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Trump, Putin und Bidens Raketen-Wende: Das steckt hinter dem Zug


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Wende gegen Putin
"Als würde er einen ganz neuen Krieg beginnen"


Aktualisiert am 18.11.2024Lesedauer: 6 Min.
Joe Biden in Peru: Eskaliert er den Konflikt in der Ukraine oder verhilft er Trump zu einer besseren Verhandlungsposition?Vergrößern des Bildes
Joe Biden in Peru: Eskaliert er den Konflikt in der Ukraine oder verhilft er Trump zu einer besseren Verhandlungsposition? (Quelle: IMAGO/Valery Sharifulin)
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Joe Biden erlaubt der Ukraine überraschend den Einsatz von Langstreckenwaffen. Damit verändert er das militärische Gleichgewicht. Womöglich stärkt er so Trumps Friedensstrategie. Es könnte sein letzter strategischer Streich sein.

Bastian Brauns berichtet aus Washington

Der scheidende US-Präsident Joe Biden hat offenbar eine folgenreiche Entscheidung getroffen. Mehreren übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge soll die amerikanische Regierung sich jetzt nach monatelangem Zögern durchgerungen haben: Der Ukraine soll der Einsatz von bereitgestellten Langstreckenwaffen, den sogenannten ATACMS, auf russischem Boden ab sofort gestattet sein. Beschränkt insbesondere auf die russische Region Kursk. In der Folge sollen auch die französischen und britischen Alliierten der Ukraine den Einsatz ihrer gelieferten Marschflugkörper SCALP und Storm-Shadow erlauben.

Bidens Entscheidung markiert damit einen deutlichen Wendepunkt der westlichen Unterstützung für die Ukraine in ihrem Abwehrkrieg gegen die russische Invasion. Trotz der andauernden Sorge um eine Eskalation mit Wladimir Putin scheinen im Weißen Haus inzwischen die Argumente zu überwiegen, der Ukraine mehr Möglichkeiten zu geben. Nach fast drei Jahren gibt der US-Präsident damit mitten in der sensiblen Übergangsphase zur Amtsübernahme durch Donald Trump seine Zurückhaltung in dieser Frage auf.

Video | Biden erlaubt der Ukraine offenbar Angriffe tief innerhalb Russlands
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Quelle: reuters

Warum also gerade jetzt? Könnte Donald Trump in Joe Bidens Entscheidung womöglich bereits eingebunden sein? Oder widerspricht die Freigabe der amerikanischen Langstreckenwaffen den Ukraine-Plänen des künftigen US-Präsidenten?

Frühe Hinweise auf Trump-Strategie

Um diese Fragen zu beantworten, fällt ein bemerkenswertes Interview auf, das Trumps künftiger Nationaler Sicherheitsberater, Mike Waltz, nur einen Tag vor dem Wahltag am 5. November gegeben hat. Auf die Frage, wie Donald Trump als möglicher Präsident den Krieg in der Ukraine schnell lösen wolle, antwortete Waltz: "Ich denke, dass wir Putin an den Verhandlungstisch bringen werden. Wir haben Einflussmöglichkeiten, zum Beispiel, indem wir der Ukraine die Handschellen lösen in Bezug auf die Langstreckenwaffen, die wir ebenfalls geliefert haben."

Rund zwei Wochen nach diesen Äußerungen von Mike Waltz hat Joe Biden jetzt offenbar genau diese Entscheidung getroffen. Und entgegen den vielfach geäußerten Meinungen aus dem vielstimmigen Trump-Lager könnte dieser bemerkenswerte Schritt sogar zu Donald Trumps Plänen für einen Friedensdeal mit Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj passen. Denn Trumps übergeordnete Doktrin lautet "Frieden durch Stärke".

Trump will Stärke zeigen

Trump argumentiert konsequent, dass die Demonstration überwältigender militärischer und wirtschaftlicher Stärke Gegner zu Verhandlungen zwingt. Die Erlaubnis für die Ukraine, die von den USA gelieferten ATACMS nun auf russischem Boden einzusetzen, entspricht dieser Philosophie. So wie Trumps neuer Sicherheitsberater Mike Waltz es bereits angedeutet hat, könnte diese militärische Stärke genutzt werden, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Verhandlungen zu Zugeständnissen zu zwingen.

Trumps Versprechen, den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu beenden, mag zwar zunächst im Gegensatz zu Bidens Entscheidung stehen. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, wie kompatibel beides ist. Trumps Strategie beruht darauf, Bedingungen zu schaffen, unter denen beide Seiten keine andere Wahl haben, als zu verhandeln. Dieser Lesart nach müsste militärischer Druck auf Russland ausgeübt und weitere Energiesanktionen müssten verhängt werden. Zugleich könnten die USA dann ihren Einfluss auf die Ukraine nutzen, um auch Präsident Wolodymyr Selenskyj an den Verhandlungstisch zu bringen.

Bidens Erlaubnis, russisches Territorium mit ATACMS anzugreifen, erfüllt auch Trumps doppelte Zielsetzung. Sie schwächt Russlands militärische Position und könnte gleichzeitig der Ukraine schon jetzt signalisieren, dass die US-Unterstützung an die Bedingung geknüpft ist, eine diplomatische Lösung anzustreben, statt den Konflikt noch weitere Monate und Jahre zu verlängern. Wolodymyr Selenskyj hatte kürzlich schon öffentlich gesagt, mit Trump würde der Krieg nun schneller enden.

Reaktion auf Eskalation von Russland und Nordkorea

Hinter Bidens Abkehr von seiner bisherigen Zurückhaltung steckt den US-Medienberichten zufolge eine seit Wochen beobachtete Eskalation. Weil Nordkorea offenbar inzwischen Truppenverbände mit mehr als 10.000 Soldaten zur Unterstützung russischer Streitkräfte in die Ukraine entsandt hat, sehen sich die USA wohl jetzt endgültig zum Handeln gezwungen. Die Freigabe der ATACMS wird in Washington, aber auch in Paris und London als Notwendigkeit angesehen, das wachsende Konfliktpotenzial wieder zugunsten der Ukraine auszugleichen.

Dieser Schritt birgt zwar nach wie vor das Risiko einer weiteren Eskalation, doch gerade das Timing – während des Machtwechsels – deutet auf eine kalkulierte Entscheidung der Biden-Regierung hin. Indem der scheidende demokratische US-Präsident den Druck auf Russland schon jetzt erhöht, übergibt er seinem republikanischen Nachfolger eine stärkere Verhandlungsposition.

Doch die entscheidende Frage ist, ob Trump, der für seine Vorliebe für Deals und schnelle Lösungen bekannt ist, diese Entscheidung begrüßt oder nicht. Womöglich haben er und Biden das Thema sogar kürzlich bei ihrem fast zweistündigen Treffen im Oval Office angeschnitten. Trump hatte noch im Wahlkampf angekündigt, dass er nach seinem möglichen Wahlsieg bezüglich der Ukraine schon während der Übergangsphase mit Joe Biden an einer Strategie arbeiten wolle.

Dafür spricht, dass trotz aller Polarisierung gerade die amerikanische Sicherheitspolitik ein Politikfeld bleibt, bei dem Republikaner und Demokraten die größten Übereinstimmungen haben, insbesondere gegenüber Russland, China, Nordkorea und dem Iran. Historisch betrachtet haben scheidende und künftige Regierungen sich in außenpolitischen Fragen zumindest koordiniert, um Kontinuität zu gewährleisten. Obwohl Joe Biden noch bis zum 20. Januar 2025 die volle Autorität als Präsident behält, ist denkbar, dass bestimmte Strategien bereits abgestimmt wurden.

Trumps stillschweigende Zustimmung?

Donald Trump ist dafür bekannt, bei wichtigen Entscheidungen eigene Macht zu demonstrieren oder seinen politischen Gegner scharf zu kritisieren. Auffällig ist, dass sich der künftige US-Präsident nach Bidens ATACMS-Entscheidung bislang öffentlich zurückgehalten hat. Auch sein sonst um keinen Kommentar verlegener Verbündeter Elon Musk schweigt zu diesem Thema. Trump und Musk hatten US-Medienberichten zufolge direkt nach der Wahl ein gemeinsames Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj geführt.

Trumps Sohn Donald Trump Jr. und sein früherer Botschafter in Deutschland, Richard Grenell taten sich hingegen als deutliche Kritiker hervor.

Grenell schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X: "Niemand hat damit gerechnet, dass Joe Biden den Krieg in der Ukraine während der Übergangszeit eskalieren würde. Das ist, als würde er einen ganz neuen Krieg beginnen. Jetzt ist alles anders – alle bisherigen Kalkulationen sind jetzt null und nichtig. Und das alles für die Politik."

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Trumps Sohn beschimpfte hingegen zeitgleich die Entscheider des sogenannten "militärisch-industriellen Komplex" als "Schwachköpfe". Denn die wollten seiner Ansicht nach nur sicherstellen, "dass sie den 3. Weltkrieg in Gang bringen, bevor mein Vater eine Chance hat, Frieden zu schaffen und Leben zu retten", so Donald Trump Jr. Lesen Sie hier mehr dazu.

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Zweck dieser Anti-Biden-Äußerungen könnte sein: Indem Richard Grenell und Trump Jr. Bidens Schritt als Eskalation bezeichnen, stellen sie sicher, dass Trump politisch flexibel bleibt. Denn in der Tat besteht die Gefahr, dass eine zu große Übereinstimmung mit Biden zu einer Entfremdung seiner Basis führen könnte. Zumal Trump seinen Vorgänger insbesondere in sicherheitspolitischen Fragen seit Jahren als unfähig bezeichnet. Auch die republikanische Scharfmacherin im Kongress, Marjorie Taylor Greene, äußerte sich ähnlich. Sie fordert seit Monaten ein Ende der Ukraine-Unterstützung.

Trump möchte womöglich einerseits vom Druck auf Russland profitieren, zugleich aber verhalten kritisch bleiben. Die Strategie dahinter: Trump nutzt oft Stellvertreter wie Grenell, um Kritik zu äußern. Dies ermöglicht es ihm, seine eigene Haltung später je nach Entwicklung der Ereignisse anzupassen.

Kalkuliertes Risiko und strategische Übereinstimmung

In jedem Fall soll Joe Bidens Entscheidung darauf abzielen, Russland unter Druck zu setzen und damit den Weg für eine Verhandlungslösung zu ebnen. Die Abstimmung mit den weiteren Alliierten, insbesondere Frankreich und Großbritannien, spricht dafür. Auch das jüngste Telefonat des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz mit dem russischen Präsidenten wird in diese gemeinsame Strategie eingebettet gewesen sein. Ende November soll auch das nächste Ramstein-Treffen folgen.

Donald Trumps Ziel, bald einen schnellen Frieden in der Ukraine zu erzielen, muss diesen Vorhaben, wie gezeigt, nicht widersprechen. Im Gegenteil: Die aktuellen Handlungen der Alliierten könnten die zukünftigen Pläne Trumps vielmehr bereits einkalkulieren.

Während Biden zwar das kurzfristige politische Risiko der Eskalation trägt, kann er seinen Nachfolger bereits besser positionieren. Und zwar so, dass Trump, der womöglich Gebietsabtretungen der Ukraine ins Spiel bringen könnte, möglichst viel Verhandlungsmasse hat. Somit könnte Biden der Ukraine noch bis in die nächste Amtszeit hinein Luft verschaffen und zugleich sein außenpolitisches Vermächtnis nicht gefährden. Es wäre womöglich sein letzter strategischer Streich.

Ob der jetzige Schritt den Krieg letztlich einer Lösung näher bringt oder ob er die Spannungen weiter verschärft, wird insbesondere davon abhängen, wie Trump die neue Situation nach seinem Amtsantritt nutzt. Die Aufgabe wird nicht einfacher: Hinter dem jüngsten militärischen Engagement der Diktatur Nordkorea stecken womöglich gleich zwei gefährliche Rivalen des Westens: Russland und China.

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