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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Baerbock beim Nato-Gipfel "Das schlug ein wie eine Bombe"
Außenministerin Baerbock verkündet beim Nato-Gipfel ganz nebenbei, nicht für die Grünen als Kanzlerkandidatin ins Rennen zu gehen. Das steckt hinter ihrem Timing.
Eigentlich ging es beim Nato-Gipfel um Russland und China. Das Bündnis wollte Stärke demonstrieren, sich geschlossen hinter die Ukraine stellen.
Doch auch der Gesundheitszustand von Joe Biden spielte eine Rolle. Die Versprecher am letzten Gipfel-Tag heizen die Diskussion um seine Kandidatur erneut an.
Ganz nebenbei hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verkündet, nicht für die Grünen ins Rennen um das Kanzleramt zu gehen. Doch warum wählte sie dafür ausgerechnet den Nato-Gipfel?
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Der geplante Befreiungsschlag von Joe Biden wird zum neuen Desaster. Zum Abschluss des Nato-Gipfels leistet er sich zwei Versprecher, nennt seine Vize-Präsidentin Harris Trump. Und auch beim Auftritt mit ukrainischen Präsidenten Selenskyj patzt Biden.
"Meine Damen und Herren, Präsident Putin. Präsident Putin? Wir werden Präsident Putin schlagen. Präsident Selenskyj."
In den eigenen Reihen dürfte das für noch mehr Kritik sorgen, war Biden doch schon vor dem Gipfel angezählt.
"Der Nato-Gipfel in Washington geht zu Ende und der Gipfel ist von vier Personen geprägt worden. Die erste Person ist sehr mächtig, aber auch sehr angeschlagen."
"Ja, genau. Also Joe Biden, der amtierende US-Präsident, stand hier total im Fokus. Und zwar nicht nur außenpolitisch betrachtet, sondern vor allem innenpolitisch, weil er natürlich angeschlagen ist seit der missratenen TV-Debatte. Und ja, wir haben es ja selber erlebt. Du hast die selber erlebt, wie hat er sich gegeben?"
"Also ich hatte den Eindruck sehr konzentriert, aber auch sehr fahrig."
"Genau. Was man beobachten konnte, ist, dass er natürlich sich verhaspelt. Das macht er zwar schon immer, aber jetzt wird natürlich seit der Debatte auf jedes kleine Versprecherlein geachtet. Und was tatsächlich auch innenpolitisch krass war, dass hier parallel nur zwei Kilometer weg im Kongress quasi die Gegenattacke lief von den eigenen Leuten. Die Demokraten bis zu den höchsten Positionen haben ihn angezählt und fordern von ihm eine Entscheidung, die ja offiziell ja längst getroffen hat. Er will antreten, aber jeden Tag stellt es wieder infrage, er solle sich doch bitte endlich entscheiden. Aber es gab dann aus deutscher Sicht tatsächlich noch eine andere Person, die hier kurzfristig die Debatte bestimmt hat."
"Und das war richtig überraschend. Das war nämlich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die ja eigentlich hier ist, um sich um die internationale Politik zu kümmern. Ukraine und vieles mehr. Und dann hat sie aber mal en passant in einem TV-Interview mit dem amerikanischen Sender CNN verkündet, dass sie auf die Kanzlerkandidatur verzichtet. Und das hat eingeschlagen wie eine Bombe. Insbesondere natürlich bei der deutschen Delegation und deutschen Journalisten. Und wenn man dann gefragt hat, warum sie das ausgerechnet hier auf dem Nato-Gipfel in Amerika verkündet hat, dann kann man die Gründe, die man dann dargeboten bekommt, ungefähr so umschreiben: Zum einen wollte sie verhindern, dass sich die Grüne Partei jetzt lange mit einer Urwahl beschäftigt, die sie eigentlich vorgehabt hätte, um dann zu entscheiden zwischen Habeck und Baerbock, wer soll es machen bei der nächsten Wahl? Zum zweiten weiß sie natürlich, dass die Grünen in Umfragen gerade nicht gut dastehen und man das Thema Kanzlerkandidatur vielleicht lieber frühzeitig abräumt. Und zum Dritten merkt man ihr schon sehr deutlich an, sie hat einfach andere Pläne. Sie geht mittlerweile sehr stark auf in ihrer außenpolitischen Aufgabe. Und sie sagt dann auch, dass sie eben gefragt wird von anderen Diplomaten 'Annalena Können wir darauf zählen, dass du auch in den nächsten Monaten genug Zeit hast für die Krisenbewältigung auf dieser Welt? Oder musst du dich dann mit der Kanzlerkandidatur beschäftigen?'. Und da, sagt sie, habe sie jetzt eine sehr klare Entscheidung für sich getroffen. Es ist ihr wichtiger, dass sie ihren diplomatischen Job erledigen kann. Ein anderer hat allerdings auch dann noch eine große Rolle gespielt hier, und das war gar nicht so besonders."
"Der Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orbán, spielt hier eine große Rolle, auch unter anderem, weil er jetzt nämlich nicht nur Xi Jinping besucht hat und Wladimir Putin und Selenskyj in Kiew, sondern er wird auch Donald Trump besucht haben, wenn der Gipfel vorbei ist. Da fliegt er nämlich hin nach Florida, macht quasi seine Autokraten-Tour zu Ende. Was ist dein Eindruck davon? Was sagt die deutsche Bundesregierung dazu?"
"Also da habe ich den Eindruck, man darf ja nicht alles berichten, was man dann in den Hintergrundgesprächen erfährt. Aber Orbán hat weder sich noch sonst jemanden einen Gefallen getan damit. Die Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, und zwar aus den Kreisen der Staats- und Regierungschefs der Europäer, ist, wirklich mit Händen zu greifen. Die finden das alle unmöglich, was er sich da erlaubt hat, dass er eben suggerierte, er würde für die Europäer sprechen und dann bei Putin vorstellig werden und bei Xi. Dabei hat er gar kein Mandat und sie haben ihn nicht mandatiert. Und man hat sehr klar gemerkt, die werden ihm das nicht durchgehen lassen. Sie fangen an, ihn zu isolieren. Das merkt man dann auch bei den Gesprächen. Wenn die sich zu ihren Arbeitssitzungen treffen, dann sitzt er da alleine an seinem Tisch, während alle anderen Small Talk halten. Also ich glaube nicht, dass Orbán sich einen Gefallen getan hat damit."
"Genau. Also ich denke mal, Orbán baut natürlich auf, nicht nur auf die Ratspräsidentschaft jetzt die nächsten sechs Monate, sondern auf die US-Wahl, wo er dann darauf hofft, dass sein Buddy Donald Trump, zu dem er jetzt nach Mar-a-Lago fliegt, gewinnen wird."
"Donald Trump ist ja die Person, die hier auf diesem Gipfel eine große Rolle gespielt hat, obwohl er gar nicht dabei war."
"Genau. Donald Trump war im Prinzip der andere Präsident, der Gegen-Präsident, der hier neben Joe Biden quasi im Hintergrund als dunkle Wolke über dem ganzen Gipfel hing, weil er eben vielleicht wieder ins Weiße Haus kommen kann. Und Orbán baut darauf, dass sein Buddy eben in vier Monaten vielleicht wieder ins Oval Office gewählt wird. Und das beunruhigt nicht nur natürlich den demokratischen Teil der amerikanischen Bevölkerung, sondern auch die Alliierten. Denn, dass es ganz klar ein Unterschied gibt im außenpolitischen Fokus einer Trumpregierung und einer jetzigen Biden Regierung. Das ist offensichtlich und kein Geheimnis. Das wird auf jeden Fall erstens inhaltlich eine ganz andere Schwerpunktsetzung geben. Und dazu kommt natürlich noch Trumps absolute Unberechenbarkeit. Das ist, glaube ich, das, wovor sich auch die deutsche Bundesregierung am meisten fürchten und die europäischen Partner. Dass man einfach wieder für viele Jahre lang dann nicht einschätzen wird können, was hier morgens getwittert oder gext oder getruthed wird."
"Und sich dann eigentlich nur noch mit dieser Chaossituation beschäftigen muss, während man doch so viele Krisen auf der Welt hat, die es eigentlich zu lösen gibt. Und das wird die nächste Woche prägen, denn dann wird nämlich Trump auf dem Parteitag offiziell nominiert. Du wirst dabei sein, du wirst hinfahren, du wirst für uns berichten."
"Milwaukee."
"In Milwaukee. Das ist noch mal eine andere Zeitzone. Also auch anstrengend für die Korrespondenten dieser Welt. Ich werde zurückfliegen nach Berlin. Da gibt es auch jede Menge zu berichten. Mehr Berichte, mehr Informationen. Immer auf t-online."
Was hinter ihrem Timing steckt, erklären t-online-Chefredakateur Florian Harms und US-Korrespondent Bastian Brauns im Video oben.
- Material der Nachrichtenagentur Reuters
- Reporter vor Ort