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Zum journalistischen Leitbild von t-online.US-Präsident an Nato-Ostflanke Das steckt hinter Bidens Plan mit den "Bukarest Neun"
Der Besuch des US-Präsidenten in Polen markiert den Beginn einer neuen Ära. Die Welt zerfällt in Blöcke. Joe Biden will Europa aufrüsten, um sich im Streitfall mit China den Rücken freizuhalten.
Auf den ersten Blick scheint es eine Wiederholung mit viel Symbolik zu sein. Joe Biden wird an diesem Dienstagabend wieder eine Rede in Warschau halten. Wie im vergangenen Jahr, wenige Wochen nach Putins Überfall auf die Ukraine, als der US-Präsident schon einmal in der polnischen Hauptstadt war, um dort die Solidarität Amerikas zu bekunden und sich für Polens Hilfe zu bedanken.
Auf den zweiten Blick und nach einem ganzen Kriegsjahr wird deutlich, dass es dieses Mal um mehr geht. Es geht um mehr als Dank und eine transatlantische Selbstverpflichtung der Vereinigten Staaten zum Wohle Europas.
Der Besuch des US-Präsidenten in Osteuropa in diesem Jahr zeigt, dass die Amerikaner ihr Engagement schon im eigenen Interesse sehr ernst nehmen. Es geht ihnen um Hilfe, aber es soll ganz explizit auch der Selbsthilfe der Europäer dienen. Denn eine andere Gefahr auf der anderen Seite der Welt nimmt immer mehr Gestalt an.
Die neue doppelte Kaltkriegsfront
Viele Ereignisse der vergangenen Wochen und Monaten zeigen: Es geht längst nicht mehr nur um die Ukraine. Die Welt ist eine andere geworden.
Das merken die USA einerseits schon im eigenen Land. Zum Beispiel am Abschuss des mutmaßlichen Spionageballons über amerikanischem Luftraum, an der abgesagten China-Reise von Außenminister Antony Blinken, an der immer schlechter werdenden Kommunikation zwischen Peking und Washington und erst recht an den sich verschärfenden Spannungen um Taiwan.
Auf der anderen Seite sind da Bidens zunehmende Bemühungen in Europa, seine Besuche in Kiew und Warschau, Putins anhaltender Krieg in der Ukraine, die massive Unterstützung durch die USA und die NATO-Staaten. Auf der anderen Seite die Solidarität Chinas mit Russland und das zwiespältige Verhalten zweier weiterer Mächte: Indien und Brasilien.
Diese Herausforderungen zeigen, es geht bei Bidens Besuch in Osteuropa nicht nur um die Ukraine. Es geht um den bedrohten Einfluss der demokratisch geprägten Staaten in der Welt insgesamt und damit um die Zukunft der freiheitlichen Lebensweisen ihrer Bevölkerungen. Auf dem Spiel stehen souveräne Staaten, die dem imperialen Streben autoritärer Staaten im Weg stehen. Das hat Konsequenzen weit über die Ukraine oder Taiwan hinaus.
Vieles deutet darauf hin, dass gerade die beiden großen diktatorisch geführten Atommächte Russland und China einander eng begleiten und unterstützen: Moskau mit dem Interesse, seinen Einfluss in Europa territorial auszubauen und zu sichern; Peking, um den Einfluss der Amerikaner im Pazifik einzudämmen und sich Taiwan einzuverleiben. Es droht ein neuer Kalter Krieg, diesmal zwischen zwei autokratischen Atommächten.
Das große Aufrüsten der Partner in Europa und Asien
Die USA als größte Militärmacht der Welt zwischen Atlantik und Pazifik rüsten darum schon seit Jahren ihre verbündeten Vorposten auf, darunter auch die einstigen Feinde im Zweiten Weltkrieg: Deutschland und Japan. Sie bilden damit militärische Abwehrposten, einerseits gegen Russland, andererseits gegen China. Denn allein werden sie sich nicht um beide Länder kümmern können.
In Europa haben dazu die Nato-Staaten eine besondere Bedeutung. In Polen wird das deutlich, wenn Präsident Joe Biden sich am Mittwoch mit den Staats- und Regierungschefs der sogenannten Bukarest Neun, den B9, und dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg treffen wird.
Die B9 ist eine Gruppe von Nato-Verbündeten an der Ostflanke. Sie bilden geografisch eine Art Abwehrring gegen Russland. Gegründet wurde die Organisation 2015 im rumänischen Bukarest als Reaktion auf Russlands Einmarsch auf der Krim im Jahr 2014. Ihr gehören an: Rumänien, Polen, Bulgarien, die Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen und die Slowakei. Bidens Treffen mit ihnen zeigt deren wachsende Bedeutung, der sich auch Deutschland bewusst sein muss.
Die zweite Abwehrflanke im Pazifik
Die Amerikaner wollen sich nicht und sie können sich auch nicht aus Europa verabschieden. Nicht zuletzt hat Bidens historischer Überraschungsbesuch in Kiew die Verpflichtung der USA in der Ukraine auf lange Sicht besiegelt. Aber die USA müssen auf mehr Eigenverantwortung der Europäer setzen, wenn sie sich dem großen Rivalen in ihrem Westen widmen wollen. Denn der wird immer problematischer.
Gegen China ertüchtigen die USA militärisch deshalb schon seit Jahren auch ihre Verbündeten auf der anderen Seite der Welt. Japan, Taiwan, Südkorea, Australien und auch die Philippinen bilden dabei wie die B9-Staaten in Europa eine Art Abwehrring im Pazifik, der Chinas Einfluss eindämmen soll.
Die Zeit scheint zu drängen. Denn auch China nutzt den Krieg in der Ukraine für seine eigenen Interessen. Nicht ohne Grund haben die USA vor wenigen Tagen wieder einmal ihre gewonnenen Geheimdienstinformationen weitergegeben. Diesmal an China. Das liefert zwar bereits waffenfähige Produkte an Russland. Peking erwägt demnach aber auch echte Waffenlieferungen an Moskau.
Während Joe Biden in die Ukraine und nach Polen an die Ostflanke der Nato reist, wird im Kreml ein Mann empfangen, der schon in München bei der Sicherheitskonferenz für Aufsehen sorgte: Chinas außenpolitischer Direktor Wang Yi schlug dort eine angebliche Friedensinitiative vor und beschuldigte die Nato, Öl ins Feuer im Ukraine-Krieg zu gießen. In den kommenden Monaten soll zudem Chinas Präsident Xi Jingping einen Besuch bei Putin in Moskau planen.
Für Washington ist dabei längst klar, Russland und China bilden einen Block. So unterschiedlich deren Interessen auch sein mögen, beide haben ein Interesse daran, die USA und die Nato zu schwächen. Dabei versuchen sie, über Abhängigkeiten einzelne Staaten aus anderen Allianzen herauszulösen oder sie daran zu hindern, andere einzugehen. Ob es Russland ist mit seinem Gasversorgungsnetz nach Europa oder China mit seinem Projekt der neuen Seidenstraße, das bis nach Westeuropa reicht.
Bidens Rede in Polen wird sich deshalb zwar besonders mit dem Konflikt in der Ukraine beschäftigen. Er wird ihn aber in diesen größeren, globalen Zusammenhang stellen. Er wird jene Kräfte ansprechen, die sich gegen die grundlegenden Prinzipien internationaler Ordnung stellen und die USA und ihre Verbündeten überall herausfordern.
Biden kommt nicht nur als barmherziger Samariter. Er reagiert in Polen auf eine neue Weltordnung. Sie ist für die USA und ihre Verbündeten eine größere strategische Bedrohung als je zuvor in ihrer Geschichte. Diese Zeit markiert für ihn einen Wendepunkt, der den Verlauf der nächsten Jahrzehnte bestimmen wird.
- Eigene Recherchen
- Reise-Informationen des Weißen Hauses
- defense.gov: U.S. Seeks to Build Network of Like-Minded Nations in Indo-Pacific (englisch)
- reuters.com: Taiwan is bolstering military exchanges with U.S., President Tsai says (englisch)
- foreignpolicy.com: Southeast Asia Is Getting Squeezed by America’s Embrace (englisch)
- eiu.com: Asia's geopolitics after Russia's war in Ukraine (englisch)