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Joe Biden: US-Fernsehstars lassen ihn fallen


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Kehrtwende in US-Talk-Shows
"Joe Biden ist erledigt"


19.07.2024Lesedauer: 4 Min.
Stephen Colbert: Er reflektiert sein Verhalten.Vergrößern des Bildes
Stephen Colbert: Inzwischen lacht er über Biden, nicht mehr nur über Donald Trump. (Quelle: Andrew Harrer / Pool/dpa)
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Joe Biden ist weitgehend isoliert – und das hat nicht nur mit seiner Corona-Infektion zu tun. Einige seiner treusten Unterstützer gehen ihm von der Fahne – vor laufenden Kameras.

Was sie sagen, nehmen Millionen Amerikaner mit ins Bett, und jahrelang konnte sich Joe Biden felsenfest auf sie verlassen: Jon Stewart, Stephen Colbert, Seth Meyers, Jimmy Fallon und andere witz- und wortgewaltige Gastgeber der Late-Night-Shows. Seit Jahren stehen sie unverrückbar an der Seite der Demokraten – und vor allem stehen sie wie ein Mann gegen Donald Trump.

Pünktlich wie die Maurer lieferten die Moderatoren der "Daily Show", "Late Night", "Real Time", der "Tonight Show" und einem guten Dutzend anderer Comedy-Sendungen auf den progressiven Networks allabendlich zu später Stunde mal bessere, mal schlechtere Pointen über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Jahrelang.

Ob Trump nun um das Weiße Haus kämpfte oder darin regierte, in den Late-Night-Shows bekam er regelmäßig sein Fett weg. Stewart, Colbert und Co. ließen kein gutes Haar an ihm, ahmten ihn nach, verteufelten ihn und seine Skandale und verspotteten seine Wähler.

Das alles tun sie nach wie vor. Aber: Inzwischen haben sie offenbar alle den Glauben verloren, dass der 81-jährige Joe Biden noch die Kraft hat, Trump aufzuhalten. Seitdem nehmen sie auch Biden aufs Korn und das kaum sanfter als zuvor Trump.

Als der greise US-Präsident beim ersten TV-Duell gegen Trump ins Stolpern geriet, schimpfte Jon Stewart in seiner "Daily Show" auf "Comedy Central": Tausende Biden-Wähler hätten sich am liebsten aus dem Fenster gestürzt oder in den nächstgelegenen Mülleimer übergeben. Bidens Mimik bezeichnete Stewart als "25th-Amendment-face". Der 25. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung regelt die vorzeitige Beendigung einer Präsidentschaft, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen.

NBCs "Tonight Show"-Gastgeber Jimmy Fallon, normalerweise eher gutmütig, beschrieb Bidens derzeitige Verfassung mit einem Feuerwerksvergleich: "Biden ist entweder die Rakete, die an Silvester nicht losgeht, oder die, bei der die Flasche umfällt und dein Haus in Brand steckt".

"Joe Biden ist erledigt"

Bill Maher von "Real Time" legte sich auf HBO fest: "Joe Biden ist erledigt", erklärte er. Biden auszutauschen sei keine große Sache mehr: "Das ist so, als würde sich eine Kollegin die Brüste machen lassen. Drei Tage lang reden alle darüber und dann hat sie einfach neue Brüste. Und Amerika braucht neue Brüste!"

"Biden hat so gut ausgesehen wie Abraham Lincoln, wenn man ihn JETZT ausgraben würde", ätzte Stephen Colbert von der "Late Show" auf CBS unmittelbar nach dem Fernsehduell. Nach Bekanntwerden von Bidens Covid-Infektion verzichtete Colbert sogar völlig auf Pointen – ein deutliches Alarmsignal für einen Comedian – und stellte eine klare Rückzugs-Forderung: "Ich glaube, Joe Biden ist als Mensch und als Präsident gut genug, um die Bedürfnisse seines Landes über sein Ego stellen zu können".

Jon Stewart redete sich gar in Rage, als er sowohl das Trump- als auch das Biden-Lager in die Pflicht nahm und sie durch seine Kamera förmlich anschrie: "Habt Ihr eine Ahnung, wie sehr die Amerikaner sich nach einem Hauch Inspiration und Führung sehnen? Wie sehr sie erlöst werden wollen von der Wahl zwischen einem Größenwahnsinnigen und der erstickenden Herrschaft des Greisentums? Alles, was wir wollen, sind die vollen 100! Und zwar Prozent, nicht Lebensjahre!"

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Obamas Rolle im Comedy-Geschäft

Die Nähe der amerikanischen Comedyszene zu den Demokraten hatte ihre Blütezeit in der Ära Obamas. Ihre progressiven Ikonen wie Jon Stewart, Stephen Colbert und Jimmy Kimmel feierten den modernen, hippen Swag Obamas und der Präsident genoss es, mit welcher Wut und welchem Witz sie seinen Kritikern entgegentraten.

Obama adelte ihre Shows mit lässigen Besuchen und Auftritten und konnte sich umgekehrt auf sie verlassen: In ihren Shows wurde er zuverlässig als Heilsbringer gefeiert, während Konservative wie George W. Bush, Mitt Romney und Ted Cruz sich als provinzielle Ewiggestrige verhohnepiepeln lassen mussten. Obama verlieh den Comedians Relevanz, sie bespaßten dafür seine Wählerschaft, die deckungsgleich war mit ihrem Publikum.

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Donald Trump war das Ende dieser Symbiose. Medial kaum weniger bewandert als Obama erkannte er sofort, dass seine Wähler in den Late-Night-Shows ausschließlich als rückständige "Hillbillies" (Hinterwäldler) verspottet wurden. Er strafte die Comedyszene konsequenterweise bestenfalls mit Nichtachtung, setzte gezielt seinen Einfluss in den sozialen Medien gegen sie ein und spottete fleißig zurück.

Dass die Einschaltquoten der spätabendlichen Sendungen während seiner Präsidentschaft deutlich einbrachen, hatte gar nicht so viel mit ihm zu tun: Tatsächlich litten die "Ratings" der linear ausgestrahlten Shows vorwiegend unter dem Siegeszug der Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime. Trump aber nutzte die Schwäche seiner komödiantischen Gegner, sprach ihnen jede gesellschaftliche Bedeutung ab und demütigte ABC-Stars wie Jimmy Kimmel in öffentlichen Twitter-Gefechten.

Er erwies sich als Gegenentwurf zu Obama: Während Letzterer mit den Moderatoren kuschelte, traf Trump sie an ihrer empfindlichsten Stelle: Ihrem schwindenden Einfluss auf die amerikanische Öffentlichkeit. Inzwischen haben konservative Sender wie Fox News den kalauernden Pro-Demokraten wie Jon Stewart und Stephen Colbert ein ganz anderes Genre entgegengestellt, das den amerikanischen Zeitgeist der Trump-Jahre viel besser widerspiegelt als die akademischen Scherze der Comedyszene: Kommentatoren wie Tucker Carlson, Tomi Lahren und Sean Hannity.

Show-Hosts kämpfen mit eigenem Bedeutungsverlust

Was denen an Witz und Esprit fehlte, machten sie wett mit Polarisierung, Rückbesinnung auf uramerikanische Werte, Anti-Migrations-Rhetorik und gnadenloser Pointierung: Wir gegen die! Hart arbeitende Bürger gegen das politische Establishment, das sich, unterstützt von einer progressiven medialen Elite, keinen Deut schert um den durchschnittlichen US-Bürger auf der Straße.

Mit Bidens Amtsantritt als demokratischer Nachfolger von Trump ließen sich die symbiotischen Zeiten der Obama-Ära für die Comedy-Szene nicht wiederbeleben. Weder hatte Biden das Zeug dazu, in ihren Sendungen zu glänzen, noch reichten ihre geschwundenen Einschaltquoten aus, um das Ruder medial herumzureißen. Jon Stewart ging in den Vorruhestand, Conan O'Brien wechselte ins Podcast-Geschäft und die Corona-Pandemie raubte den Shows zwischenzeitlich das applaudierende Live-Publikum.

Bidens körperlicher Verfall nimmt den progressiven Late-Night-Show-Gastgebern die letzte Hoffnung, eine zweite Ära ihrer Nemesis Trump noch zu verhindern. Umso heftiger fällt jetzt ihre Absetzbewegung aus. Auf der Seite des Verlierers scheinen sie nicht stehen zu wollen. Ihr Umschwenken und ihre geradezu wütende Forderung nach einem neuen demokratischen Gegenkandidaten ist letztlich auch ein Hilferuf aus Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust.

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