Kritik von Opfern des NS-Regimes Holocaust-Überlebender gibt wegen Merz Bundesverdienstkreuz zurück
Überlebende der NS-Zeit sind entsetzt über die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD. Sie protestieren gegen Friedrich Merz – mit einer symbolischen Geste.
Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg will sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben, nachdem die Union mit Stimmen der AfD einen Bundestagsantrag zur Migrationspolitik durchgebracht hat. Der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano, der sich wie Weinberg für das NS-Gedenken engagiert, möchte es ihm gleichtun. Er habe den Plan gemeinsam mit seinem Freund Weinberg, der aus Leer in Ostfriesland kommt, vereinbart, sagte Toscano.
Er werde die ihm 2021 verliehene Ehrung zusammen mit Weinberg zeitnah in Berlin an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zurückgeben. "Entweder empfängt uns der Bundespräsident oder wir werfen es bei ihm in den Briefkasten", sagte er. Er sei erschüttert, empört und aufgewühlt über das, was am Mittwoch im Bundestag geschehen sei. "Ich bin um meine demokratischen Werte verraten worden", sagte Toscano der Deutschen Presse-Agentur.
Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf appelliert an Merz
Die Union hatte am Mittwoch ihren Fünf-Punkte-Plan für eine schärfere Migrationspolitik knapp mit Stimmen von AfD, FDP und Fraktionslosen durch den Bundestag gebracht. Erstmals beschaffte die AfD dabei im Plenum eine Mehrheit, auch wenn der Antrag nur appellativen Charakter hatte. Am Freitag stimmt das Parlament über einen Gesetzentwurf der Union zur Eindämmung der Migration ab. Neben der AfD signalisierten bereits FDP und BSW ihre Zustimmung.
Die Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf warnte CDU-Chef Friedrich Merz indes davor, Politik mit der Zustimmung von Rechten zu machen. In einem offenen Brief in der "Süddeutschen Zeitung" fordert die 82-Jährige den CDU-Partei- und Fraktionschef auf, die Rechtsextremisten nicht zu unterschätzen und umzukehren. "Gehen Sie auf die anderen demokratischen Parteien zu, finden Sie Kompromisse."
"Tun Sie das nicht. Kehren Sie um, Herr Merz"
Umlauf, die 1944 als Zweijährige mit ihrer Mutter in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht wurde, schreibt, die gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD im Bundestag "habe die demokratische Brandmauer in ihren Grundfesten erschüttert". Sollte die CDU am Freitag gemeinsam mit Rechtsextremen ein Gesetz im Bundestag verabschieden, könnte diese Brandmauer "niedergerissen" werden.
Sie bittet den CDU-Chef deshalb: "Tun Sie das nicht. Kehren Sie um, Herr Merz, so schwer es Ihnen auch fallen mag." Andernfalls würden "die Feinde unserer Demokratie" normalisiert. "Wir alle wissen, wie deutsche Politiker schon einmal dachten, man könne mit Hitler und der NSDAP zusammenarbeiten. Sie im Zaum halten", schreibt Umlauf. "Und in wenigen Jahren wurde aus unserer Demokratie eine Diktatur. Wurde aus Frieden Krieg."
Weinberg: Rückgabe spontaner Entschluss
Auch der Holocaust-Überlebende Weinberg ist schockiert über das Abstimmungsergebnis am Mittwoch im Bundestag. Es sei eine spontane Entscheidung gewesen, das Bundesverdienstkreuz, das eine hohe Ehre für ihn sei, zurückzugeben. Er wolle das Gleiche tun wie sein Freund Toscano. "Es ist zu schwer geworden, es zu tragen, wenn man solche Nachrichten hat. Furchtbar", sagte der 99-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Weinberg überlebte die drei Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora im Harz, Bergen-Belsen bei Celle und mehrere Todesmärsche. Seine jüdische Familie wurde von den Nazis fast vollständig ermordet. 2012 kehrte er zusammen mit seiner Schwester aus den USA zurück in seine ostfriesische Heimat. Seitdem geht er in Schulen und berichtet Schülerinnen und Schülern von seinen Erinnerungen.
Toscano erwartet Einsatz für Demokratie
Das will er auch weiter tun. "Ich gehe in den letzten zehn Jahren in Schulen und spreche zu Schülern, was sein kann und was würde sein, wenn die die Macht wieder übernehmen", sagte Weinberg mit Blick auf die AfD. "Die haben ja keine Ahnung, wie das ausgesehen hat '45 Deutschland." Er hoffe, dass die Menschen zur Vernunft kommen. "Politik ist ein komisches Geschäft."
Toscano, Fotograf und Filmemacher, macht mit dem Erinnerungsprojekt "Gegen das Vergessen" die Schicksale der Überlebenden öffentlich und verschafft den letzten Zeitzeugen der NS-Verbrechen Aufmerksamkeit.
"Die Probleme, die wir haben mit der Migration, wir wissen, dass sie da sind, aber die dürfen wir nicht mit den Steigbügelhaltern der Rechten lösen", sagte Toscano. Er erwarte von Demokraten eigentlich hundertprozentigen Einsatz für die Demokratie. Was gestern passiert sei, habe damit nichts mehr zu tun. "Die Symbolik und die Gefahren, die daraus resultieren, sind verheerend."
- Nachrichtenagentur dpa
- Vorabmeldung der "Süddeutschen Zeitung" vom 30. Januar