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60 Jahre Castros Revolution in Kuba: Das Leid darf nicht umsonst gewesen sein


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60 Jahre Castros Revolution in Kuba
Das Leid darf nicht umsonst gewesen sein

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

07.01.2019Lesedauer: 6 Min.
Die kubanischen Revolutionäre Fidel Castros Soldaten, nachdem sie auf die von den USA gestützte Invasion in der Schweinebucht gefeuert haben.Vergrößern des Bildes
Die kubanischen Revolutionäre – Fidel Castros Soldaten, nachdem sie auf die von den USA gestützte Invasion in der Schweinebucht gefeuert haben. (Quelle: Graf/Getty Images)

60 Jahre nach der Revolution befürchtet Kuba, dass es erneut von den USA verschluckt wird.

Als die Revolution in ihren Anfängen steckte, berichtete Gabriel García Márquez für eine Nachrichtenagentur über die unerhörten Ereignisse auf Kuba. Noch war er nicht der weltberühmte kolumbianische Großschriftsteller, sondern ein Journalist, der aufschrieb, was er sah und hörte.

Márquez verdanken wir ein paar erhellende Zahlen, die uns die Revolution besser verstehen lassen. Am 3. Februar 1962, als die USA ihr Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargo verhängten, gab es auf Kuba 482.550 Autos, 343.300 Kühlschränke, 303.500 Fernsehapparate, 352.900 Bügeleisen, 3.510.000 Armbanduhren, 63 Lokomotiven und 12 Handelsschiffe. Die Uhren stammten aus der Schweiz, alles andere aus Amerika.

Großfeiern auf Kuba

Kuba war kein Land aus eigenem Recht, es war eine kommerzielles Anhängsel der USA, eine ergebene Kolonie, sonst nichts. Keine Zahnbürste kam aus eigener Produktion, kein Hotel erbauten einheimische Firmen. Die Fähren aus West Palm Beach waren voll mit Amerikanern, die auf dieser schönen Insel zollfrei einkaufen wollten.

In diesem Jahr gibt es gleich zwei nationale Großfeiern auf Kuba: Erstens jährt sich am 13. November zum 500. Mal die Gründung Havannas; damals war Spanien die Kolonialmacht und blieb es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Zweitens jährt sich am 26. Juli die Revolution zum 60. Mal, die im Versuch bestand, die vollständige Abhängigkeit von den USA abzuschütteln und das Land auf eigene Füße zu stellen.

Sozialismus als Staatsdoktrin

Selbstbestimmung und nationale Unabhängigkeit, wer würde das stolze Streben nach beidem nicht verstehen. Schon deshalb wurden der Anwalt Fidel Castro und der argentinische Arzt Ernesto Guevara, den sie Che nannten und nennen, zu Idolen der Jugend weltweit. Aber wie sollte ein Land ohne Eigenes überleben, wenn nicht mit der gütigen Hilfe anderer? Es war die Sowjetunion, die in die Bresche sprang. Und was blieb den Castros anderes übrig, als Sozialismus zur Staatsdoktrin zu erheben, den sie aber auf ihre Weise interpretierten?

Ich bin momentan im Urlaub in Kuba. Ein paar Tage hier machen aus einem Journalisten weiß Gott keinen ausgewiesenen Fachmann. Ich beschreibe nur, was ich sehe und höre, und versuche zu verstehen.

Was mir zuerst auffiel, das ist die gute Laune trotz aller Mangelwirtschaft, trotz aller Apathie, trotz der Grenzen, die der Planwirtschaftsstaat jedem Einzelnen steckt. Was mir gefällt, das ist dieser Dreiklang, der auf Plakaten und auf Hauswänden zu lesen steht: Einheit, Kompromiss, Sieg. Das behagt mir jedenfalls mehr als der preußische Staatssozialismus der DDR, der gepaart war mit schlechter Laune.

Stillstand unter Trump

Mir scheint Kuba heute ein Land in der Windstille zu sein. Es ändert sich weniger als erhofft, weil die Versöhnung mit den USA, die mit Barack Obama begann, von Donald Trump ausgesetzt worden ist. Die Botschaft in Havanna arbeitet mit geringst möglicher Besetzung. An die Aufhebung des kompletten Embargos von 1962 ist nicht zu denken. Daraus hat nämlich der Kongress ein Gesetz geformt, das "Cuban Democracy Act" heißt. Kein Präsident kann per Dekret normale Beziehungen verfügen. Beide Häuser des Kongresses müssen zustimmen. Daran scheiterte Obama.

Eigentlich müsste Trump, der Geschäftsmann, ganz scharf auf Freizügigkeit und Freihandel mit Kuba sein. In Havanna schießen Hotels nur so aus dem Boden, Golfplätze sind Mangelware, es gibt jede Menge bestens ausgebildeter Kubaner, die nur zu gerne im Tourismus arbeiten, weil zum Beispiel ein Lehrer an einem Tag mit Trinkgeldern mehr verdienen kann als in seinem Beruf in einem ganzen Monat. Und es steht auch außer Frage, dass viel mehr Amerikaner eine Reise nach Havanna, Cienfuegos oder Trinidad antreten würden, in Städte, die ihnen wie ein Museum vorkommen müssen – mit ihren heruntergekommenen und immer noch stabilen Kolonialbauten, den riesigen Straßenkreuzern mit qualmenden Rauchfahnen aus den Fünfzigern, mit ihrem Säulenheiligen Ernest Hemingway, dem wunderbaren Schriftsteller, der sich mit seinem Anhang durch die Kneipen soff und deshalb im "Florididad" in Alt-Havanna als Bronzestatue auf ewig an der Bar hockt.

Hemingway, den jeder "Papa" nannte, besaß seit 1940 die Finca "La Vigiá", 15 Kilometer südöstlich von Havanna. 1960 ließ er Mobiliar und Manuskripte zurück und zog sich nach Idaho zurück: verzweifelt über Alter und Krankheiten, gezeichnet von Flugzeugabstürzen, gepeinigt von Wahnanfällen als Folge der Alkoholexzesse. Zum ersten Mal nahm er, der in Spanien beim Bürgerkrieg und bei der Landung in der Normandie dabei gewesen war, an einem Weltereignis nicht teil, denn die Revolution, die die Castros aus den Bergen in die Städte trugen, war beispiellos. Ein wahnwitziges Unternehmen weniger Menschen, das die Kubaner mitriss und deshalb einen der korruptesten Diktatoren vertreiben konnte, der nur gemacht hatte, was gut für Amerika war.

Aber wie überleben? Ohne Hilfe, ohne Subventionen ging es nicht. Die Sowjetunion sprang ein, kaufte den kubanischen Zucker weit über Weltmarktpreis und lieferte Öl, sicherte auch die Existenz des Landes vor Konterrevolution und Invasion. Paradoxerweise bestand darin das Ergebnis der Nuklearkrise, als die Sowjetunion seit 1962 Mittelstreckenraketen auf Kuba installieren wollte und mit Amerika so nahe an einen Atomkrieg geriet wie nie zuvor und wie nie nachher. Das stillschweigende Abkommen sah danach so aus: keine Raketen auf Kuba, aber auch keine Invasion. Daran hielt sich Amerika sogar, abgesehen von einigen Attentaten auf Fidel Castro, die sich der CIA einfallen ließ.

Suche nach Einnahmequellen

Die Sowjetunion verblich 1991. Die heilige Dreifaltigkeit Union/Kompromiss/Sieg begann in Kuba. Keine Zuckerproduktion mehr, Privatbesitz für Kleinbauern, Joint Ventures mit ausländischen Firmen, bei denen die kubanischen Partner mindestens 51 Prozent besitzen müssen und vor allem Tourismus als staatliche Einnahmequelle, da Bildung und Gesundheit nach wie vor gratis zu haben sind, eine sozialistische Errungenschaft, die die Castros unter allen Umständen beibehalten wollten.

Momentan gibt es Brotmangel. Mehl bezieht Kuba aus Brasilien. Mir ist nicht klar geworden, ob der Staat die Importe nicht mehr bezahlen kann oder will, weil dort seit Neuestem ein rechtsradikaler Präsident amtiert.

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Auch eine andere Bezugsquelle versiegt allmählich: Kuba schickt seine vorzüglich ausgebildeten Ärzte überall dorthin, wo sie gebraucht werden, nach Afrika wie Lateinamerika. Die Verträge schließt der Staat, bezahlt die Ärzte besser als daheim und behält sich den Löwenanteil vor. Venezuela steht kurz vor dem Kollaps und ist so gut wie zahlungsunfähig. Das Gleiche gilt für Brasilien. Also zieht Kuba seine Doktoren aus beiden Ländern ab. Somit fehlt es an Kapital und das Land steckt in der Krise.

Nichts in Kuba ist einfach. Alles ist fragil. Jeder wartet ab, was als Nächstes kommt. Geht es voran, geht es zurück? Fidel ist tot, der kleine Bruder Rául ist nach ihm die starke Figur geworden, aber inzwischen hochbetagt. Der Nachfolger als Präsident heißt Miguel Diáz-Canel, ist Jahrgang 1960 und ein unbeschriebenes Blatt. Von seinem Geschick oder Ungeschick hängt einiges ab. Vielleicht ist er nur eine Übergangsfigur. Zu wem?

Verschwindet das Castro-Kuba?

Amerika ist Kubas Schicksal, so viel ist klar. An der Geografie kann niemand etwas ändern. Nur rund 360 Kilometer liegen zwischen Havanna und Miami. Momentan kommen jährlich knapp 4,25 Millionen Touristen nach Kuba, die meisten aus Kanada. Die USA gewähren keine reinen Touristenvisa, außer an Exilkubaner. Wenn denn eines Tages der Kongress das Embargo aufhebt, beginnt die neue Zeit, die möglichst nicht die alte werden sollte. Die große Frage ist: Wie soll Kuba den demütigenden Status als Kolonie verhindern?

Es darf ja wohl nicht sein, dass die Revolution, der Mangel, das Leiden, aber auch Errungenschaften wie freie Bildung und Gesundheit umsonst waren. Oder verschwindet das Castro-Kuba so von der Bildfläche wie die Honecker-DDR?

In der Windstille wird Kuba erst einmal den Jahrestag der Revolution mit Pomp und Pathos begehen. Ein paar neue, moderne Hotels in Havanna sollen bis dahin fertiggestellt sein. Auf dem Platz der Revolution wird Rául Castro eine lange Rede halten, wenn auch nicht so lange wie der große Bruder Fidel, der sieben Stunden ohne Pause durchhielt. An dem Hochhaus in der Mitte des Platzes werden sie das Konterfei von Che Guevara überarbeiten, dieses jungenhafte, siegessichere, melancholische Gesicht der kubanischen Revolution, dem allein Personenkult vorbehalten ist.

Denn darauf verzichtete Fidel, el maximo lider. Von ihm gibt es kein Denkmal, nach ihm ist keine Stadt benannt. Unvergänglich ist allenfalls der Ruhm. Vergänglich, vielleicht sogar vergeblich, das Tun.

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