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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Laschet tritt ein bisschen zurück Hä?
Nach einem verwirrenden Statement rätselt nicht nur die Öffentlichkeit, wie es mit Armin Laschet weitergeht. Auch die eigene Partei hat ihn nicht verstanden. Der Kanzlerkandidat steht nun auch noch da wie ein Mann, der nicht einmal richtig zurücktreten kann.
Es gibt ein bekanntes Schulbuch für das Fach Musik, das schon den Kleinsten die Tücken der Tonleitern nahebringen soll. Das Buch heißt: "Ich wollt’, ich wär’ ein Halbtonschritt". Ein Halbtonschritt ist der kleinste Abstand zwischen zwei Tönen. Nicht nichts, aber eben auch kein ganzer Ton.
Vielleicht ist dieses Schulbuch auf verschlungenen Wegen auch in die CDU-Parteizentrale gelangt. Denn seit Donnerstagabend scheint klar: Auch Armin Laschet wäre gern ein Halbtonschritt.
Laschet ist unter Druck: Seine Partei, die CDU, hat die Bundestagswahl verloren und die SPD hat sie gewonnen. Die Sozialdemokraten verhandeln bereits fleißig mit den Grünen und der FDP über eine Ampelkoalition zur Bildung der nächsten Bundesregierung. Und bei der CDU, wo man offenbar glaubte, man könne auch inhaltlich ausgehöhlt wie ein Kürbis, praktisch via Gewohnheitsrecht, den Kanzler stellen, dämmert es inzwischen den meisten: Nein, man kann es nicht.
Und was heißt das für Laschet? Als erstes ist immer der Chef schuld, das gilt nicht nur im Fußball bei flinken Trainerwechseln, sondern eben auch in der Politik. Parteifreunde forderten Laschet in den letzten Tagen öffentlich zum Rücktritt auf, ranghohe Funktionäre sprechen von "Erneuerung".
Rücktritt? Weit gefehlt.
Laschet weiß das natürlich. Auch deshalb gab er Donnerstagabend eine Pressekonferenz. Alle rechneten dabei schon fest mit seinem Rücktritt – doch der kam nicht. Laschet erzählte nur wolkig davon, dass es jetzt eine "personelle Neuaufstellung brauche", das Wort Rücktritt nahm er nicht einmal in den Mund.
Im Gegenteil: Er erklärte sich selbst zum "Ansprechpartner" für Grüne und FDP. Laschets Idee: Man könne ja trotzdem ein Jamaika-Bündnis mit ihm sondieren und parallel die Parteispitze austauschen. Ein bisschen Erneuerung, ein bisschen Beständigkeit, vor allem für ihn selbst. Eben der Halbtonschritt.
Es war ein denkwürdiger Auftritt. Vor allem weil Armin Laschet bereits zuvor in der Bundestagsfraktion erklärt hatte, es dürfe jetzt "keine Personalschlacht" um das Amt des Vorsitzenden geben. Wie so oft bei der Union wurden Inhalte aus der Sitzung an die Medien weitergegeben. Und manche Portale hatten schon eilig Meldungen vom Rücktritt Laschets verschickt, weil auch viele Abgeordnete damit fest rechneten. Was sollte denn "keine Personalschlacht" sonst heißen?
Aber weit gefehlt.
Laschet ist längst auch der Mann, der nicht gehen will. Der seltsam uneinsichtig daherkommt. Bisweilen wirkt das bizarr: Dass das Angebot der CDU für Jamaika "bis zur letzten Sekunde der Regierungsbildung" gelte, wie er es erklärte, klang schon fast verzweifelt.
Klar, die CDU will nicht für das Scheitern dieser Option verantwortlich sein. Wenn es zu einer Ampelkoalition kommen und etwa die Wirtschaft aufschreien sollte, dann soll bitte die FDP – oder besser noch: Markus Söder – das den Unternehmern und Managern erklären. Doch diese taktischen Spielchen versteht im Moment in der Öffentlichkeit kaum jemand.
Das grenzt an politisches Harakiri
Das Besondere nach Laschets Halbtonschritt-Auftritt waren die Reaktionen aus der Partei. Rief man danach bei CDU-Funktionären an, begann am Telefon das große Rätselraten. Was möchte uns der Chef eigentlich sagen? Am häufigsten fiel noch der Satz: "Ich verstehe es einfach nicht." Und mancher spottete, Laschet könne noch nicht mal richtig zurücktreten.
Das Bild, das sich für viele in der Partei nun ergibt, ist vernichtend: Laschet gilt als Sündenbock. Er habe die Wahl vermasselt, heißt es. Das stimmt zwar nicht, für den Absturz der CDU gibt es viele Gründe. Trotzdem wirkt es nun auf manche Mitglieder, als klammere sich da einer aus purer Verzweiflung an die Macht.
Unabhängig davon kann man sich schon fragen, wie Laschet sich eigentlich die nächsten Monate vorstellt. Wie soll das laufen? Er will als ehemaliger Kanzlerkandidat mit den Grünen und der FDP verhandeln, während seine Partei – von ihm "moderiert", wie er betont – bereits seinen Nachfolger in Stellung bringt? Also Ansprechpartner für Jamaika sein, aber nicht Jamaika-Kanzler werden. Das grenzt an politisches Harakiri. Was auch daran liegt, dass völlig unklar ist, wer nun eigentlich in der CDU das Sagen hat.
Als ginge es in einer Demokratie zu wie bei Hofe
Laschet zog bei seinem Statement dann noch einen Vergleich zu Nordrhein-Westfalen, dort sei ihm die Nachfolge mit Hendrik Wüst ja auch gelungen: Praktisch geräuschlos und mit reichlich Akzeptanz habe er nun den aktuellen Verkehrsminister als neuen NRW-Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Das ist nicht nur deshalb etwas befremdlich, weil es wirkt, als ginge es zu wie bei Hofe, wo der König seinen Nachfolger einsetzt. Wer regieren will, muss gewählt werden. Nur den Segen des Vorgängers zu haben, reicht nicht. Das dürfte Wüst spätestens im Mai nächsten Jahres erfahren, wenn Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist.
Doch vor allem ist der Vergleich mit Nordrhein-Westfalen politische Schönfärberei: Dort kam nur ein Kandidat mit Landtagsmandat in Frage, was die Auswahl der Bewerber erheblich reduziert hat. Aber: Chef der Bundespartei kann jedes Mitglied werden. Eine eher friedliche Lösung wie in Düsseldorf dürfte mit Leuten wie Jens Spahn, Friedrich Merz, Norbert Röttgen und sogar dem sonst so nonchalanten Daniel Günther kaum hinzubekommen sein.
Und so überraschte es kaum, dass sich prompt nach Laschets Irgendwie-Rückzugs-Statement sein alter Kontrahent Friedrich Merz als einer der ersten auf Twitter zu Wort meldete. Während die anderen Parteimitglieder noch rätselten, war für Merz die Sache bereits klar: "Armin Laschet macht heute den Weg frei für den Neuanfang der CDU." Er selbst, so Merz, werde sich – wohl nicht ganz selbstlos – "nach Kräften daran beteiligen, dafür einen einvernehmlichen Weg zu finden, der auch die Zustimmung unserer Mitglieder findet".
Nun könnten erneut die Tage und Wochen der langen Messer in der CDU beginnen. Denn der ehemalige Fraktionschef Merz wird nicht der Letzte sein, der sich aus der Deckung wagt. Und Laschet schaut dabei zu.
Oder, um in der Welt der Musik zu bleiben, die Antwort von Laschet auf die Frage "Should I Stay or Should I Go?" scheint zu lauten "I Should Stand by the Door".
- Eigene Recherche