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Bundestagswahl: Hätten die Jungen gewählt, wäre Baerbock Kanzlerin


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Stimmenunterschied bei Altersgruppen
Diese Partei hätte gewonnen, hätten nur die Jüngeren gewählt

Von Michael Freckmann

27.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Annalena Baerbock: Die Grünen sind bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern beliebter.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock: Die Grünen sind bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern beliebter. (Quelle: Bernd Von Jutrczenka/dpa)

Die Stimmenverteilung bei Jung und Alt ist bei dieser Wahl so unterschiedlich wie nie. Die Jüngeren präferieren die Grünen, die Älteren haben die Volksparteien gewählt. Dieses Stimmungsbild wirkt sich auch auf die Regierungsbildung aus.

Die SPD hat die Wahl gewonnen – doch dies gilt nicht für alle Altersgruppen. Noch nie klafften bei Bundestagswahlen die Wahlergebnisse zwischen jungen und alten Wählern so weit auseinander. Wenn bei dieser Wahl nur junge Menschen gewählt hätten, würde Annalena Baerbock Kanzlerin werden. Was bedeutet dieses Ergebnis nun für die kommende Regierungsbildung?

In der Altersgruppe der unter 30-Jährigen kommen nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen die Grünen auf 22 Prozent und die FDP auf 19 Prozent. So ist der Erfolg der Grünen und Liberalen bei dieser Wahl zu großen Teilen den jungen Wählern zuzuschreiben. In dieser Altersgruppe konnten die Grünen 11 Prozent und die FDP 6 Prozent hinzugewinnen.

Situation sieht bei Union und SPD ganz anders aus

Bei den beiden ehemals großen Parteien sieht die Situation ganz anders aus. Bei den jungen Wählern erreichen die Sozialdemokraten lediglich 17 Prozent, die Union gerade noch 11 Prozent. Sie schneiden also gemessen an ihrem Gesamtwahlergebnis beide unterdurchschnittlich ab. Auch sind die Verluste im Vergleich zur letzten Wahl besonders hoch: Bei den bis 30-jährigen hat die Union 14 Prozent ihrer Wähler verloren. Dies ist der größte Verlust einer Partei nach Altersgruppen bei dieser Wahl überhaupt.

Die Sozialdemokraten haben in dieser Altersgruppe 2 Prozent an Zustimmung verloren. So wird deutlich, dass es auch die SPD trotz ihres Gesamtwahlerfolges nicht geschafft hat, bei den Jüngeren zusätzlich zu mobilisieren. Bei den Linken gibt es etwas mehr Zuspruch bei jüngeren Wählern, der aber nur wenig höher ist als bei Älteren, da sich das Gesamtergebnis der Partei auf niedrigem Niveau befindet. Die AfD hat bei den ganz Jungen und den Älteren genau gleich starke Stimmenanteile. Beide kommen aber für Koalitionen ohnehin nicht in Frage.

SPD profitiert von der Struktur der Gesamtwahlbevölkerung

In der höchsten Altersgruppe, den über 60-Jährigen, konnten die beiden ehemals großen Parteien hingegen weit überproportional punkten. Die Sozialdemokraten kommen auf 35 Prozent und CDU/CSU zusammen auf 34 Prozent. Die Grünen erreichen nur 9 Prozent und die Liberalen 8 Prozent. Sie bleiben erkennbar unter ihrem Gesamtergebnis zurück. Die SPD konnte den ersten Platz bei der Wahl vor allem deswegen erreichen, weil sie bei den älteren Wählern stark mobilisierte. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl gewannen die Sozialdemokraten 11 Prozent bei den über 60-Jährigen hinzu. So bleibt die Partei trotz Gewinnen bei dieser Wahl vor allem eine Partei der höheren Jahrgänge. Dies ging zulasten der Union, die in dieser Altersgruppe 7 Prozent abgeben musste. Hier liegt eines der Kernprobleme der Union: In ihrer Stammgruppe, den Wählern höheren Alters, kommt sie nicht mehr auf die Ergebnisse, die sie bei bisherigen Wahlen erreichte.

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Die SPD erlangte den ersten Platz nicht nur, weil sie prozentual von mehr älteren Menschen gewählt wurde. Scholz und seine Partei profitierten zudem noch von der Struktur der Gesamtwahlbevölkerung. Denn während die bis 30-Jährigen nur 14 Prozent der Gesamtwählerschaft ausmachen, stellen die über 60-Jährigen 38 Prozent aller Wahlberechtigten. So haben die älteren Wähler allgemein ein viel größeres Gewicht. Wählerwanderungen dieser Wählergruppe bewirken im Gesamtergebnis der SPD einen viel stärkeren Zuwachs.

Bindungen an Volksparteien sind sehr schwach geworden

Das Wahlergebnis zeigt, dass die älteren Wähler nach wie vor die Stabilisatoren von SPD und Union sind. Es sind die Wähler, die in der Hochzeit der Volksparteien sozialisiert wurden. Einen großen Anteil innerhalb der Wählerschaft von Union und SPD stellen die Geburtsjahrgänge, die in den Zeiten der Sozialliberalen Koalitionen groß geworden sind. Die Generation der "Babyboomer", die Willy Brandt als Jugendliche kennengelernt haben, die mit Neuer Ostpolitik, breitem gesellschaftlichem Wohlstand und der "Bildungsexpansion" aufgewachsen sind. Dies bedeutet für SPD und Union aber auch, dass wegen der Überalterung ihrer Wählerschaften in der Zukunft zusätzliche Probleme heraufziehen werden.

Der Wahlabend macht hinsichtlich der jüngeren Wähler ebenso deutlich, dass die Bindungen an Volksparteien sehr schwach geworden sind. Diese Wählergruppe hat erlebt, dass Angela Merkel mit wechselnden Partnern, und lange in der Großen Koalition regierte, die bis dahin als Ausnahme galt. Auf Länderebene lernte diese Generation die Zersplitterung des Parteiensystems und bis dahin nie gekannte Koalitionsmodelle kennen.

Strategischer Schlüssel liegt bei FDP und Grünen

Eines ist mit Blick auf die Regierungsbildung paradox: Obwohl die junge Generation innerhalb der Wahlberechtigten und in der Gesamtbevölkerung nur einen geringen Anteil stellt, ist sie bei der Regierungsbildung umso stärker vertreten. Denn aktuell liegt der strategische Schlüssel zur Regierungsfindung bei FDP und Grünen. Also bei jenen Parteien, die maßgeblich von den Jüngeren gewählt wurden. Ohne diese beiden Parteien wird eine Regierungsbildung nicht möglich sein. Und so laufen die ersten Gespräche aktuell nicht unter Beteiligung der Kanzlerparteien, sondern zunächst zwischen den Kanzlermachern.

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Jamaika und Ampel könnten sogar zu einem generationsübergreifenden Bündnis werden. Beide Koalitionsmodelle haben das Potential, junge und alte Menschen bei der Klimapolitik, der Digitalisierung und der Reform der Sozialsysteme zu integrieren. Es könnte ein Bündnis geben, in dem die Großeltern mit ihren Enkeln ins Gespräch kommen. Dies setzt aber voraus, dass die zukünftige Kanzlerpartei, wer immer dies sein wird, auch dazu bereit ist, gelegentlich gegen den Großteil ihrer eigenen Wählerschaft Politik zu machen.

Langsame Kompromisse sind kaum attraktiv

Auf der anderen Seite wurden Liberale und Grüne nicht nur von Jüngeren gewählt, sondern haben auch Wähler höheren Alters in ihren Reihen. Bei den Liberalen sind dies etwa die saturierten Mittelständler oder bei den Grünen ihre mittlerweile ergrauten Gründungsmitglieder. So müssen auch diese beiden Parteien intern bei sich einen Ausgleich finden.

Die Mehrheit der Wähler hat allerdings nach wie vor Union und SPD ihre Stimme gegeben und damit Parteien gewählt, die, wenn überhaupt, nur einen moderaten gesellschaftlichen Wandel anstreben. Jüngere Wähler werden daher von den älteren Wählern fordern, die Interessen der strukturell schwächeren Jüngeren mit zu berücksichtigen. Spiegelverkehrt kann manch ein junger Wähler mit dem Volksparteigedanken nur noch wenig anfangen. Die langsamen Kompromisse und das Abschleifen programmatisch klarer Vorstellungen ist für viele kaum attraktiv. Und doch werden in Ampel und Jamaika ständig Kompromisse geschmiedet werden müssen.

Die kommenden Koalitionsverhandlungen müssen nicht nur Parteien zusammenbringen, welche noch nie zusammen regiert haben, sondern auch eine Verständigung zwischen den Generationen anstreben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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