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"Fridays for Future"-Proteste: Hört hin, was sie zu sagen haben


Meinung
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Fridays-for-Future-Proteste
Hört hin, was sie zu sagen haben

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 23.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Fridays-For-Future-Demonstration in Frankfurt am Main.Vergrößern des Bildes
Fridays-For-Future-Demonstration in Frankfurt am Main. (Quelle: imago-images-bilder)

So jung Fridays for Future auch ist, so weit hat es die Schülerbewegung gebracht: bis ins Herz der UNO, die Klimapolitik zu ihrem Thema erhoben hat und 1.500 junge Menschen aus aller Welt einlädt.

Wir sind in eine neue Phase des Moralismus eingetreten, der das Leben von Regierungen, Parteien und Politikern erschwert, was völlig in Ordnung ist. Denn Moralismus entsteht aus einem Mangelbewusstsein und füllt eine Leere, die bei der Bewältigung der herrschenden Probleme entsteht.

Momentan wächst die Anhängerschaft der Greta-Thunberg-Schülerbewegung national wie international und damit wächst auch ihre Autorität und zwar im gleichen Maß wie ihre Ungeduld, dass endlich Entscheidendes passieren muss und zwar subito, ehe es zu spät ist.

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Erstaunliches tut sich. Mehr als 1.000 junge Menschen aus 150 Staaten sind nach New York gereist, wo die Septembersitzung der Vereinten Nationen begonnen hat. Sie kommen von vielen Kontinenten und vertreten die Millionen der Fridays-for-Future-Generation. Generalsekretär Antonio Guterres hat die Klimapolitik zum großen Thema dieser Sitzungsperiode erhoben und sie eingeladen.

Ob sie wollen oder nicht, müssen sich die Staats- und Regierungschefs mit der Klimakrise auseinandersetzen. Diesmal bleiben sie nicht unter sich, diesmal können sie sich nicht ausschließlich den üblichen Themen widmen: Kriegen und Bürgerkriegen, den lange währenden Konflikten und den nächsten, die sich abzeichnen.

Weltmachtpolitik ist nicht alles

Nüchtern betrachtet lehnen sich die Vereinten Nationen an das neue moralische Phänomen an, um politisch davon zu profitieren. Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden, mit dem Anspruch, das Weltgewissen zu sein. Davon ist wenig übrig geblieben, woran die Institution die geringste Schuld trägt. Zwangsläufig spiegelt sie die Konflikte wider, von denen sich die Welt beherrschen lässt: ob sie nun bipolar ist wie im Kalten Krieg oder von den Folgen nach 9/11 dominiert wird. Wichtiger als das Plenum, in dem alle Mitgliederstaaten sitzen, ist nun einmal der Sicherheitsrat, den Amerika und China, Russland, Großbritannien und Frankreich wie eh und je beherrschen.

Weltmachtpolitik ist nicht alles, aber ohne Weltmachtpolitik wären die Vereinten Nationen bedeutungslos. Ein Übermaß an Weltmachtpolitik erdrückt jedoch alles andere, vor allem dann, wenn sich die jährliche Erörterung herrschender Probleme im Austausch von Vorwürfen erschöpft, die an den Weltproblemen nicht das Geringste ändern.

Da kommt die Jugend weltweit, die nun auch Erwachsene integriert, mit ihrem Moralismus durchaus gelegen. Am Samstag werden die 1.500 jungen Menschen vortragen, wie der Klimawandel ihre Heimat prägt und bedroht. Präsident Donald Trump hat schon wissen lassen, dass er dann anderweitig beschäftigt sein wird.

Klimaleugner in der Defensive

Das Gute an der Jugendbewegung ist, dass die zumeist weiße Bruderschaft der Klimawandelleugner auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu der kleinen Minderheit geworden ist, die sie schon immer war. Minderheit kann ja adeln: Seht her, wir lassen uns vom Mainstream nicht beeindrucken, nicht für dumm verkaufen, alles Fake News der linksliberalen Meinungsmafia. Oder man kann sich auch über die jungen Menschen und ihre Mission lustig machen. Aber aus der Defensive müssen sie erst einmal wieder herauskommen, die AfD und die Trump-Bejubler.

Es ist schon ein beispielloser Erfolg, dass eine Schülerbewegung, die mit einem kleinen, ernsten Mädchen in Schweden begann, binnen kürzester Zeit bei den Vereinten Nationen ankommt. Ihr entscheidender Vorteil liegt darin, dass sie politisch oder ideologisch nicht zuzuordnen ist. Somit macht sie es ihren Verächtern schwer. Sie ist nicht so leicht diffamierbar.

Darin unterscheidet sie sich von früheren Bewegungen wie den Studenten in den Sechzigerjahren und der ersten ökologischen Bewegung, aus der die Grünen hervorgingen. Sie waren links- und ideologielastig. Sie waren diffamierbar als Spinner/Kommunisten/Verblendete.

Deutschland ist kein Vorbild

Gemeinsam ist solchen Bewegungen ihr Alarmismus: Wenn wir jetzt nicht radikal umsteuern, ist es morgen zu spät. Damit lässt sich Einfluss ausüben, wie man an der Bundesregierung sehen kann, die rechtzeitig zum vergangenen Freitag ein Klimapaket verabschiedete. Bescheiden, das stimmt. Ausgerechnet Großbritannien ist weiter, Schweden sowieso. Deutschland wollte Vorbild sein oder wenigstens werden, ist aber weit davon entfernt.

Die Schülerbewegung hat schon jetzt einiges erreicht, keine Frage. Bemerkenswert.

Auf Dauer hängt viel davon ab, ob die Bewegung ihre Maximalforderungen politisch meint oder eben nur moralisch. Im ersten Fall kann sie die Regierung vor sich hertreiben, da sie Verbündete in Parteien findet und Rückhalt in der Wissenschaft. Fast immer ist die Gesellschaft weiter als die Politik. Die Politik hinkt hinterdrein, wie man an der regierenden Koalition sehen kann. Sie muss damit rechnen, dass sie deswegen abgelöst wird.

Moralismus ist ungeduldig

Gut möglich, dass ein Machtwechsel auch zu einem Paradigmenwechsel führt. Das ändert jedoch nichts an der Mechanik der Demokratie, die auf Ausgleich der Interessen angelegt ist.

Ernst gemeinter Moralismus kann mit der Schritt-für Schritt-Vernunft der Demokratie wenig anfangen. Er ist apolitisch. Er sehnt sich nach dem Quantensprung aus dem verhängnisvollen Hier und Jetzt. Er macht die Marktwirtschaft für den Klimawandel verantwortlich. Ihm ist die Langsamkeit der Demokratie unerträglich und deshalb sucht er nach Alternativen.

In der "Zeit" steht ein spannendes Streitgespräch, das die rasante Ungeduld des Moralismus schön veranschaulicht. Daran beteiligt ist Luise Neubauer, die vermutlich bekannteste deutsche Fridays-for-Future-Aktivistin. Sie denkt ihre Bewegung in die Zukunft weiter und will dann über das bloße Demonstrieren hinausgehen. Sie sagt, ziviler Ungehorsam und "disruptive Protestformen" seien zulässig, sofern sie gewaltfrei bleiben. Sie sagt auch, dass eine Revolution nötig sei, da die Demokratie zu gemütlich für die Verhinderung der katastrophalen Erderwärmung ausgelegt ist.

Warnung vor einem Öko-Bürgerkrieg

Die Vernunft spricht aus Neubauers Streitgegner, dem Grünen Ralf Fücks. Die Grünen haben vor 40 Jahren ähnlich moralisch und endzeitgestimmt argumentiert wie Neubauer heute. Die Erfahrung aus der Kampfzeit stimmt Fücks heute milde.

Er redet davon, was sich schon geändert hat. Neubauer sagt: Viel zu wenig hat sich geändert. Fücks warnt vor einem Öko-Bürgerkrieg. Neubauer sagt, sie sei nicht für eine Öko-Diktatur, ist es aber irgendwie doch.

In diesem Sinne ist dem Moralismus grundsätzlich nie genug, was Politik an Veränderungen beschließt. So kommt Neubauer auf den Gedanken, alles auf den Kopf zu stellen, die Marktwirtschaft und die Demokratie. Revolution eben.

Stillstand ist Rückschritt

Bewegungen, vor allem wenn sie moralisch sind, bleiben eben nicht stehen. Stillstand ist Rückschritt. Sie wandeln sich, sie ändern ihre Mittel. Dass es deshalb zu einer Revolution oder zu einer Öko-Diktatur kommen wird, halte ich für wenig wahrscheinlich. Davon sind Greta Thunberg und die anderen jungen Menschen heute weit entfernt. Ihre umfassende Ernsthaftigkeit verleiht ihnen den Nimbus, auf den die Bewegung unbedingt angewiesen ist.


Den deutschen Moralisten, egal ob sie in den Sechziger- oder Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf die Straße gingen, war schon immer der Hang zur Nabelschau eigen. Daher sollten die Moralisten von heute am Samstag in New York genau hinhören, was andere junge Menschen von anderen Kontinenten zu sagen haben und welche Mittel sie zur Durchsetzung ihrer Ziele anwenden wollen. Könnte lehrreich sein.

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