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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fragen und Antworten Wie sieht es im Innern der "Letzten Generation" aus?
Sie haben an Dinos, auf Straßen und Runways, in Museen und Konzertsälen geklebt, um mehr Klimaschutz zu fordern. Nun drehen sie in Bayern auf: Ein Blick hinter die Kulissen der "Letzten Generation".
Die Aktionen der "Letzten Generation" ziehen teils Applaus, teils harsche Kritik auf sich – selbst Luisa Neubauer als bekannteste deutsche Klimaaktivistin hat die Gruppe inzwischen schon ermahnt. "Politischer Wandel kommt nicht kategorisch schneller, indem man zu radikaleren Maßnahmen greift", sagte Neubauer kürzlich dem Nachrichtenportal "watson".
Dass die inzwischen auch als "Klimakleber" bekannte Gruppe das anders sieht, zeigte sich jüngst: Am Mittwoch plante die "Letzte Generation", an vielen Stellen den Alltag in Bayern lahmzulegen. Schon seit Anfang 2022 sorgen die radikalen Klimaschützer mit Blockadeaktionen und Sachbeschädigung bundesweit für Aufmerksamkeit. Daher lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen: Wie organisiert sich die Gruppe, wer finanziert sie und was planen die Aktivistinnen und Aktivisten als Nächstes?
Wer ist die "Letzte Generation"?
Demonstrieren reicht ihnen nicht. Wer sich beim "Aufstand der letzten Generation", kurz der "Letzten Generation", engagiert, will aktiv Widerstand leisten. Die Wut der Gruppe richtet sich gegen die Klimapolitik der Bundesregierung, die sie als viel zu lasch wahrnimmt. "Wir tun das nicht gerne. Doch wir sehen diesen zivilen Widerstand als unsere beste Chance, auf unserem zerstörerischen Kurs die notwendige Umkehr zu bewirken", schreiben die Aktivistinnen und Aktivisten auf ihrer Webseite und bitten: "Schließ dich uns an!"
Diesem Ruf folgen inzwischen nicht nur junge Erwachsene. Bei vielen Aktionen sind auch deutlich ältere Personen dabei, darunter Mütter und Rentner.
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Machen sich die Blockierer strafbar?
Viele von ihnen betonen ihre Bereitschaft, in Konsequenz ihrer Handlungen Geldstrafen zu zahlen oder ins Gefängnis zu gehen. Mitte August hatte das Oberlandesgericht Berlin die Maßstäbe dafür konkretisiert, wann die häufigsten potenziellen Delikte der "Letzten Generation" tatsächlich strafbar sind: Bei der häufigsten Aktionsform der Gruppe, den Straßenblockaden, kommen Nötigung der Verkehrsteilnehmer sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, also die Polizei, infrage.
Dazu entschieden die Richter in Berlin: Festkleben zählt genauso wie Festketten als Widerstand – brauchen die Polizeibeamten länger als eine Minute zum Lösen des Klebers, kann der Widerstand als gewaltsam gelten und damit strafbar sein. In Sachen Nötigung blieb das Gericht vager – hier kommt es demnach auf den Einzelfall an.
Ob Autofahrer durch eine Blockade genötigt werden, hängt demnach auf keinen Fall nur davon ab, ob sie festsitzen, sondern auch, wie die Begleitumstände sind: Wurde die Blockade angekündigt? Wie lange dauert die Blockade und wie umfassend ist sie? Welche Motive hatte eine angeklagte Person für die Blockade und was waren deren Ziel und Zweck?
Bisher hatten viele Juristen darauf abgestellt, dass die Straßenblockaden in jedem Fall als "Nötigungshandlungen" zu werten seien. So hat beispielsweise das Amtsgericht Frankfurt im Frühjahr zwei Männer wegen mehrfacher Nötigung im Zusammenhang mit Sitzblockaden der Gruppe zu Geldstrafen von 1.100 Euro und 2.000 Euro verurteilt. In Heidelberg kassierte eine 68-Jährige Mitte August eine Geldstrafe in Höhe von 4.000 Euro.
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Anders ein Fall in Berlin: Hier fing das Oberlandesgericht ein Urteil des untergeordneten Amtsgerichts jüngst wieder ein und hat eine Aktivistin vorerst entlastet: Für den Vorwurf der Nötigung sei der Einzelfall von den Kollegen am Amtsgericht nicht ausreichend geprüft worden.
Es sind jedoch auch bereits deutlich härtere Strafen verhängt worden – und haben Bestand. So wurden drei Klimaaktivisten in Heilbronn im Frühjahr zu jeweils drei, vier und fünf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Der Grund: Unmittelbar nach einer Verurteilung wegen einer Straßenblockade zog das Grüppchen erneut los, um eine Straße zu blockieren. "Unbelehrbar", so das Fazit der Richter.
Ist es erlaubt, sich als Autofahrer zu wehren?
Die Entscheidung des Gerichts dürfte es schwieriger machen, sich als Autofahrer in einer Blockade-Situation zu wehren. Denn: Nur wer tatsächlich genötigt wird, hat ein Recht auf Notwehr. Und auch hier ist der eigene Handlungsspielraum gesetzlich eingeschränkt: Mit Gewalt gegen die Aktivisten macht man sich als Privatperson wohl in jedem Fall strafbar.
Gedeckt sind von einer Notwehr-Lage nur verhältnismäßige Reaktionen, wie beispielsweise ein möglichst schonendes Wegtragen oder Festhalten. Wer die Klimaaktivisten beleidigt, sie ohrfeigt, an den Haaren zieht, mit Flüssigkeit übergießt, sie tritt, anspuckt oder schlägt, wird sich höchstwahrscheinlich selbst vor Gericht wiederfinden.
Das zeigt auch die Statistik: Bis Mitte Juli waren bundesweit bereits 142 Ermittlungsverfahren wegen Übergriffen auf Klimaaktivisten der "Letzten Generation" eingeleitet worden. Der Recherche des rbb zufolge richten sich diese gegen Autofahrer und Passanten. Der Großteil der Anzeigen wurde demnach in Berlin erstattet.
Eine "kriminelle Vereinigung"?
Da in Berlin bisher besonders viele Blockadeaktionen der Gruppe stattgefunden haben, wollte man dort eine zentrale Frage klären: Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung? Das allein wäre schon eine Straftat, denn sich als Gruppe zu organisieren, um wiederholt Straftaten zu begehen, ist verboten.
Das Ergebnis einer Prüfung des Berliner Justizsenats: Nein, bei der Gruppe handelt es sich um keine kriminelle Vereinigung. Im benachbarten Brandenburg scheint man das anders zu sehen: Hier werden die Klimaaktivisten als Verdachtsfall geführt, eine Entscheidung soll im Herbst kommen.
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Auch in Bayern tendiert man zu härteren Bandagen: Hier kam es in der Vergangenheit bereits zu vorverurteilenden Warnhinweisen auf einer Polizeiwebseite, Razzien in Wohnhäusern und der polizeilichen Abhörung von Telefongesprächen zwischen der Gruppe und Journalisten. Drei der betroffenen Pressevertreter, darunter Ronen Steinke, rechtspolitischer Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", haben inzwischen Klage eingelegt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen spricht von einem "immensen Schaden für die Pressefreiheit in Deutschland".
Ebenfalls in Bayern wurde das dortige Polizeiaufgabengesetz bereits gegen die Teilnehmer der Klimaproteste eingesetzt: Bis zu zwei Monate können Bürger in dem Bundesland hierdurch ohne Prozess festgehalten werden, um eine schwere Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat zu verhindern. Die Maßnahme ist heftig umstritten.
Doch einige gehen noch weiter. So kommt aus der Opposition sogar die Forderung, die Aktivisten in Vorbeugehaft zu nehmen. Der Rechtsstaat kenne die nötigen Instrumente, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja zu t-online: "Vorbeugehaft, Aufenthaltsverbote, Bußgelder." Diese Vorschläge scheinen vor allem dann sehr gewaltig, wenn man sich ansieht, wie der Verfassungsschutz die "Letzte Generation" aktuell beurteilt.
Hier sieht man aktuell keinen Grund für eine Beobachtung, allein schon wegen des zentralen Grundsatzes der Klimaschützer, auf aktive Gewalt zu verzichten. Es liege kein Extremismus vor, sagt der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang.
Wie ist die Gruppe organisiert?
Ähnlich wie die von Greta Thunberg gegründete Bewegung Fridays for Future ist auch die "Letzte Generation" kein völlig loses Kollektiv. Die Gruppe gibt an, bundesweit in Ortsgruppen organisiert zu sein. In öffentlichen Vorträgen informieren die Mitglieder über ihre Ziele und Methoden und vermitteln Strategien für "gewaltfreie Widerstandsaktionen" in Aktionstrainings.
Interessierte, die sich bei den Koordinatoren melden, müssen in einem Anmeldeformular angeben, ob sie gewillt sind, ins Gefängnis zu gehen, sich einmalig festnehmen zu lassen, noch unsicher oder dafür "noch nicht bereit" sind. Wer sich nicht an Aktionen in Museen, auf Straßen oder Flughäfen beteiligen will, könne der "Letzten Generation" unter anderem mit Fundraising, Kinderbetreuung oder Unterkünften in Berlin aushelfen.
Zusammen mit ähnlichen Gruppierungen in Europa und weltweit bildet die "Letzte Generation" das "internationale A22-Netzwerk". Die dort vereinten Aktivistinnen und Aktivisten stammen aus Großbritannien, Italien, Norwegen, Frankreich, Schweden, der Schweiz, Australien, den USA, Kanada und Neuseeland. Besonders der britische Ableger dieses Widerstandsnetzwerks, "Just Stop Oil", sorgte in den vergangenen Monaten ebenfalls international für Schlagzeilen.
Woher kommt das Geld?
Wer kann, trage die Kosten für Aktionen selbst, heißt es von der "Letzten Generation". Während Sekundenkleber und Farbeimer nicht allzu sehr aufs Budget schlagen dürften, können die möglichen Bußgelder durchaus empfindlich sein. Für Mitstreiter, die nicht selbst in die Tasche greifen können oder wollen, sammelt die Gruppe Spenden und engagiert freiwillige Fundraiser.
Nach Angaben aus dem Transparenzbericht der Gruppe für 2022 sind im vergangenen Jahr rund 902.000 Euro für die Aktionen zusammengekommen. Während ein Drittel dieser Summe aus Darlehen stamme, sollen mehr als 600.000 Euro durch verschiedenste Spendenkampagnen gesammelt worden sein.
Aktuell läuft unter anderem ein Spendenaufruf der Hamburger "Widerstandsgruppe", bei dem seit Mitte Juli mehr als 12.000 Euro zusammengekommen sind. "Ich spende, weil es mehr Taten bedarf und die Bewegung wachsen muss. Respekt vor Eurem Mut und Eurem Durchhaltevermögen", schreibt dort ein Unterstützer.
Auch mehrere andere Ortsgruppen und Einzelpersonen bitten online um Spenden, häufig für Gerichtskosten. Außerdem erhält die "Letzte Generation" auch Spendenmittel aus der internationalen Initiative Climate Emergency Fund. Von dort wurden laut Angaben der Initiatoren 2022 rund fünf Millionen US-Dollar an 44 verschiedene Klimaschutzorganisationen ausgezahlt.
Was kommt als Nächstes?
Ein Ende der Aktionen ist vorerst nicht abzusehen, im Gegenteil. Aktuell läuft die "100 für Bayern"-Kampagne, in deren Rahmen die "Letzte Generation" mit Demos und Blockaden den Druck für "ehrliche Politik" erhöhen will. Das Bundesland versage beim Klimaschutz im nationalen Vergleich besonders, heißt es von der Gruppe.
Ab 13. September steht dann der "Wendepunkt Herbst" im Kalender der Aktivisten. Es soll wieder nach Berlin gehen für "Protestmarsch, Blockade oder etwas Wildes". Dabei hat die Gruppe dieselben Forderungen wie teils bereits seit mehr als einem Jahr: Als "erste Sicherheitsmaßnahmen" fordert sie ein Tempolimit von 100 km/h und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket.
Außerdem dringt die "Letzte Generation" auf die Schaffung eines "Gesellschaftsrates" – ein gelostes Gremium aus Bürgerinnen und Bürgern aller Alters- und Gesellschaftsschichten, das gemeinsam mit Experten sozial gerechte Maßnahmen gegen die Klimakrise erarbeitet. Und mit diesen auch gehört wird. Ohne entsprechende Reaktionen der Bundesregierung sollen die Proteste weitergehen.
- Website der "Letzten Generation"
- watson.de: "Luisa Neubauer: "Wandel kommt nicht schneller, wenn man zu radikaleren Maßnahmen greift"
- gofundme.de: "Den Widerstand wachsen lassen"
- Nachrichtenagentur dpa
- lto.de: Ist der Klebstoff der "Letzten Generation" stark genug?
- rbb24.de: "Berliner Behörden ermitteln in 99 Fällen gegen aggressive Autofahrer und Passanten"
- letztegeneration.de: "Transparenzbericht 2022"
- faz.de: "Geldstrafen für Sitzblockaden"
- bz.de: "Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung?"
- lto.de: "Berlin sieht in Letzter Generation keine kriminelle Vereinigung"
- sz.de: "Nur ein falscher Satz?"
- tagesschau.de: "Warum wurde der Pressekontakt der "Letzten Generation" abgehört?"
- tagesschau.de: "Letzte Generation" bisher "nicht extremistisch"
- climateemergencyfund.org: "2022 Annual Report"