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US-Wahl: Donald Trump gegen Joe Biden – die eine Frage, die alles entscheidet


Meinung
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US-Wahl
Die Frage, die alles entscheidet

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold

Aktualisiert am 25.09.2020Lesedauer: 5 Min.
Donald Trump im Wahlkampf: Die Generalprobe für den November ist misslungen.Vergrößern des Bildes
Donald Trump im Wahlkampf: Die Generalprobe für den November ist misslungen. (Quelle: Evan Vucci/ap)

Vergessen Sie die Umfragen! Das Duell von Donald Trump und Joe Biden hängt an einer Frage, die den Kern der US-Demokratie berührt – und um die eine Auseinandersetzung mit allen Mitteln geführt wird.

Glaubt man den Umfragen, sieht die Sache in den USA ziemlich klar aus. Joe Biden liegt vor Donald Trump, bundesweit ziemlich deutlich, und knapper in den meisten der umkämpften Staaten. Die Umfragen seien viel zuverlässiger als 2016, versichern uns die Institute.

Es gibt manch einen Ausreißer, der prompt Schlagzeilen verursacht. Doch eigentlich passiert in den Umfragen: wenig bis nichts. Das große Problem: Sie erzählen uns nur über die stabile Stimmungslage, nicht über die Stimmen, die am Wahltag ins Ergebnis einfließen.

Doch die Frage, die den Ausgang dieser Wahl entscheiden wird, ist genau diese: Wessen Stimme zählt und wessen nicht?

Klingt abenteuerlich in der mächtigsten, stolzesten und am längsten bestehenden Demokratie auf Erden. Und doch das ist der Fluchtpunkt, auf den in meinen Augen alles zuläuft.

Ohnehin zählen die Wählerstimmen nur indirekt – die Wahl wird im Electoral College entschieden. Zudem waren Wahlen in den USA schon immer auch davon geprägt, bestimmte Bürger vor der Stimmabgabe abzuhalten. Früher mussten sich Schwarze absurden Wissens- und Schreibtests unterziehen, heute geht es subtiler zu: Ein fehlendes Mittelilinitial in der Wählerdatei kann etwa dazu führen, dass ein Bürger nicht wählen kann.

Doch in diesem Jahr bieten sich ganz neue Möglichkeiten. Da ist die viel diskutierte Frage der Briefwahl. Im Jahr der Pandemie werden sehr viel mehr Amerikaner per Post abstimmen als üblich. Niemand ist darauf so richtig vorbereitet.

Bei den Vorwahlen im ersten Halbjahr sind mehr als eine halbe Million Briefwahlstimmen nicht gezählt worden: Mal steckte der Wahlzettel im falschen Umschlag, manchmal war der Poststempel nicht zu lesen, oft waren die Regeln, was zählt und was nicht, am Wahltag selbst noch nicht geklärt. Eine misslungene Generalprobe für den November.

Blicken wir ins umkämpfte Pennsylvania. Dort streiten Demokraten und Republikaner um alle möglichen Fragen: Sollen sogenannte nackte Stimmzettel, die direkt in den Briefumschlag statt in einen zweiten Wahlumschlag gesteckt wurden, auch zählen? 100.000 solcher Stimmen kann es geben, hat die Wahlleitung aufgrund der Erfahrungen aus der Vorwahl berechnet. Briefe mit falscher Frankierung oder verwischtem Poststempel? Darf es Container geben, wo Briefwahlunterlagen direkt eingeworfen werden, um die angeschlagene US-Post zu entlasten?

Demokraten wollen mehr, Republikaner weniger Briefwahl. Darüber streiten sie nicht nur im Parlament und in den Medien, sondern auch in Dutzenden Gerichtsverfahren. Grundlegende Regeln sind auch einen guten Monat vor der Wahl unklar. Der Streit vollzieht sich abseits der großen Schlagzeilen, doch ich halte ihn für wichtiger als die neueste Umfrage zu Pennsylvania. 100.000 nackte Stimmzettel, die ungültig sein könnten. In einem Staat, den Donald Trump 2016 mit nur 44.000 Stimmen Vorsprung gewann. Die Frage, was zählt und was nicht, kann den Gewinner bestimmen.

Werden viele Briefwahlstimmen gezählt, kann sich der Vorsprung Bidens in den Umfragen in eine Mehrheit übersetzen. Wenn nicht, dann bessern sich Trumps Chancen.

Mehr Demokraten als Republikaner wählen per Brief, der Effekt könnte in diesem Jahr enorm sein. Deshalb fährt Trump seit Monaten eine Kampagne gegen diese Art der Stimmabgabe. Seine Behauptungen, dass damit massenhafter Betrug drohe, sind falsch. Näher an die Wahrheit, wenn auch übertrieben formuliert, kommt seine Bemerkung, dass mit allgemeiner Briefwahl, wie sie die Demokraten wollten, "in diesem Lande nie wieder ein Republikaner gewählt" würde.

In vielen der umkämpften Staaten wird es lange dauern, bis die Briefwahlstimmen ausgezählt sind, insbesondere in den Ballungsgebieten, in denen viele demokratisch wählen. Das kann zu einem interessanten Effekt führen. Während es am Wahlabend in Staaten wie Wisconsin nach einem Trump-Sieg aussieht, könnte die anschließende Auszählung der Briefwahlstimmen Biden nach vorn spülen.

"Red mirage" (rote Illusion) und "blue shift" (blaue Verschiebung) lauten die neuesten Modeworte für das Phänomen. Heißt: Am Wahlabend nach Auszählung der vor allem im Wahllokal abgegebenen Stimmen ist die Karte tief in republikanisches Rot getaucht und wird dann immer demokratisch-blauer, je mehr Briefwahlstimmen ausgezählt werden. Was nach einem Trump-Triumph aussah, entpuppt sich als Biden-Sieg.

Kein Wunder, dass Trump neuerdings darauf besteht, dass ein Ergebnis am Wahlabend selbst vorliegen müsse. Würde er wie ein aufrechter Demokrat brav zusehen, wie während der Auszählung über den Wahlabend hinaus hier und dort sein Vorsprung schmilzt, bis die letzte Stimme gezählt ist? Oder wird er versuchen, lieber per Tweet rasch seinen Sieg zu verkünden und die laufenden Zählungen als Betrugsmasche seiner Gegner abzuurteilen?

Ein Heer an Anwälten, das die Vorwahlen mit ihren Pannen genau studiert hat, steht ja schon bereit, um die Auszählungen zu beeinflussen. Angriffspunkte wird die Pandemie-Wahl höchstwahrscheinlich bieten.

Erinnern wir uns an die Wahl im Jahr 2000: das Drama in Florida um die Papierstanzen an den Wahlzetteln, über die sich tapfere Wahlhelfer wochenlang beugten. Jetzt ersetzen wir die Papierfetzen mit Briefwahlumschlägen, Poststempeln und Briefmarken. Florida ergänzen wir um die ebenfalls umkämpften Bundesstaaten Arizona, Michigan, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin. Das ist das Spielfeld im Wahljahr 2020.

Der Kampf darum, welche Stimme zählen wird, wird vor Gericht ausgetragen, in den Parlamenten, auf den Straßen und von Trump von der Bühne des Weißen Hauses und per Tweet-Dauerfeuer. Gibt es in einem Bundesstaat keine Klärung, könnten das dortige Parlament oder der Gouverneur selbst die Wahlmänner für das electoral college benennen, unabhängig von den Stimmen der Bürger. So unklar sind die Regeln in Amerika.

2000 entschied der Supreme Court in knapper 5:4-Entscheidung, dass die Nachzählungen in Florida einzustellen seien. Bush lag mit 538 Stimmen vorn. Manche Stimmen zählten, andere nicht. Dann ging der knapp hinten liegende Al Gore den eigentlich entscheidenden Schritt: Er gestand seine Niederlage öffentlich ein.

Ein Schritt, der im Amerika des Jahres 2020 aus der Mode gekommen ist. 2016 wollte schon Hillary Clinton am liebsten nicht die Niederlage eingestehen. Biden, dessen Anhänger ebenfalls starke Zweifel an einem ordnungsgemäßen Wahlausgang äußern, dürfte es sich dreimal überlegen, bevor er eine Niederlage anerkennt. Bei Trump ist ohnehin nicht damit zu rechnen.

Er sagte bereits, er müsse den durch den Tod Ruth Bader Ginsburgs freigewordenen Posten am Supreme Court auch deshalb rasch besetzen, weil letztlich das Gericht "über die Wahl entscheiden" werde.

In Washington haben gerade alarmistische Prognosen Konjunktur: Da geht es von einem Wahlverlierer Trump, der sich im Weißen Haus verbarrikadiert über einen Bürgerkrieg bis hin zur Vorstellung, dass das Wahlergebnis unklar bleibt und am 20. Januar zur Inauguration zwei Limousinen vor dem Kongress vorfahren – mit zwei Kandidaten, die jeweils meinen, sie müssten nun ins Amt des Präsidenten eingeführt werden. All das können Sie in diesen Tagen lesen.

So weit muss es nicht kommen. Es kann genauso gut auch nach Tagen der Auszählung ein Ergebnis vorliegen, so eindeutig, für wen auch immer, dass sich alle weiteren Spielchen erübrigen. Doch in allen anderen Fällen müssen wir einen knallharten Kampf um die Frage erwarten, welche Stimme zählt und welche nicht. Und das ist für eine Demokratie eine so traurige wie gefährliche Angelegenheit.

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