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Zum journalistischen Leitbild von t-online.US-Wahlkampf "Das war eine politische Meisterleistung"
Es sind elf Minuten, die auf einen langen Abschied einstimmen: Joe Biden begründet in einer Rede an die Nation seinen Rückzug von der Kandidatur. Eine US-Expertin erklärt, was das für den Wahlkampf bedeutet.
Rund sechs Monate ist US-Präsident Joe Biden noch im Amt. Im Januar ist Schluss, eine mehr als ein halbes Jahrhundert andauernde Karriere in der Politik beendet. Für den 81-Jährigen ist das kein freiwilliger Abgang, wie er auch in der emotionalen Rede verdeutlicht, die der Demokrat im Oval Office an die Nation richtet: Er spricht ruhig, ernst, gibt sich staatsmännisch.
Doch: Auf die Gründe für seinen Rückzug geht er nicht ein. Wie ist die Rede zu bewerten? Und: Sollte Biden nun auch vom Präsidentenamt zurücktreten? t-online hat die USA-Expertin Laura von Daniels gefragt.
- US-Präsident hält bewegende Rede: Ein Satz von Biden lässt aufhorchen
t-online: Bidens Rede an die Nation wurde mit Spannung erwartet. Über seine Gründe für den Rückzug schweigt er jedoch. Wieso?
Laura von Daniels: Einen zentralen Punkt hat man seiner Rede angemerkt: Biden fällt es schwer, seine Macht abzugeben. Biden betont aber dann auch, dass er das höhere Gut sieht, Trump zu verhindern. Ihm ist klar geworden, dass er es doch nicht schaffen kann.
Ist es denn schlüssig, dass er von der Kandidatur zurücktritt, aber im Amt bleibt?
Ja. Biden hat noch einige Dinge zu erledigen, er will seine Agenda zu Ende bringen.
Etwa?
Eine Reform des Supreme Court, des Obersten Gerichts. Biden will zudem die Waffengesetze reformieren, weiter an der Seite der Ukraine stehen und die Nato stärken. Zuletzt wurde das mit der Ankündigung deutlich, Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. In seiner Rede hat Biden klargemacht, dass er es aufgrund seiner persönlichen Bilanz durchaus verdient hätte, weiterzumachen.
Zeigt er sich nicht ein wenig trotzig?
Nun ja. Seine Berater haben ihm lange Zeit die Treue gehalten und ihn darin bestärkt, dass er weitermachen sollte. Doch irgendwann war der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr ging, an dem sein Team ihm gesagt hat, dass es klug sei, die Kandidatur zurückzuziehen. Letztlich muss man sagen: Das war eine politische Meisterleistung seines Teams, ihm den Rückzug schmackhaft zu machen. So kann er sein politisches Erbe sichern und geht nicht in einem desaströsen Wahlkampf unter. Außerdem ist es jetzt eine strategisch sinnvolle Arbeitsteilung, von der die Demokraten profitieren können.
Zur Person
Laura von Daniels ist seit 2019 Leiterin der Forschungsgruppe USA bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die USA-Expertin forscht insbesondere zur US-Handelspolitik und Amerikas internationalen Beziehungen. Sie hat Politikwissenschaften studiert und in diesem Fach promoviert. Sie absolvierte unter anderem Forschungsaufenthalte an der Princeton University und in Harvard.
Erklären Sie das.
Biden richtet seine ganze Energie auf seine Agenda. Er hat jetzt den kompletten Bewegungsspielraum und das nötige Geschick, zumindest einiges umzusetzen. Einer Reform der Waffengesetze können sich die Republikaner zum Beispiel nach dem Trump-Attentat nicht komplett entziehen. Gleichzeitig hält er Harris den Rücken frei. Sie kann sich voll auf den Wahlkampf konzentrieren – angesichts der wenigen Tage bis zur Wahl ist das auch notwendig.
Aber den Amtsbonus hat Harris nicht.
Das stimmt. Dafür hat sie die Beinfreiheit, sich nicht ums Präsidentenamt zu kümmern. Sonst hätten auch viele Umstrukturierungen im Weißen Haus angestanden. Es ist auch ein Signal der Stabilität, das die Demokraten jetzt senden wollen.
Harris startet schon voll in den Wahlkampf, obwohl sie gar nicht offiziell Kandidatin ist …
Sie hat innerhalb kürzester Zeit den nötigen Rückhalt in der Partei bekommen. Noch vor dem Parteitag im August werden sich die Delegierten vermutlich in einem Videocall auf Harris als Kandidatin einigen. Den Demokraten ist es gelungen, sich nicht als zerstrittene Partei darzustellen. Das höhere Gut, Trump zu schlagen, überwiegt offenbar in ihrer Abwägung.
Trump und die Republikaner haben ihren Wahlkampf darauf ausgerichtet, Bidens Alter zu kritisieren. Jetzt fühlen sie sich betrogen. Geht ihre Strategie nicht völlig ins Leere?
Das nicht. Denn Trump spricht mit seinen Beschimpfungen der Demokraten seine Kernklientel an. Die Frage ist nur, ob es ihm gelingt, ausreichend viele Unentschlossene zu überzeugen. Und da habe ich meine Zweifel.
Führen Sie das bitte aus.
Die Hoffnung der Republikaner war, dass sich Trump nach dem Attentat präsidialer gibt. Viele Beobachter haben gesagt, dass er in dem Fall die Wahl gewinnen könnte. Trump ist aber in alte Muster gefallen. Nur am Anfang gab er sich wie ein Wolf, der Kreide gefressen hat. Die Angriffe auf Harris sind jetzt unter der Gürtellinie.
Die Schlammschlacht ist also wieder da.
Ich glaube, sie war nie weg. Trump und seine MAGA-Anhänger feuern jetzt aus allen Rohren. Gleichzeitig sollte sich Harris nicht provozieren lassen. Sie sollte ihre Agenda fahren und nicht auf diese schmutzige Wahlkampftaktik eingehen. So hat sie eine reelle Chance, die Wahl zu gewinnen.
Für den Fall, dass Harris gewinnt, könnten die Republikaner erneut erklären, um den Wahlsieg gebracht worden zu sein. Sehen Sie diese Gefahr?
Ja. Man muss damit rechnen, dass Trump das Ergebnis in Frage stellt. In den USA müssen dafür schon jetzt Vorkehrungen getroffen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu weiteren Szenen wie beim Kapitolsturm am 6. Januar 2021 kommt. Gleichzeitig ist es für die Demokraten wichtig, die Hand ausgestreckt zu halten und die Republikaner nicht auszuschließen, also Bidens Strategie weiterzuverfolgen. Klar ist: Es wird politische Turbulenzen geben.
Frau von Daniels, vielen Dank für das Interview.
- Telefoninterview mit Laura von Daniels
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa