SPD und der Grünen aufgeweicht worden. Amann sah das anders. "Da können sich ja die Grünen in Deutschland auf den Kopf stellen, wie sie wollen. Der Beschluss steht."
"Brandgefährlich" für Baerbock
Der Asylkompromiss mit Auffanglagern für Bewerber mit zweifelhaften Erfolgsaussichten stellt insbesondere die Grünen vor eine Zerreißprobe. Das treffe insbesondere einen "Parteiliebling" wie Außenministerin Annalena Baerbock, sagte Amann: "Es ist für sie wirklich brandgefährlich." Denn hier handele es sich für die Grünen um ein Grundsatzthema. "Ich weiß nicht, wie sie das überwinden wollen", sagte die "Spiegel"-Journalistin.
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Während sich die Regierung über Heizungen und Flüchtende streitet, ist die AfD in Umfragen an der SPD vorbeigezogen. "Diese Larmoyanz im Land", wetterte dazu der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff am Ende von "Maischberger". "Wir reden immer über die AfD und werten die damit immer weiter auf. Ich möchte mal über die reden, die einfach gar nicht hingehen, die sich gar nicht kümmern, die sich gar nicht engagieren."
Wulff betonte, das Wahlrecht sei in Deutschland hart erkämpft worden. Dennoch bleibe heutzutage gern die Hälfte der Wahlberechtigten zu Hause. "Diese Faulheit der Leute, die rummosern und nicht selber was tun – das werden wir uns nicht mehr lange leisten können", warnte Wulff und zog eine überraschende Parallele zum Fußball. Er verglich notorisch Politikverdrossene mit besserwisserischen Fans, die vermutlich kläglich versagen würden, wenn sie selbst auf dem Platz stünden.
Wulff sieht Deutschland und Europa in "falsche Richtung" abdriften
Wem die Arbeit der Politiker nicht passe, der solle in eine Partei eintreten oder eine Partei gründen, forderte der Christdemokrat. "So wie Sahra Wagenknecht?", freute sich Maischberger über die Steilvorlage zu ihrem Gast am Mittwoch. Wulff wünschte sich natürlich eine Stärkung der demokratischen Mitte – blieb aber konkrete Ideen schuldig, wo dort Platz für eine neue Partei sein sollte. Er kritisierte zudem eine "Aufbröselung der Parteienlandschaft", die sich auch in der Dreierkoalition der Ampel zeige.
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Überhaupt schien der CDU-Politiker der Idee einer vermeintlich homogen-geschlossenen Gesellschaft wie nach dem Zweiten Weltkrieg nachzuhängen. Auch damals hätten die Bürger angesichts der Zerstörung vor großen Herausforderungen gestanden. "Nur sie haben die Aufgaben wahrgenommen, sie haben sich angestrengt", meinte Wulff. Er sah das auch als Verdienst einer stärkeren christlichen Gesinnung in Gesellschaft und Politik an. Die fehle heute. "Das wird Europa, Deutschland, alles immer mehr in die falsche Richtung verändern", sagte Wulff.
Maischberger erinnerte daran, dass der damalige niedersächsische Ministerpräsident 2005 den russischen Präsidenten Wladimir Putin in dessen Anwesenheit in einer Rede kritisiert hatte. Wulff bekräftigte die Solidarität mit der Ukraine. Er fügte allerdings hinzu: "Auf der anderen Seite müssen wir aber natürlich Signale ans russische Volk senden, dass wir großen Respekt vor der russischen Nation haben. Und wir müssen damit auch das Volk von Putin trennen. Denn Russen sterben ja auch in diesem wahnsinnigen Krieg."
"Dann habe ich große Sorgen um die Zukunft unseres Landes"
Wulff mahnte: Demokratie ist nicht "gottgegeben", sondern erfordert überzeugte Demokraten. "Das hängt von den Menschen ab, die in diesem Land leben, ob sie am nächsten Sonntag zu mehr als 50 Prozent zur Wahl gehen und ob sie sich für einen Demokraten entscheiden oder für jemand, der nur von Ängsten lebt", beendete Wulff seine kleine Ruck-Rede. "Wenn wir denen das Feld überlassen wollen, dann habe ich ganz große Sorge um die Zukunft unseres Landes."
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Ganz am Schluss wurde der Ton bei "Maischberger" dann noch heiter. Wulff und Verteidigungsminister Boris Pistorius, aber auch Olaf Scholz wurden in Osnabrück geboren. Was sei beim Bundeskanzler da schief gelaufen?, fragte die Moderatorin. Wulff machte Scholz' frühen Umzug nach Hamburg verantwortlich. "Wenn er bei uns auf die Schule gegangen wäre – ich glaube, den hätten Boris und ich noch zum Reden gebracht", mutmaßte der CDU-Politiker.
- TV-Sendung "Maischberger" vom 13. Juni 2023