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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Presse zur grünen Kandidatin "Baerbock braucht den Obama-Macron-Effekt"
Es ist entschieden: Die Grünen haben eine Kanzlerkandidatin. Streng nach ihrem Zeitplan verkündete die Partei am Montag, dass Annalena Baerbock antritt. So reagiert die deutsche Presse.
Annalena Baerbock tritt als Kanzlerkandidatin der Grünen an. Am Vormittag verkündeten sie und Robert Habeck, der ebenfalls als Kandidat gehandelt worden war, die Entscheidung. Die beiden Parteivorsitzenden einigten sich untereinander, der Parteivorstand zog mit der Nominierung nach. Im Juni muss die Kandidatur noch auf dem Parteitag bestätigt werden – Formsache, wie es heißt.
So reagiert die deutsche Presse auf die Nominierung Baerbocks:
"Spiegel": Wer Wildes will, muss Union wählen
"Wer etwas Wildes will, muss im September Union wählen. Wer stille Seriosität bevorzugt, dem machen die Grünen ein passendes Angebot."
"Tagesspiegel": Die anderen Parteien werden sich umschauen
"Die anderen Parteien, älter, grauer, weniger divers, werden sich umschauen. Wenn die Grünen in ihrem Hochgefühl jetzt keinen Höhenriss bekommen, kann es sein, dass nach den Wahlen im September ihre Farbe stärker denn je strahlt. So wie ihre Kanzlerkandidatin am Tag der Ausrufung."
"Welt": Die anderen Parteien müssen die Grünen enttarnen
"Das Marketing der Grünen ist perfekt. Dazu passt die Kandidatin der Grünen. Die Konkurrenz der Grünen muss jetzt sehen, wie sie das wolkige Sowohl-als-auch, das Tanzen auf allen Hochzeiten – von der Antifa bis zum BDI – in seiner weltfremden Widersprüchlichkeit enttarnen kann."
"Nordwest-Zeitung": Grüne müssen außerhalb ihres Milieus punkten
"Fraglich ist zudem, wie die Grünen außerhalb ihrer links-bürgerlichen Heimat-Milieus punkten. Denn das müssen sie, um die Regierung führen zu können. Fakt ist: Die Grünen schrumpfen in den jüngsten Umfragen. Woran liegt das? Vielleicht daran, dass unter Phrasen wie "Politik, die vorausschaut und was neues wagt", programmatische Zumutungen hervorblitzen, die mit Wohlstandsverlust und gesellschaftspolitischer Gängelei wenigstens ansatzweise zu beschreiben sind."
"Rheinische Post": Baerbock braucht den Obama-Macron-Effekt
"Ihr Problem aber ist die fehlende Regierungserfahrung. Annalena Baerbock hat keine andere Chance, als das zu einem Vorteil umzudeuten. Baerbock braucht den Obama-Macron-Effekt. Beide Männer hatten ebenfalls kaum Erfahrung, bevor sie Staatsmänner wurden. Und so macht es Baerbock richtig, als sie am Montag betont, sie würde für Erneuerung antreten, die anderen für den Status Quo."
"Redaktionsnetzwerk Deutschland": Davon hat die Union einmal geträumt
"Die Grünen machen vor, wovon die Union einmal geträumt hat: Polit-Aufsteiger à la Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz galten dort als Blaupause, um als frisch und modern zu erscheinen. Ohne Risiko ist die Nominierung Baerbocks dennoch nicht. Ihre fehlende Regierungserfahrung wird die Konkurrenz zum Haupt-Angriffspunkt machen, auch von denen, die Friedrich Merz mit Verve fürs Kanzleramt empfehlen würden, obwohl der von Ministerämtern bisher ebenfalls nur geträumt hat."
"Aachener Zeitung": Kanzleramt in Frauenhand als realistische Perspektive
"Auch nach Angela Merkels Abschied bleibt das Kanzleramt in Frauenhand. Diese Perspektive ist seit Montag überhaupt nicht unrealistisch und für viele Menschen auch außerhalb der Grünen verlockend. Und sie erscheint mittlerweile sogar immer mehr Mitgliedern von CDU und CSU attraktiv. So weit ist es gekommen. In keinem der mehr als 50 Jahre, in denen es die Partei der Grünen gibt, war es vorstellbar, dass deren Spitzenpolitikerin die beiden Vorsitzenden von CDU und CSU ernsthaft bitten muss, Eintracht zu halten. Und dieser Appell von Annalena Baerbock wird nicht als billiger Wahlkampfeffekt empfunden, sondern als angemessen - auch von nicht wenigen Mitgliedern der beiden C-Parteien."
"Volksstimme": Baerbock steht für Grüne als Juniorpartner
"Die Grünen wollen eigentlich nicht den Kanzler stellen. Deswegen konnten Sie es sich leisten, die Wahl ihres Kanzlerkandidaten nicht von Umfragen oder der Qualifikation abhängig zu machen. Zweifellos hätte dann Robert Habeck das Rennen machen müssen. Für die Partei und ihre Ziele, nämlich zweitgrößte Partei und einflussreicher Partner in einer Regierungskoalition zu werden, ist Annalena Baerbock die richtige Kandidatin. Jünger, weiblich, klug und mit einem frischeren Stil ist sie der Kontrast zu den Kandidaten von CDU und SPD. Sie trägt das Image der Grünen. Und anders als in der Union haben sich die Kontrahenten um die Spitzenkandidatur nicht gegenseitig geschwächt."
"Augsburger Allgemeine": Kein Kretschfrau
"Eine Politik für die Breite der Gesellschaft, wie die Kandidatin sie verspricht, schreibt den Menschen jedenfalls nicht vor, wie viel Fleisch sie noch essen dürfen, oder verbietet ihnen gar den Bau eines Einfamilienhauses. Zu glauben, mit ihr zöge eine Art Kretschfrau ins Kanzleramt ein, pragmatisch und weit in konservative Milieus hinein vermittelbar wie der baden-württembergische Ministerpräsident, wäre also reichlich naiv. So verbindlich Annalena Baerbock im Ton sein kann, so hart ist sie in der (grünen) Sache. Sie will Veränderung – und das keineswegs nur in homöopathischen Dosen."
"Westfälische Nachrichten": Keine Alibi-Frau
"Es wäre nur schwer zu vermitteln gewesen, warum eine Partei, die sich dem Feminismus verpflichtet fühlt, einen Mann wählt, wenn es ernst wird. Als Alibi-Frau in der zweiten Reihe – damit hätte sich die ehrgeizige Baerbock wohl ohnehin nicht abspeisen lassen. Denn die zweifache Mutter kennt ihren Marktwert: Sie ist frisch, mutig, sachkundig und verkörpert die neue pragmatische Grünen-Generation, für die Grabenkämpfe zwischen Fundis und Realos Zeitverschwendung sind."
"Süddeutsche Zeitung": Habeck darf nicht zurückbleiben
"Ja, ob das Experiment Baerbock eine Chance hat, hängt von Habeck mindestens genauso ab wie von der Ab-jetzt-Kanzlerkandidatin. Natürlich hat ihn die Entscheidung geschmerzt; und natürlich wird er das noch eine ganze Weile im Herzen tragen. Umso mehr aber wird er jetzt den Bogen schaffen müssen, trotzdem und unzweifelhaft an ihrer Seite zu kämpfen. Beide sagten zuletzt, dass nun eine oder einer "einen halben Schritt" weiter nach vorne gehen werde. Im Bild bleibend kann das nur heißen: Habeck darf auch nach heute nicht mehr als einen halben Schritt zurückbleiben. "
Kritik an Tweet der Tagesthemen
Am Abend wird Annalena Baerbock in den "Tagesthemen" im Ersten zu Gast sein. Dies kündigte Moderatorin Carmen Miosga auf Twitter an. Ihre Formulierung "Es ist ein Mädchen. Wie die Grüne dem Grünen den lichtesten Platz stibitzte", rief jedoch bei den Nutzern der Plattform reichlich Kritik hervor. Miosga löschte den Tweet daraufhin und entschuldigte sich. In den Kommentaren vermuteten einige Leser dahinter jedoch Kalkül.
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Neben den "Tagesthemen" (22.20 Uhr, das Erste) hat auch der Sender ProSieben für 20.15 Uhr ein Interview mit der grünen Kanzlerkandidatin angekündigt.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- "Spiegel": "Der nächste große Schritt"
- "Tagesspiegel": "Jetzt haben die Grünen eine historische Chance"
- "Welt": "Anständig, erwachsen – aber gefährlich wie noch nie"
- "Rheinische Post": "Für die Grünen ist jetzt alles drin"
- "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "Grüne Kanzlerkandidatin Baerbock: Teamgeist und Disziplin gegen Führungschaos"
- "Augsburger Allgemeine": "Kanzlerkandidatin Baerbock: Ist Deutschland reif für eine grüne Kanzlerin?"
- "Süddeutsche Zeitung": "Das grüne Experiment"
- Profil der "Tagesthemen" auf Twitter