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Zum journalistischen Leitbild von t-online.So arbeiten Meinungsforscher Bei Wahlumfragen ist die "Geheimformel" wichtig
Jeden Sonntag flimmern Prozentzahlen über die Bildschirme: die CDU bei 39 Prozent, die SPD bei 25 Prozent? Auf einem anderen Sender, einer anderen Homepage gibt es wieder andere Angaben. Warum? t-online.de erklärt die Arbeit der Umfrageinstitute.
In Deutschland gibt es verschiedene etablierte Umfrageinstitute, die jede Woche mit der sogenannten Sonntagsfrage einen Überblick über die politische Stimmungslage im Land liefern. Die Sonntagsfrage lautet: "Wen würden Sie wählen, wenn heute Bundestagswahl wäre?" Es handelt sich deswegen um keine tatsächliche Prognose zum Ausgang der eigentlichen Wahl, sondern um das derzeitige Stimmungsbild.
Die wichtigsten Umfrageinstitute in Deutschland sind: Institut für Demoskopie Allensbach, Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, GMS, Infratest dimap und INSA.
Doch warum unterscheiden sich die Ergebnisse der jeweiligen Institute?
Entscheidend für das Ergebnis sind die sogenannten Stichproben, die die Institute ziehen. Bei keiner Befragung werden alle Wahlberechtigten befragt, sondern möglichst zufällige Interview-Partner, meist per Telefon und meistens ab spätem Nachmittag, um auch Berufstätige zu erreichen.
Je kleiner die Stichprobe, desto ungenauer
Olaf Jandura, Kommunikationswissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gibt deswegen zu bedenken: "Alle Stichproben sind ungenau. Führte man hundert Erhebungen am Tag durch, hätte man viele verschiedene Ergebnisse, die um einen ermittelten Wert streuen." Je mehr Menschen die Meinungsforscher jedoch befragen, desto verlässlicher ist das Ergebnis. Die meisten Umfrageinstitute befragen jede Woche etwa 1000 bis 2500 Menschen.
Bei Befragungen dieser Größenordnung liegt die Fehlertoleranz allerdings bei 1,5 bis 3 Prozentpunkten, das heißt: "Wenn das Institut 40 Prozent für die CDU berechnet, liegt der tatsächliche Wert irgendwo zwischen 37 und 43 Prozent - exakter geht es einfach nicht", sagt Wahlforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Bei kleineren Parteien sei die Fehlertoleranz allerdings geringer, liege bei etwa 1,5 Prozent.
Jedes Institut müsse sich zwei zentralen Problemen stellen, sagt Niedermayer.
Zwei Probleme der Methodik
Punkt 1: Die Zufälligkeit der Stichprobe müsse möglichst gewährleistet sein – das heißt: im Fall der Sonntagsfrage muss jeder Wahlberechtigte in etwa die gleiche Chance haben, befragt zu werden. Ist eine Stichprobe nicht zufällig, ist sie nicht repräsentativ. Ein Beispiel aus einem statistischen Grundlagenbuch des Sozialforschers Bernd Klammer:
"Einer Umfrage zufolge räumen 92 Prozent aller Männer ihr Zimmer selbst auf und gar 97 Prozent (...) machen die Toilette selbst sauber." Überrascht? Die Stichprobe beinhaltete lediglich Männer in Gefängnissen - die zunächst repräsentativ erscheinende Aussage über alle Männer ist also natürlich Blödsinn. Ähnlich würde es sich verhalten, wenn t-online.de seine Leser befragt – die Ergebnisse würden nur etwas über unsere Leser aussagen können, nicht über alle Menschen in Deutschland.
Punkt 2: Die in den Umfragen gewonnenen Rohdaten müssen anschließend zweifach gewichtet werden, um sozialstrukturelle und politische Verzerrungen zu beseitigen. Für eine politische Gewichtung gibt Kommunikationswissenschaftler Lutz Hagen von der Technischen Universität Dresden ein Beispiel: "Wir wissen aus Befragungen, dass konservative Wähler weniger dazu neigen, ihre Parteipräferenzen zu nennen." Heißt: Wer einen CDU-Wähler fragt, welche Partei er wählt, erhält häufig gar keine Antwort. Das kann aber die Ergebnisse verzerren. Deswegen versuchen Institute durch mathematische Faktoren solche Verzerrungen "herauszurechnen".
Die "Geheimformel" der Institute
Wie und mit welchen Faktoren die Umfrageinstitute ihre gewonnenen Rohdaten gewichten, ist das Betriebsgeheimnis der jeweiligen Institute. Würden sie ihre "Geheimformel" offenbaren, würden sie ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Meinungsforschern verlieren. Gelegentlich geäußerte Vorwürfe, manches Institut verfälsche die Rohdaten zu Gunsten von bestimmten Parteien oder lenke die Befragten anhand der Fragestellung in eine bestimmte Richtung, halten die drei Forscher Jandura, Niedermayer und Hagen aber für abwegig.
"Das wäre kontraproduktiv und würde das eigene Geschäftsmodell gefährden", sagt Jandura. Für die Wirtschaft sei das Institut dann "verbrannt". Auch Niedermayer ist überzeugt, dass die Institute methodisch sauber arbeiten. Die Forschungsgruppe Wahlen sei allerdings das einzige Institut, das sowohl die nur sozialstrukturell gewichteten Daten, als auch die politisch gewichteten Umfrageergebnisse veröffentliche.
Alles klar? Nicht ganz.
Wie kommt es denn, dass Umfrageinstitute Wahlen völlig falsch prognostizieren? Den Brexit nicht vorhersehen? Clinton statt Trump vorzeitig zur US-Präsidentin küren? Das hat unterschiedliche Ursachen.
Warum sah niemand den Brexit kommen?
Erstens spielt es eine Rolle, ob telefonisch befragt wird, direkt auf der Straße oder beispielsweise online. Die Befragung per Internet gilt beispielsweise als nicht repräsentativ, weil nicht alle Menschen online erreichbar sind – Ältere beispielsweise sind oft nicht so mit dem Internet vertraut wie Jüngere.
Zweitens spielt der Zeitpunkt eine Rolle, wann die Untersuchung durchgeführt wird. Menschen entscheiden sich häufig erst kurz vor der Wahl. Ob sie zwei Wochen zuvor in einer Umfrage "Clinton" statt "Trump" geantwortet haben, spielt dann keine Rolle mehr.
Drittens können Umfrageinstitute nicht in allen Wahlsituationen auf Erfahrungen zurückgreifen, die ihnen helfen, die Rohdaten wie beschrieben zu gewichten. "Für eine einmalige Entscheidungssituation wie den Brexit gibt es keine Modelle", sagt Forscher Lutz Hagen. Ähnlich verhalte es sich, wenn neue Parteien auf der Bildfläche erscheinen.
Es bleibt also weiterhin spannend für die Bundestagswahl. Ob Merkel oder Schulz das Rennen machen, entscheiden keine Umfragen oder Institute. Das entscheiden die Wähler am 24. September mit ihrer Stimme.