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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Manipulation bei Europawahl Wie Facebook zur Waffe im Wahlkampf werden kann
Wahlwerbung kann im Internet auf das psychologische Profil jedes Nutzers zugeschnitten werden. Michal Kosinski hat das mit ermöglicht – jetzt warnt er im Interview vor dem Einsatz im Europawahlkampf.
Über der Sitzecke, auf die Michal Kosinski zum Gespräch bittet, hängt ein Bild: Eine klassische Duellszene wie aus einem Western: Auf der einen Seite die Staatsmacht in Form eines hochgerüsteten Polizisten, auf der anderen Seite jemand, der keinen Colt am Halfter trägt, sondern ein kleines "f" in blauer Farbe: das Facebook-Logo.
Facebook als Waffe, das trifft es ganz gut, womit sich der gelernte Psychologe Kosinski an der US-Eliteuniversität Stanford zurzeit vor allem beschäftigt.
Kosinski erforscht den Grenzbereich von Informatik und Psychologie – er ist der Experte dafür, wie sich im Internet mittels unserer digitalen Spuren unsere Psyche ausleuchten lässt und wie Datenfirmen diese intimen Informationen Werbetreibenden und politischen Kampagnen zur Verfügung stellen. So wird Wählern etwa politische Werbung serviert, die genau zu ihrem Charakter passen soll.
Im Gespräch mit t-online.de in seinem Büro an der US-Eliteuniversität Stanford warnt er eindringlich vor den Gefahren – auch im Hinblick auf die Europawahl. Kosinski weiß, wovon er spricht: Seine Forschung wurde bereits von einer berüchtigten Datenfirma benutzt, um beim Wahlkampf Donald Trumps überraschende Erfolge zu erzielen. Im Gespräch mit t-online.de warnt er vor diesen Methoden und deren Anwendung im Europawahlkampf.
t-online.de: Herr Kosinski, Ihre Forschung wurde berühmt, weil eine ruchlose Datenfirma sie benutzte, um für Donald Trump Wähler anzusprechen, auf eine Art und Weise, die ihrer jeweiligen Persönlichkeit entsprach. Die Firma musste nach weiteren Skandalen Insolvenz anmelden. Sind diese Methoden damit tabu oder wird im laufenden Europawahlkampf mit ähnlichen Methoden hantiert?
Michal Kosinski: Ich kann Ihnen garantieren, dass alle Parteien und Akteure auf diese Methoden zurückgreifen! Diese Möglichkeit gab es schon vor Cambridge Analytica. Das Gute an dieser personalisierten Kommunikation im Digitalen ist, dass sie damit Wähler aktivieren, die herkömmliche Wahlwerbung gar nicht mehr erreicht, weil sie die Inhalte so zuschneiden können, dass sie zum Charakter der Zielperson passt. Außerdem ist das Schalten von personalisierten Anzeigen bei Facebook oder Twitter viel günstiger. Das heißt, vor allem jene Akteure, die nicht zum Establishment gehören und über keine Millionenbudgets für den Wahlkampf verfügen, greifen darauf zurück.
So geschehen beim Brexit oder der Trump-Wahl …
Prinzipiell ist das eine großartige Sache für die Demokratie. Aber sie wird auch benutzt werden von jenen, die über keinen moralischen Kompass verfügen und die Falschnachrichten, Hass und politische Propaganda verbreiten wollen. Das können auch Akteure von politischen Rändern tun. Die Antwort darauf ist aber nicht Zensur, sondern selbst mehr Energie aufzuwenden, um eigene Botschaften zu platzieren.
Personalisierte Werbung ist das eine. Aber wer wird sich nach dem Aufschrei über Cambridge Analytica noch erlauben, psychologische Profile der Wähler zu erstellen und sie davon ausgehend zu befeuern?
Das passiert doch schon ständig. Dafür gibt es einen riesigen Markt. Es gibt Firmen, die Daten von fast jedem Kunden im Netz für Kleingeld verkaufen. Cambridge Analytica hat seine Daten auf illegale und unethische Weise gesammelt, weil sie Anfänger waren. Sie hätten die Daten viel günstiger kaufen können. Und sie haben noch etwas falsch gemacht: Sie haben öffentlich mit ihren Methoden geprahlt. Das machen die anderen nicht.
Michal Kosinski, Jahrgang 1982, lehrt an der Elite-Universität Stanford Psychologie. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie sich mithilfe großer Datenmengen und künstlicher Intelligenz Erkenntnisse über die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen gewinnen lassen. Bekannt wurde Kosinski durch seine Forschungen, wie sich aus "Gefällt mir"-Angaben auf Facebook Psychogramme von Nutzern erstellen ließen.
Cambridge Analytica hat kurzgefasst gesagt: Wir kannten die Persönlichkeitseigenschaften von Millionen Amerikanern und wussten, wen wir wie mit Trumps Botschaften in welchem Ton ansprechen mussten. Das klingt immer noch gruselig.
Ja, da dreht man natürlich durch, wenn man das hört. Die erfahrenen Firmen sprechen stattdessen lieber davon, dass sie Nutzer zusammenfassen – etwa in sogenannte "Kundencluster". Das klingt harmloser, ist aber letztlich dasselbe. Cambridge Analytica war nur inkompetent – zum Glück, muss man sagen, denn deshalb reden wir jetzt ja über diese Themen.
Wie viel dieses Targeting ist im Europawahlkampf möglich? In der EU sind persönliche Daten besser geschützt als in den USA.
Alles ist möglich! Ich brauche selbst gar nicht die Daten von jemanden haben, um ihn im Netz ganz individuell und nach seiner Persönlichkeit anzusprechen. Ich kann Facebook oder eine andere Firma beauftragen: Zeigt diese Werbung bitte jenen Nutzern, die reich sind oder arm! Zeigt sie Schwangeren! Zeigt sie Linken oder Konservativen, zeigt sie Nutzern, die Coca-Cola mögen oder Angst vor dem Klimawandel haben! Facebook hat diese Daten vorliegen und als politische Partei ist es am einfachsten, die Ausführung gleich diesen Firmen zu überlassen. Alternativ kaufen Sie sich selbst diese Daten.
In Europa dürfen solche Daten allerdings nicht personenbezogen sein, also nicht eindeutig einer Person zuzuordnen.
Da wird dann getrickst und gesagt, dass das anonymisierte Daten seien. Doch das ist nur ein Täuschungsmanöver. Denn man kann einen anonymisierten Datensatz ganz einfach mit Ihrem Namen, Ihrer Adresse, Ihrer E-Mail zusammenbringen.
Wenn ich also als Partei, ohne dass es jemand mitbekommt, speziell Menschen ansprechen will, die Angst vor Migranten haben …
Dann nehmen Sie Leute ins Visier, die entsprechende Facebook-Seiten abonniert haben, in denen es um dieses Thema geht. Facebook bietet diese Datensätze an.
Nicht jeder hat entsprechende Seiten auf Facebook geliked.
Bleiben wir bei Ihrem Beispiel: Sie wollen Nutzer erreichen, die Angst vor Flüchtlingen haben. Also durchsuchen sie Facebooks Werbewerkzeuge danach. Die empfehlen dann sogenannte Lookalike Audiences, also Doppelgängerzielgruppen. Damit erreichen Sie die Nutzer, die keine der Seiten geliked haben, aber dem Facebook-Algorithmus ähnlich erscheinen, weil sie andere Gemeinsamkeiten haben. Facebook bietet allzu gern an, ähnliche Nutzer ins Visier zu nehmen. Auch wenn sie eine Liste mit E-Mail-Adressen haben, können sie die nicht nur auf Facebook erreichen, sondern Facebook wird sie fragen: Wollen Sie noch weitere ähnliche Nutzer ins Visier nehmen?
Auch das ist günstig?
Sehr günstig. Wir ängstigen uns hier vor den russischen Einflussoperationen im Internet. Aber sie haben 2016 bekanntlich sehr wenig Geld ausgegeben. Hier in den USA gibt es zwei Organisationen, die da viel mehr Geld investieren: Demokraten und Republikaner. Sie haben viel mehr Erfahrung darin zu mobilisieren.
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Mit dem Unterschied, dass manche das Vertrauen in die Politik explizit untergraben wollen.
Wir erleben doch eine große Neuausrichtung der Politik und der Öffentlichkeit. Jeder kann nun selbst dank der neuen Plattformen Öffentlichkeit herstellen. Das Vertrauen in das alte System wird erschüttert. Aber es werden neue Systeme entstehen. Beim Handel etwa vertrauen wir heute Ebay und Amazon. In den Medien und in der Politik wird Ähnliches auch passieren.
Nehmen die Möglichkeiten politischer Manipulation immer weiter zu?
Die Bevölkerung ist so gut informiert wie noch nie. Wir bekommen dank Facebook, Google, Twitter und Co. jetzt mehr davon mit, wie politische Manipulation vor sich geht. Das macht uns Angst, aber es ist gut, dass wir das wissen. In dieser Hinsicht sind Google, Wikipedia und Facebook doch wunderbare Technologien.
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