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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was bleibt von Bidens Europareise? Wie die USA eine neue Weltordnung planen
Joe Bidens Besuch in Polen war mehr als nur der Abschluss einer symbolischen Reise nach Europa. Die USA arbeiten an einer Weltordnung nach dem Ukraine-Krieg.
Es ist schon spät am Abend, als der US-Außenminister noch in jenes Warschauer Hotel kommt, in dem die aus Washington mitreisenden Journalisten untergebracht sind. Antony Blinken wirkt ruhig und entspannt, aber ernst. Aus Höflichkeit wird ihm ein Glas Wein angeboten. Der Außenminister will in etwas lockerer Atmosphäre den tieferen Grund der Reise des US-Präsidenten nach Polen auch aus seiner Sicht noch einmal erklären.
Aus solchen "Off-the-record"-Hintergründen darf naturgemäß nicht zitiert werden. Es geht darum, auch einmal ohne vorgefertigte Stanzen ausdrücken zu können, was Sache ist, ohne, dass daraus sofort eine Eilmeldung wird und womöglich Chaos ausbricht. Was schon ein einziger Satz auslösen kann, lässt sich gerade besonders gut beobachten.
Joe Biden hat in seiner Warschauer Rede vom Samstagabend in Bezug auf Wladimir Putin gesagt. "Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben!" Sofort wurde das als aggressiver Aufruf zum Sturz des russischen Präsidenten gedeutet. Seither hagelt es Kritik: von Medien, vom politischen Gegner, aber auch von einigen Verbündeten. Biden spiele der Kreml-Propaganda mit seiner "Regime-Change"-Rhetorik doch nur in die Hände, lautet ein Vorwurf.
Der US-Präsident sprach mit seinem Satz wohl aus, was ohnehin viele denken. Ein "Diktator" und "Schlächter" wie Putin, der dürfe einfach nicht so weitermachen. Aber Joe Biden ist eben nicht irgendwer, sondern der US-Präsident und Wladimir Putin der russische. Beide regieren die größten Atommächte der Welt. Es herrscht Krieg. Alles kann zur Eskalation führen.
Vor, zurück und alle sind verwirrt
Womöglich aber wäre alles halb so schlimm gewesen, wenn das Weiße Haus aus Sorge vor Missinterpretationen nicht wenige Minuten nach der Rede dem eigenen Präsidenten in den Rücken gefallen wäre. Joe Biden habe sich gar nicht auf einen von den USA herbeigesehnten Sturz Putins bezogen. Sondern darauf, dass Putin keine Macht mehr über die Nachbarstaaten haben solle.
Diese Erklärung klingt zugegebenermaßen reichlich absurd und heizt die Diskussionen seither nur noch mehr an. Es wird sogar spekuliert, das Weiße Haus habe dieses Vor-Zurück-Spiel bewusst gewählt, um für Diskussionen und Verwirrung, auch im Kreml zu sorgen. Diplomatische Ambiguität soll nicht nur eine Spezialität der Russen sein.
Fast gerät deshalb in den Hintergrund, was der eigentliche Grund war für Bidens Besuch in Polen. Wer Vertretern der US-Regierung hier in Warschau zuhört, bekommt immer wieder einen Eindruck davon, wie groß die Angst der Polen und auch der anderen osteuropäischen Staaten sein muss. Dass die Ukraine erst der Anfang sei, gilt hier vielen als ein sehr wahrscheinliches Szenario.
Diese Sorge führt darum auch immer wieder zu Vorstößen, insbesondere Polens, die nicht mit den Nato-Partnern abgestimmt sind. Die Idee, polnische MIG-29 über das deutsche Rammstein in die Ukraine zu liefern, gehört ebenso dazu, wie der Vorschlag einer "Nato-Friedensmission" auf ukrainischem Boden.
Garantien für die sorgenvollen Polen
Der US-Regierung und dem Präsidenten ging es deshalb vor allem darum, zu beruhigen. Nach dem Motto: Wir sind da. Wir stehen an eurer Seite. "Fürchtet euch nicht", zitierte Joe Biden darum auch gleich am Anfang seiner Rede im Innenhof des Königlichen Warschauer Schlosses den ehemaligen aus Polen stammenden Papst Johannes Paul II. "Denken Sie nicht einmal daran, auch nur einen Fußbreit auf den Boden eines Nato-Alliierten zu setzen", rief er dem russischen Präsidenten in Moskau und den Anwesenden entgegen.
Applaus im Innenhof, "Ukraine"-Rufe vor dem Schloss, wo die Rede von Joe Biden auf einer großen Leinwand übertragen wurde. Im Publikum ukrainische, polnische und amerikanische Flaggen, aber auch Nato-Banner und Schilder mit der Aufschrift: "Flugverbotszone jetzt!" Biden erinnerte in seiner Rede an den mutigen und friedlichen Aufstand, damals gegen die Sowjetunion. Er erinnerte an Ronald Reagans Rede in Berlin, in welcher der ehemalige US-Präsident zum Fall der Mauer aufrief. Damals war der Krieg kalt. Heute ist er heiß, wenn auch nicht auf Nato-Gebiet.
Einen problematischen Partner zähmen
Ausgerechnet Polen soll nun der Brückenkopf zur Verteidigung der westlichen Demokratie werden? Es gibt nicht wenige, die das durchaus kritisch sehen, auch die US-Regierung. Polen machte immer wieder Schlagzeilen mit gesetzlichen Vorhaben, die man auch aus Autokratien kennt.
Die Unabhängigkeit der Justiz in Polens Verfassung zu schleifen, war in der jüngsten Vergangenheit nur der Höhepunkt einer Reihe weiterer problematischer Entwicklungen. Einschränkungen der Pressefreiheit, Diskriminierung von Schwulen und Lesben und weitere reaktionäre Tendenzen wollen so gar nicht passen in Joe Bidens Kampf der Demokratien gegen die Autokratien dieser Welt.
Die US-Regierung ist sich dessen bewusst. In den Gesprächen mit der polnischen Regierung sind diese Entwicklungen darum auch Thema. Die Hoffnung der Biden-Administration ist, dass der gemeinsame Feind Putin all diese demokratiegefährdenden populistischen Tendenzen auch auf polnischer Seite in den Hintergrund treten lässt. Dass der Wert der eigenen Demokratie auch in Warschau im Angesicht der Gefahr aus dem Osten jetzt sehr viel ernster genommen wird.
Zur Gemeinsamkeit verdammt
Einigkeit klingt nach einer Floskel, aber es ist das, was die US-Regierung mit Joe Bidens Reise nach Europa unbedingt absichern möchte. Denn in Washington sieht man es so: Die Nato soll nicht selbst eingreifen müssen. Also müssen es weiterhin die Waffenlieferungen und die Sanktionen sein, die Putin langfristig, wenn schon nicht zu Fall, zumindest aber zum Einlenken bringen sollen. Das geht jedoch nur, wenn zumindest der Westen extrem konsequent und abgestimmt handelt.
Denn es gibt noch andere wirtschaftsstarke Nationen auf der Welt. Indien, Brasilien und China sind keineswegs auf dem gleichen Pfad gegen Russland unterwegs. Darum müssen zumindest die Nato, die G7, die USA und die EU geschlossen agieren, um eine Wirkung zu erzielen.
Laut der US-Regierung sollen in der Ukraine auf einen russischen Panzer inzwischen 10 bis 15 Panzer-Abwehrraketen kommen. Bis an die Zähne bewaffnet sollen die Ukrainer also mit Unterstützung des Westens, und maßgeblich der USA, sein. Panzer und Flugzeuge seien nicht effizient, weil man die Soldaten damit erst trainieren müsse.
Doch bei solchen Aussagen muss man vorsichtig sein. Immerhin fordert der ukrainische Präsident nach wie vor die polnischen MIG-29, die auch ohne Training geflogen werden könnten. Da der Krieg ohnehin noch lange dauern könnte, wäre es zudem wohl nicht verkehrt, mit einem Panzer-Training eher heute als morgen zu beginnen.
Das Problem ist die Dauer
Je mehr, desto besser, so formulierte es in Warschau letztlich auch der US-Präsident, als er in seiner Rede sagte: "The power of many is greater than the will of any one dictator." Die Macht der Vielen sei stärker als der Wille jedwedes Diktators. Der Applaus für diesen Satz war ihm in Polen an diesem Abend sicher. Wie lange er anhalten wird, darum sorgen sich auch die USA.
Denn so viel kann man aus Hintergründen verraten: Die schwierigste Aufgabe wird es sein, die Bündnisse auch noch morgen und übermorgen zusammenzuhalten. Die aktuelle Aufgabe ist zwar der Krieg in der Ukraine. Aber bereits jetzt muss an die Zeit und an die Weltordnung danach gedacht werden.
Es wird wohl eine Zeit sein, in welcher den Demokratien dieser Welt gar nichts anderes übrig bleibt, als gemeinsam zu handeln. Dazu gehören auch die Pläne, die Verbündeten unabhängig von russischen Energieträgern zu machen. Nur von Autokratien wirtschaftlich weitgehend losgelöste Demokratien können nicht zu Geiseln werden. Im Fall von China dürfte das allerdings noch sehr viel schwieriger umzusetzen sein.
Wie schwer das auch mit den USA gelingen kann, könnte schon ein anderer Präsident oder eine andere Präsidentin zeigen. Dann nämlich, wenn die Kenntnisse über Europa und die Überzeugung, gemeinsam zu handeln, weniger ausgeprägt sind als bei der aktuellen Biden-Regierung.
- Eigene Recherchen vor Ort