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Zum journalistischen Leitbild von t-online.TV-Duell ums Weiße Haus Trump zielt auf Bidens wunden Punkt
Jetzt wird es ernst: Beim TV-Duell von Donald Trump und Joe Biden werden heftige Angriffe erwartet. Der Präsident muss aufholen – und wird sich dabei nicht von den Regeln des Anstands bremsen lassen.
Dem TV-Duell der US-Präsidentschaftsbewerber wird nachgesagt, es könne das Rennen um das Weiße Haus auf den Kopf stellen.
Nicht immer nutzt es demjenigen, der am besten argumentiert, und oft sind es Kleinigkeiten, die sich einprägen. Das ist so seit der allerersten Aufführung im Jahr 1960, als ein stark schwitzender Richard Nixon eine schlechte Figur gegenüber dem telegenen John F. Kennedy machte.
Oder als 1992 der spätere Wahlverlierer George H.W. Bush bei der Frage einer Wählerin nach der Schuldenkrise auf seine Uhr schaute – ganz so, als ob er Besseres zu tun hätte.
Jetzt wird der TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden besonders große Bedeutung verliehen. Tatsächlich dürfte sie ein besonders heftiger Schlagabtausch werden. In der Nacht zu Mittwoch vollzieht sich das erste öffentliche Aufeinandertreffen der beiden Konkurrenten in diesem erbittert geführten Wahlkampf. In Cleveland, Ohio, werden sich die beiden Männer über 90 Minuten duellieren.
Trump läuft die Zeit davon
Und es steht sehr viel auf dem Spiel: Amtsinhaber Trump hat in den vergangenen zwölf Monaten oft versucht, Biden zu schaden – er hat beispielsweise die ukrainische Staatsführung genötigt, Ermittlungen gegen den Demokraten aufzunehmen, ihn als senilen Greis verspottet oder als fünfte Kolonne der Krawallmacher auf Amerikas Großstadtstraßen dargestellt. Nichts davon hat sich nachhaltig auf die politische Stimmung ausgewirkt – Biden liegt in allen Umfragen weiterhin vorn.
Trump läuft die Zeit davon, zumal in zahlreichen Bundesstaaten die Wahl bereits mit dem "early voting" in Person oder per Brief begonnen hat. Er muss Biden im TV-Duell stellen.
Einen dementsprechend hitzigen Abend erwarten die Beobachter, genau fünf Wochen vor dem Wahltermin am 3. November. Es ist das Aufeinandertreffen zweier höchst unterschiedlicher Kommunikatoren. In der einen Ecke Amtsinhaber Trump, der lieber persönlich als inhaltlich attackiert, sein Gegenüber unterbricht, Unwahrheiten in hoher Dosierung einsetzt und vor Beleidigungen nicht zurückschreckt. Er agiert spontan und kommuniziert in einfachen Botschaften.
In der anderen Ecke Joe Biden, der in den parteiinternen Debatten des vergangenen Jahres einige holprige Auftritte hingelegt hat. Mitunter wirkte er dabei überfordert und verhedderte sich in seinen Antworten. Trump wirft ihm mangelnde geistige Fitness vor und verspottet ihn als "Sleepy Joe" (schläfriger Joe). Das darf Biden am Dienstag bei der ersten von insgesamt drei Debatten nicht passieren.
Persönliche Attacken auf den Sohn
Über 90 Minuten geht es nach dem Plan von Moderator Chris Wallace, dem angesehensten und kritischsten Journalisten beim Trump-freundlichen Sender Fox News, um sechs Themenbereiche:
- die Corona-Pandemie
- die Wirtschaftskrise
- die Nachbesetzung am Supreme Court
- der ordnungsgemäße Ablauf der Wahl
- die Bilanz der Kandidaten
- Rassismus und Gewalt in den Städten
Doch auch die Enthüllung der "New York Times" über Trumps Steuervermeidung und hohe Schulden wird sicherlich ein Thema. Corona-bedingt wird es nur wenige Zuschauer vor Ort geben.
Trumps Team hat bereits durchblicken lassen, dass der Präsident den 77-jährigen Biden persönlich angehen will. Es wird erwartet, dass er ihn mit den Geschäften seines Sohnes Hunter konfrontiert: Der hatte sich unter anderem in der Ukraine für ein Engagement für eine Gas-Firma fürstlich bezahlen lassen, während der Vater Vizepräsident in Washington war. Ein rechtliches Fehlverhalten war weder ihm noch seinem Vater nachzuweisen.
Interessieren Sie sich für die US-Wahl? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über Wahlkampf, seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Als Vorgeschmack hat Trump Biden öffentlich bereits aufgefordert, einen Dopingtest abzulegen – er behauptet, sein Gegner lasse sich für die Begegnung fitspritzen.
Biden hat bei Wahlkampfauftritten oft dünnhäutig reagiert, wenn er mit Vorwürfen zu seinem Sohn konfrontiert wurde oder mit Kritik an seinem Verhalten in seiner langen Laufbahn in der US-Politik.
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Der Demokrat hat sich mehrere Tage auf die Debatte vorbereitet und aller Voraussicht nach auch Antworten zu dem heiklen Thema parat. Er muss beweisen, dass er schlagfertig und klar kommunizieren kann und damit auch den Spottnamen "Sleepy Joe" widerlegen.
Wegen Corona führt Biden, ganz anders als Trump, einen zurückhaltenden Wahlkampf mit wenigen, kleinen Terminen vor Anhängern. Für ihn ist die Debatte also wichtig, um sich und seine Pläne einem größeren Publikum vorzustellen.
Mit Trump hat er einen Gegner, der sich nicht von Regeln des Anstands oder der Wahrheit bremsen lässt. Die Erfahrung, wie schwer es ist, mit ihm auf der Debattenbühne zu stehen, haben schon die innerparteilichen Gegner bei den Vorwahlen 2016 gemacht – und dann auch im Hauptwahlkampf Hillary Clinton. In einer der drei Debatten baute sich Trump etwa im Rücken Clintons auf, während diese sprach. Eine Macho-Geste, die die Demokratin überforderte.
Sie wusste nicht, was sie in dem Moment tun sollte, räumte sie später in ihren Memoiren ein. "Es war unfassbar unangenehm."
Auch Joe Biden muss sich auf Psychotricks gefasst machen. Für ihn, der vor 48 Jahren seinen ersten Wahlkampf und danach zahlreiche TV-Debatten bestritt, ist das Duell mit Trump wohl eine einzigartige Herausforderung in seiner langen Laufbahn.
- Eigene Recherchen