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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Protest gegen "Nazi-Propaganda" Künstler legten AfD rein: "Fünf Millionen Flyer nicht verteilt"
Das "Zentrum für politische Schönheit" hat vor der Wahl Millionen AfD-Flyer über eine Fake-Firma akquiriert – aber sie nie verteilt. Trotz eindeutiger Hinweise hätten Dutzende AfD-Verbände "geliefert und geliefert und nicht aufgehört".
Das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) hat wieder zugeschlagen. Die Aktionskünstler, die dem Rechtsextremisten Björn Höcke bereits ein Holocaust-Mahnmal vor das Haus bauten, bekennen sich zu einer neuen Aktion gegen die AfD: Sie haben nach eigener Aussage Millionen Flyer der AfD für die Bundestagswahl über eine fingierte Firma akquiriert, aber nie verteilt. "Es geht insgesamt um fünf Millionen AfD-Flyer für die Bundestagswahl. Das sind 72 Tonnen Müll", sagte Philipp Ruch vom ZPS t-online am Dienstag.
Die Firma "Flyerservice Hahn" sei einzig zu diesem Grund als GmbH eingerichtet worden. "Wir sind ein Unternehmen, das nur in einem Geschäftsbereich sehr gut ist: Im Nicht-Verteilen von Nazi-Propaganda", so Ruch weiter.
85 AfD-Verbände wollten Flyer wohl über Fake-Firma verteilen
Schon im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt hätten die Aktionskünstler bemerkt, dass die AfD die Mühe scheue, selbst von Tür zu Tür zu laufen. Also habe das ZPS bereits Monate vor der Bundestagswahl AfD-Ortsverbände per Mail und Telefon kontaktiert und angeboten, dass die Fake-Firma die Verteilung von Flyern übernehme.
Laut Ruch mit großem Erfolg: 85 Ortsverbände hätten dem Service ihre Flyer anvertraut. "Die haben geliefert und geliefert und nicht aufgehört", sagt Ruch und lacht. "Dieses enorme Vertrauen in die Macht der Kunst freut und ehrt uns natürlich sehr."
Künstler schickten AfD auf Reise durch die ganze Republik
Und das, obwohl die Aktionskünstler die AfD-Leute zum Teil wohl auf abenteuerliche Reisen schickten: So habe man zum Beispiel gefordert, dass die AfD Flyer aus Schleswig-Holstein nach Mainz liefere, obwohl diese für die Verteilung in Schleswig-Holstein vorgesehen waren. "Zwischendurch dachten wir: Jetzt gehen wir zu weit. Aber es hat immer funktioniert."
Die Bundesvorsitzenden der AfD, Tino Chrupalla und Jörg Meuthen, teilten bereits am vergangenen Freitag mit, dass zahlreiche Aufträge über den fingierten "Flyerservice Hahn" aufgegeben wurden. In ihrer Pressemitteilung sprachen sie jedoch nur vage von "insgesamt mehr als einer Million Flyer" und kritisierten "betrügerische Aktionen" sowie den Versuch, die Bundestagswahl zu beeinflussen, scharf. Sie kündigten an, Strafanzeige gegen die "Feinde der Demokratie" zu stellen und weitere rechtliche Schritte zu prüfen.
"Wir wollten sehen: Wie weit können wir gehen?"
Philipp Ruch weist die Vorwürfe zurück und hat wenig Sorge vor der Justiz. Das Künstlerkollektiv habe sich rechtlich abgesichert. So habe man zum Beispiel in den AGBs des "Flyerservice Hahn" vermerkt, dass der keine Fake News und insgesamt keine Parteienwerbung verteile. Am vergangenen Dienstag habe man außerdem das Angebot gemacht, alle Flyer zum Selbstverteilen zurückzugeben, wenn die Verbände das wollten.
Das Künstlerkollektiv habe "einfach mal die Hände aufhalten" wollen, so Ruch. Von Björn Höcke werde das Künstlerkollektiv ja bereits als "Terrororganisation" eingestuft – leider sei Höcke aber bisher der einzige mit dieser Einschätzung. "Wir wollten sehen: Wie weit können wir gehen, wie viel Nazi-Propaganda vertraut die AfD uns an?"
Änderungen an der Künstler-Homepage
Tatsächlich ist auf der Homepage des "Flyerservice Hahn" unter dem Reiter "AGBs" und dem Punkt "Ausschluss" inzwischen aufgeführt, dass Aufträge mit folgenden Inhalten ausgeschlossen seien: "Werbung, die gegen die guten Sitten verstößt, religiöse oder politische Propaganda, (...) Wahlwerbung und politische Information von Parteien und Wahlkandidaten sowie Werbung durch verfassungs- oder demokratiefeindliche Organisationen und Parteien".
Aber: Die Homepage wurde von den Künstlern nachträglich verändert. Die AfD ist demnach nicht auf die Seite in dem Zustand hereingefallen, wie sie sich heute präsentiert. So wurde der Reiter "AGBs" erst in den vergangenen Tagen hinzugefügt. Wie eine archivierte Version der Homepage im Onlinedienst "Waybackmachine" zeigt, wurden dort am 20. September noch gar keine "AGB" aufgeführt – dafür aber Logos von unterschiedlichen Kunden des vermeintlichen Verteildienstes Hahn, darunter unter anderem der Deutschen Post, der FDP und der Restaurantkette "Café Extrablatt".
Journalist Daniel Laufer, der zuerst auf die Änderungen auf der Homepage hinwies, zieht auf Twitter den Schluss: Die Fälschung sei wohl "deutlich professioneller" aufgezogen worden, als das ZPS es nun erscheinen lasse.