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Annalena Baerbock und Mélanie Joly: Zwei Frauen gegen Putin


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Annalena Baerbock und Mélanie Joly
Zwei Frauen gegen Putin

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Montréal

Aktualisiert am 04.08.2022Lesedauer: 6 Min.
"Wir sind Nachbarn im Herzen": Außenministerinnentreffen zwischen Annalena Baerbock und Mélanie Joly im kanadischen Montréal.Vergrößern des Bildes
"Wir sind Nachbarn im Herzen": Außenministerinnentreffen zwischen Annalena Baerbock und Mélanie Joly im kanadischen Montréal. (Quelle: IMAGO/Janine Schmitz/photothek.de)
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Wie schwer es im Kampf gegen Putin ist, eine Spaltung des Westens zu verhindern, zeigt Annalena Baerbocks Reise nach Kanada. Ein Schadensbegrenzungsbericht.

Ein alter Kanadier spricht gegenüber Annalena Baerbock an, was viele in dem Land wohl gerade über Deutschland denken. "Now you're paying the price", sagt Jim und zieht die Augenbrauen hoch. Mit seiner Frau Myra wollte er eigentlich die Aussicht oben auf dem Mont Royal, dem Hausberg der Stadt Montréal genießen. Plötzlich aber stehen da zwei junge Außenministerinnen vor ihm, die nicht nur Amtskolleginnen sind, sondern inzwischen auch sehr gute Freundinnen.

Mélanie Joly (43) und Annalena Baerbock (41) wollten auf dem Mont Royal spazieren gehen. Die deutsche Außenministerin wollte gerne ein wenig Natur in der Heimatstadt ihrer Freundin erleben. Ein paar Bilder für die Medien. Einen kurzen Moment mal keine Politik. Jim aber spricht von der deutschen Abhängigkeit vom russischem Erdgas und vom Preis, der dafür zu zahlen sei. Der Preis ist hoch, vor allem politisch.

Es ist kein Zufall, dass Jim so gut über deutsche Energiepolitik Bescheid weiß. Seit Wochen ist "The Turbine" in den kanadischen Medien ein Riesenthema. Weil die Regierung von Justin Trudeau und Mélanie Joly der Bitte von Olaf Scholz und Annalena Baerbock nachkam, für Deutschland eine Ausnahme von den Russland-Sanktionen zu machen, haben die Kanadier jetzt ein handfestes innenpolitisches Problem. Am Donnerstag tagt deshalb sogar ein Untersuchungsausschuss im Parlament in Ottawa. In keinem westlichen Land leben so viele Exil-Ukrainer wie in Kanada. Die Opposition führt Trudeau und Joly mit Genuss als inkonsequente Opportunisten vor.

Mission: Schadensbegrenzung

Die Reise von Annalena Baerbock ist deshalb deutlich mehr als ein Antritts- und Freundschaftsbesuch. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wird am 21. August nach Kanada fliegen. Beide Besuche dienen der Schadensbegrenzung.

In ihrer gemeinsamen Pressekonferenz dankt die deutsche Außenministerin gleich mehrmals dafür, dass die Siemens-Turbine geliefert worden ist. Selbst wenn diese jetzt nutzlos in Mülheim an der Ruhr liegt. Baerbock will ihrer Kollegin den Rücken stärken. "Die ganze Welt kann jetzt sehen, dass Putin Energie als Waffe einsetzt", sagt die Deutsche. Die Kanadierin ergänzt: "Wir müssen Putins Bluff aufdecken."

Gleich zweimal wird eine anschließende Podiumsdiskussion der beiden gestört. Eine Frau mit einem Plakat verschafft sich Zutritt und ruft: "No war!". Ein Mann filmt seine Zwischenrufe mit einem Smartphone und wirft Baerbock vor, ihre Partei habe die eigenen Werte verraten. Beide werden sanft, aber bestimmt aus dem Saal geschoben. Die Außenministerin bleibt ruhig. Erklärt immer wieder, worum es ihr gehe. "Wir versprechen, dass wir nicht wieder in eine solche Abhängigkeit geraten." Es sei ein großer Fehler gewesen. Sie habe aber nach dem 24. Februar auch schauen müssen, "was die Realität ist".

Wenn man die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten will, geht das nur, wenn es der eigenen Bevölkerung gerade noch so zuzumuten ist. Baerbock sagt, die Bundesregierung sei gewillt, auch gegen die Umfragen in der eigenen Bevölkerung Entscheidungen durchzuhalten, um der Ukraine zu helfen. "Das ist keine Zeit für Umfragen. Das ist eine Zeit für starke politische Führung." Es ist der Moment, in dem die Menschen im Saal der Deutschen laut applaudieren.

Dissens bei der Kernkraftfrage

Wie sehr besonders in diesen Tagen alles mit allem zusammenhängt, wird deutlich, als Mélanie Joly gefragt wird, warum Kanada nicht einfach viel mehr Erdgas fördere, etwa in Quebec oder in New Brunswick. Damit könne man den Deutschen aus der russischen Patsche helfen, müsste keine Turbinen mehr liefern und keine Sanktionen umgehen. Die Kanadierin verspricht, mit den Bundesstaaten darüber im Gespräch zu bleiben. Ob das etwas bringt, ist fraglich. Wenn die eigenen Vorstellungen von Umweltschutz und Nachhaltigkeit angetastet werden, ist auch in Kanada das Thema Solidarität plötzlich nicht mehr ganz so einfach zu verkaufen.

Klar ist, die Beziehungen zwischen Kanada und Deutschland werden enger werden, als sie ohnehin schon geworden sind. Das liegt auch daran, dass Baerbock und Joly sich blendend verstehen. Annalena und "Mel", wie Baerbock Joly zwischendurch nennt, verbindet viel Gemeinsames. Beide erst Anfang 40, vertreten sie als Frauen zwei der wirtschaftlich stärksten Länder der Erde. Sie bewegen sich beide in einer noch immer vor allem von Männern geprägten Domäne. Das schweißt zusammen, auch weil sie mit ähnlichen Angriffen konfrontiert sind: nämlich viel zu unerfahren für dieses Amt zu sein.

Beide verbindet die gleiche Vision. Zwar geht es derzeit noch vor allem um Flüssiggas, um Öl und Getreide. Olaf Scholz soll im August nicht ohne Grund die Provinz Neufundland besuchen. Er interessiert sich für den Bau von Flüssiggasterminals an Kanadas Küste. "Deutschland klopft an unserer Tür", sagt Joly. Irgendwann aber soll es auch um grünen Wasserstoff gehen. Für Annalena Baerbock ist Kanada eine Art Traumland für die globale Energiewende. Neben Mélanie Joly schwärmt sie von der Weite des Landes, in dem es viel mehr Platz für Windräder gebe als in Deutschland. Sie weiß, dass Deutschland auch in Zukunft von Energieimporten abhängig sein wird. Joly kündigt an, dass Kanada bei der grünen Transformation eine große Hilfe für die Bundesrepublik sein könne.

Einzig beim Umgang mit der Kernkraft werden große Unterschiede deutlich. Während Baerbock von deutschen und kanadischen Journalisten zur Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke gegrillt wird, will ihr Joly nicht in den Rücken fallen. "Ich werde nichts sagen zu innenpolitischen Entscheidungen", sagt sie zuerst. Fügt dann aber hinzu: "Wir glauben an kleine Nuklearreaktoren. Wir haben darum große Investitionen getätigt." In Kanada läuft es ganz ähnlich wie in den USA. Der deutsche Sonderweg wird nicht verstanden. Baerbock versucht mehrfach abzuwehren. "Atomkraftwerke helfen uns nicht bei unseren Heizproblemen", sagt sie. Eine Laufzeitverlängerung werde es mit ihrer Partei nicht geben. Sie spricht lediglich vom selbstverschuldeten Sonderfall in Bayern. Söders Versäumnisse beim Ausbau der Erneuerbaren als grünes Hintertürchen.

Weil auch etwas funktionieren muss

Üblich sind solch lange Besuche unter Amtskolleginnen nicht. Joly und Baerbock verbringen in Montréal viel Zeit miteinander. Auch ein gemeinsames Interview beim kanadischen Fernsehsender CBC wird noch untergebracht und am Abend landesweit ausgestrahlt. Die Moderatorin fragt, ob Baerbock nicht nur deshalb nach Montréal gekommen sei, um PR für die in der Bredouille befindliche kanadische Regierung zu machen. "Ist es nicht so, dass Sie hier ein bisschen reparieren wollen, was an Schaden entstanden ist?" Noch mal drückt Baerbock ihren tiefen Dank für die lästige Turbine aus. Dann sagt sie: "Das ist keine theoretische Politik. Wir befinden uns inmitten eines Krieges." Putin spiele offensichtlich Spaltungsspiele mit dem Westen, weil er eben wisse, dass Kanada anders als Deutschland nicht von russischem Erdgas abhängig sei.

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Beim Spaziergang auf dem Mont Royal deutet Mélanie Joly an einem Aussichtspunkt in die Ferne. "Dort hinten liegt der Hafen, an dem wir heute Morgen gewesen sind", sagt sie zu Baerbock. Für die mitreisende Presse und die kanadischen Medien hatte es noch einen Termin gegeben, der zeigen sollte, wie eng die Zusammenarbeit läuft. Die Ministerinnen hatten sich vor einem Getreidesilo und einem Schiff, das bald beladen und nach Hamburg fahren wird, von einem Hafenmeister erklären lassen, wie die Logistik funktioniert.

Dass in diesen Zeiten auch etwas funktioniert, wollen beide herausstellen. So bedrohlich die aktuellen Entwicklungen im Pazifik rund um China und Taiwan auch sein mögen. So lange sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch hinziehen wird. "Wir wollen mit Ländern zusammenarbeiten, die den Regeln folgen", sagt Joly. Auch Baerbock spricht in diesen Tagen immer wieder von der "regelbasierten Ordnung" auf der Grundlage des Völkerrechts.

Die Zusammenarbeit zwischen den Demokratien und jenen Staaten auf der Welt, die zwischen den Stühlen stehen, wollen sie besser koordinieren, egal wie schwer die unterschiedlichen Interessen zusammenzubringen sein mögen. Die Turbinen-Probleme mit Kanada sollen dafür ein Beispiel sein. Von den Putins dieser Welt will man sich unter keinen Umständen spalten lassen. Die Pflege auch der persönlichen Beziehungen spielt darum eine noch größere Rolle als ohnehin. "Wir sind zwar offensichtlich geografisch keine Nachbarn", sagt Baerbock an Joly gerichtet, "aber wir sind Nachbarn im Herzen".

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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