"Falscher Pass hin oder her" Wie gefährlich wird die Visa-Affäre für Baerbock?
In der Visa-Affäre im Auswärtigen Amt hat die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Die Vorwürfe wiegen schwer, aber sind sie gerechtfertigt?
Es sind Berichte, die für Aufsehen sorgen: Haben Mitarbeiter im Ministerium von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) darauf hingewirkt, einem jungen Mann die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, obwohl dessen Angaben mutmaßlich gefälscht waren?
Nun ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft in dem Fall. Wie gefährlich kann die Affäre für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) werden? Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick.
Worum geht es in der Visa-Affäre?
Im Zentrum der Visa-Affäre steht ein angeblicher Afghane. Der junge Mann, Mohammad G., soll in der deutschen Botschaft in Pakistan angegeben haben, im Rahmen eines Familiennachzugs zu seinem Bruder nach Deutschland kommen zu wollen, berichten "Cicero" und "Business Insider". Der angeblich 14-Jährige gab an, er sei aus Afghanistan ins benachbarte Pakistan geflohen und lebe auf der Straße.
In Afghanistan sei er von Bombensplittern getroffen worden und leide seitdem an einer Augenverletzung. Vor dem Verwaltungsgericht in Berlin hatte er laut Angaben des Auswärtigen Amtes auf die Ausstellung eines deutschen Visums geklagt. Dabei wurde ein Vergleich geschlossen, der Deutschland verpflichtet, ein Visum auszustellen.
Die Mitarbeiter in der Botschaft in Islamabad allerdings sollen erhebliche Zweifel an dessen Identität gehabt haben, berichten "Cicero" und "Business Insider". Sie gingen unter anderem davon aus, dass der Mann wesentlich älter war – auch sei sein Pass gefälscht gewesen.
Trotz dieser Zweifel hätten hochrangige Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in Berlin die Botschaftsmitarbeiter dazu gedrängt, dem jungen Mann ein Visum für die legale Einreise nach Deutschland auszustellen. Die Einreiseerlaubnis solle erteilt werden, "falscher Pass hin oder her", zitiert "Business Insider" aus einer internen Mail des Leiters des Referats für Visumrecht.
Warum ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft?
Nun könnte es in dem Fall strafrechtliche Konsequenzen geben. Die Staatsanwaltschaft Berlin zumindest sieht einen Anfangsverdacht begründet. Unter dem Aktenzeichen 235 UJs 848/23 hat sie Ermittlungen gegen unbekannt eingeleitet. Der Vorwurf: Rechtsbeugung.
"Ob sich der Anfangsverdacht jedoch erhärtet und wenn ja, sich gegen MitarbeiterInnen des Auswärtigen Amtes begründen lässt, wird derzeit geprüft", sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft "Business Insider".
Dass die Staatsanwaltschaft nun ermittelt, geht laut "Cicero" zurück auf eine Anzeige eines ehemaligen Mitarbeiters des Bundesinnenministeriums. Dieser hatte offenbar Strafanzeige gegen Verantwortliche des Auswärtigen Amts gestellt, als der Fall publik geworden war.
"Die Aufnahme von Personen aus Krisengebieten mit ungeklärter Identität und Staatsangehörigkeit ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland", zitiert "Cicero" aus dessen Anzeige. "Für das AA scheinen nicht einmal gefälschte Pässe und erfundene Verwandtschaftsverhältnisse ein Problem zu sein."
Welche Konsequenzen könnte das für Baerbock haben?
"Was Mohammad G. angeht, der außerhalb der Aufnahmeprogramme über den Familiennachzug nach Deutschland kommen wollte, ist die spannende Frage, was Annalena Baerbock von der Visa-Affäre wusste", schreibt das Magazin "Cicero".
Doch Hinweise, dass Baerbock in irgendeiner Weise in die mögliche Visa-Vergabe verstrickt sein soll, gibt es nicht. Eigentlich laufen derartige Prozesse nicht über den Schreibtisch der Ministerin, sie liegen bei den zuständigen Beamten. Außerdem muss die Frage geprüft werden, ob die möglichen Unstimmigkeiten in diesem Fall eine gängige Praxis in Baerbocks Haus sind oder nicht. Auch dafür gibt es allerdings bislang keine Hinweise.
Im Auswärtigen Amt scheint man zunächst abwarten zu wollen, ob die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft überhaupt weiterlaufen. Auf Anfrage von t-online heißt es aus dem Ministerium nur: "Die Medienberichte über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind uns bekannt." Bisher wurde das Ministerium aber noch nicht von der Staatsanwaltschaft kontaktiert. Das würde erst passieren, wenn es auch ein offizielles Verfahren gibt.
Für Baerbocks Ministerium sind die möglichen Unstimmigkeiten bei der Visa-Vergabe an Mohammad G. zunächst ein Einzelfall. "Dabei ging es um die, für mein Haus, rechtlich erforderliche Umsetzung eines Vergleichs", erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Christian Wagner, in der Regierungspressekonferenz am 26. April. Mohammad G. habe vor dem Verwaltungsgericht in Berlin "mit absehbarem Erfolg auf die Ausstellung eines Visums geklagt".
Wagner weiter: "Der Vergleich, der geschlossen wurde, verpflichtet uns beziehungsweise die Botschaft in Islamabad, das Visum auszustellen." Die Frage nach der Gültigkeit des Passes, der in dem Einzelfall problematisch ist, sei erst danach aufgekommen.
Das Auswärtige Amt wurde in der Vergangenheit schon oft aufgrund von Visa-Verfahren heftig kritisiert. Im Jahr 2000 stürzte der damalige Außenminister Joschka Fischer fast über seine eigene Visa-Affäre. Er hatte deutsche Auslandsvertretungen angewiesen, bei der Verteilung von Visa unbürokratischer zu verfahren, was zu einem massenhaften Visa-Missbrauch an deutschen Botschaften führte.
Im Jahr 2010 gab es erneut Negativschlagzeilen: Nach Recherchen des "Spiegel" wurden in deutschen Botschaften in Afrika, Südamerika und Osteuropa Visa systematisch gegen Bestechungsgelder ausgestellt.
Auch in jüngerer Vergangenheit gab es Kritik am Visa-Verfahren. Im Zuge der Afghanistan-Evakuierungen 2021 wurde dem Auswärtigen Amt unter Außenminister Heiko Maas (SPD) vorgeworfen, die Visa-Vergabe und die Prüfung der Antragsteller zu verschleppen.
- Anfrage an das Auswärtige Amt
- businessinsider.de: "Visa-Affäre im Auswärtigen Amt: Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Vorwurfs der Rechtsbeugung"
- cicero.de: "Staatsanwaltschaft ermittelt in Baerbocks Visa-Affäre"
- cicero.de: "Visum trotz gefälschten Passes: Der Fall Mohammad G."