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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Es brodelt in der CDU Wie lange noch?
Am Samstag entscheiden die Kreisvorsitzenden der CDU: Wie viel Basisbeteiligung will die Partei wirklich? Drei potenzielle neue Vorsitzende bringen sich bereits in Stellung.
Die Misere der CDU lässt sich neuerdings in winzig kleine Kästchen fassen. Es sind mögliche Antworten zum Anklicken im internen Online-Fragebogen der Partei. Dieser wurde am Samstag letzter Woche an die Kreisvorsitzenden geschickt. Jeder der mehr als 300 Männer und Frauen soll ihn ausfüllen. Generalsekretär Paul Ziemiak schreibt dazu: "Alles soll auf den Tisch kommen, was gut und was schlecht gelaufen ist."
Am interessantesten ist die dritte Frage: "Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Gründe für das enttäuschende Abschneiden von CDU und CSU bei der Bundestagswahl?" Der Parteizentrale fallen gleich 14 mögliche Gründe ein – ein Kästchen reiht sich ans nächste. Vom "Corona-Krisenmanagement" über die "Maskenaffäre", von der "Mangelnden Unterstützung durch die CSU" bis zu den "Fehlern des Kanzlerkandidaten im Wahlkampf". Glaubt man einzelnen Kreisvorsitzenden, dann werden in diesen Tagen viele Kästchen angekreuzt.
Denn die Unzufriedenheit in der CDU ist riesig, Teile der regierungsverwöhnten Partei sind immer noch fassungslos darüber, dass die Wahl verloren wurde. Nun sitzt man also in der Opposition. Nur: Wie soll es weitergehen? Für die Neuaufstellung hat die Parteiführung um Armin Laschet eine Art Grundsanierung angestoßen. Der Prozess entscheidet auch darüber, wie lange er selbst noch Parteichef bleibt. Und der wichtigste Baustein dafür sind die Kreisvorsitzenden der CDU.
Eine Hierarchie wie eine Pyramide
An diesem Samstag treffen sich diese 326 Kreisvorsitzenden mit der Parteispitze in einem Berliner Hotel zur sogenannten "Kreisvorsitzendenkonferenz". Die Vorsitzenden vor Ort stünden "an der Front", heißt es aus den Führungsgremien der Partei, sie könnten die Stimmung an der Basis sehr gut einschätzen. Wir wollen jetzt mal ganz tief in die eigene Seele hineinhorchen, so soll das verstanden werden. Und der vorher herumgeschickte Kästchen-Fragebogen soll ein erstes Stimmungsbild einholen.
Was dabei aber nicht abgefragt wurde und doch gerade die gesamte Partei beschäftigt: Sollen nun die Mitglieder entscheiden, wer nächster Parteivorsitzender wird? Breiter gefasst lautet die Frage, die über diesem Wochenende schwebt: Wie viel Basisdemokratie will die CDU wirklich?
Das stellt viele Grundprinzipien der Partei auf den Kopf. Eigentlich funktioniert die Hierarchie der Christdemokraten wie eine Pyramide: Oben steht der Parteichef, darunter eine Handvoll Stellvertreter. Anschließend folgt der Bundesvorstand. Danach kommt die Bundestagsfraktion, die zwar keine offizielle Partei-Gliederung ist, aber das Machtzentrum in Berlin bildet. Und die Basis der Pyramide sind schließlich die 1001 Bundesdelegierten, die dann auf den Parteitagen über die groben Linien abstimmen – zuletzt auch immer wieder über den Parteichef.
Schon blickt mancher bang gen SPD
Die Kreisvorsitzenden, die sich jetzt treffen, sind eine neue Ebene der Macht. Sie kommen in der Beschlussfindung auf Parteitagen nicht direkt vor. Denn eigentlich sind sie für das operative Geschäft verantwortlich: dafür, die Politik der CDU vor Ort in vernünftige Beschlüsse zu gießen.
Nun agieren sie aber als eine Art Sprachrohr der Basis. Wenn sie am Samstag entscheiden, dass die Mitglieder über den nächsten Parteichef abstimmen dürfen, dann wird das wohl so kommen.
In der CDU ist einiges in Unruhe geraten. Die Pyramide der Macht liegt in Trümmern. Und wie sie neu zusammengesetzt wird, ist noch offen.
Der Grund für den Groll ist, wie die CDU-Granden Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier im Frühjahr Armin Laschet als Kanzlerkandidaten gegen den erklärten Willen der Basis durchdrückten. Das dürfe sich keinesfalls wiederholen, darin sind sich alle einig. Doch ob deshalb jedes Mitglied künftig über den Parteichef entscheiden soll? Darum wird noch gerungen.
Schon blickt mancher bang gen SPD: Der Prozess nach dem Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles war sehr basisdemokratisch, aber eben auch zäh. Und das Ergebnis so, dass die beiden gewählten Vorsitzenden flugs erklärten, nicht Kanzlerkandidat werden zu wollen.
Jemanden als Chef wählen, der nicht Kanzler werden kann, will, sollte? Darauf haben die Führungsgremien der CDU wenig Lust. Die Partei hat ja ein ähnliches Problem wie die SPD: Die Mitglieder sind nicht gerade repräsentativ für die Wähler, sie sind im Schnitt älter, männlicher und weißer.
Politisch zurück in die Neunziger? Oder sogar in die Achtziger?
Wie die Kreisvorsitzenden entscheiden, ist noch völlig offen. Vorher ein klares Stimmungsbild einzuholen, ist fast unmöglich. Die einen sind klar für den Mitgliederentscheid, die andern klar dagegen. Es wird in jedem Fall eine Richtungsentscheidung dafür, wie radikal die Partei sich von ihren gewohnten Prinzipien verabschieden will.
Das ist jedoch nur der eine Teil der Sinnsuche der CDU, bei dem es um das Prozedere für die Vorsitz-Wahl geht. Der andere Teil ist der nächste Vorsitzende, wie auch immer er gewählt wird. Dabei ist zu hören, dass in diesen Tagen drei Spitzenpolitiker dieses Amt unter sich ausmachen wollen: der Ex-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, der Wirtschaftsflügel-Chef Carsten Linnemann und der Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn. Und alle drei rechnen sich, wie könnte es anders sein, gute Chancen aus.
Friedrich Merz ist mit seinem konservativen Profil die Sehnsuchtsfigur all jener, die in der aus ihrer Sicht zu liberalen Merkel-Ära den rechten Rand geschwächt sahen. Politisch zurück in die Neunziger oder sogar in die Achtziger mit Merz zu steuern, wieder schwärzeste Politik zu machen, das könnte doch eine gute Aufgabe in der Opposition sein, glaubt man in seinem Lager.
Wie beim Tauziehen
Carsten Linnemann gilt als sehr eloquent, umgänglich und ehrgeizig – aber als fast zu nett für die Spitzenpolitik. Er ist dem breiten Publikum wohl am wenigsten von den dreien bekannt, doch in der Partei bestens verdrahtet. Ob das reicht, um Parteichef zu werden, wird sich zeigen. Eine Besonderheit im politischen Betrieb in Bezug auf ihn ist: Es ist wirklich schwer, in der CDU jemanden zu finden, der etwas Schlechtes über Carsten Linnemann sagt.
Dieses Problem hat Jens Spahn nicht: Alle kennen seinen Ehrgeiz, alle kennen seine politische Wendigkeit. Damit macht er sich nicht nur Freunde. Spahn galt lange als jemand, der starke Truppen in der Partei hinter sich hat, weil er sowohl bei den Jungen als auch den Konservativen gut ankam. Nun sehen sich jedoch viele in ihrem Vorurteil bestätigt, Spahn sei vor allem auf eigene Rechnung unterwegs. So habe er Laschet im Wahlkampf wenig unterstützt, obwohl er gemeinsam mit ihm für den Parteivorsitz antrat.
Es dringt wenig aus den Gesprächen nach außen. Doch die drei kämpfen offenbar darum, sich irgendwie zu einigen. Auf eine offene Feldschlacht wie im Jahr 2018 mit diversen, regionalen Vorstellungsrunden haben offenbar alle keine Lust. Um ein mögliches Personaltableau wird nun gerungen wie bei einem Tauziehen.
Diskutiert wird, wer Parteichef werden könnte. Dieser braucht aber auch einen Generalsekretär. Viele glauben, dass Spahn vor Linnemann den Vortritt hat, angeblich haben die beiden einen Deal geschlossen. Denkbar ist auch, dass einer der drei künftig den Fraktionsvorsitz übernimmt, falls der amtierende Chef Ralph Brinkhaus im Frühjahr nicht erneut gewählt wird. Manche sagen, Friedrich Merz habe jedenfalls bei seinem Auftritt im Bundestag in dieser Woche so entspannt gewirkt, dass man glauben könnte, es sei "schon alles in Sack und Tüten".
Wie auch immer die Einigung der drei Kronprinzen aussehen wird: Sie werden sich mit einer erstarkten Basis arrangieren müssen, die deutlich mehr Einfluss fordert – unabhängig davon, ob die Mitglieder selbst den nächsten Chef wählen müssen. Die Unruhe ist aktuell groß. Ein Mitglied der Fraktionsspitze drückt es am Mittwoch so aus: "Uns fehlt bei der CDU gegenwärtig das U: Der Kern der 'Union', unsere Geschlossenheit."
- Eigene Recherche