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Russlands Krieg gegen die Ukraine: "Putin greift aus bestimmten Grund an"


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Krieg gegen die Ukraine
"Putin greift aus einem sehr bestimmten Grund an"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 24.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Ukraine verhängt Kriegszustand: Der Westen verurteilte den Angriff scharf. (Quelle: reuters)

Erst drohte Wladimir Putin, nun greifen seine Soldaten die Ukraine an. Aber warum? Experte Carlo Masala klärt auf. Und warnt: Die Antwort des Westens fürchtet Russlands Präsident nicht.

t-online: Professor Masala, westliche Politiker reisten scharenweise nach Moskau, um Wladimir Putin zu besänftigen: Nun hat Russland die Ukraine trotzdem angegriffen. Was ist der Grund für diese Aggression?

Carlo Masala: Wladimir Putin greift aus einem sehr bestimmten Grund an: Einfach, weil er es kann. Und er hat seinen Krieg gegen die Ukraine sehr gut vorbereitet. Erst stellte Putin Forderungen an die USA und die Nato, wohl wissend, dass diese nicht erfüllbar waren. Dann ließ er sich von westlichen Politikern hofieren – nur um dann doch den Angriffsbefehl zu geben. Putin hat uns alle mächtig auf den Topf gesetzt, um es einmal bildlich auszudrücken.

Also bestand vonseiten des russischen Präsidenten niemals die Absicht, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen?

Russland wollte keinen diplomatischen Kompromiss – zu dieser Annahme besteht reichlich Grund. Anscheinend nutzte der Kreml die Zeit der Diplomatie nur als notwendigen Vorlauf, um genügend Truppen an der Grenze aufmarschieren zu lassen, die Ukraine gewissermaßen von drei Seiten zu umzingeln und nun angreifen zu können.

Worin besteht aber das konkrete Ziel der russischen Aggression? Will sich Putin die ganze Ukraine holen oder nur einen Teil?

190.000 Mann sind zu wenig, um die gesamte Ukraine dauerhaft zu besetzen. Ich gehe davon aus, dass Putin die Ostukraine vom Rest des Landes abspalten will.

Um unter anderem die 2014 annektierte Krim auf dem Landweg mit Russland zu verbinden?

Genau. Zusätzlich wird Russland versuchen, die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu stürzen. Um hinterher im Idealfall ein prorussisches Regime zu installieren.

Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Der Politikwissenschaftler gibt unter anderem die "Zeitschrift für Internationale Beziehungen" mit heraus, zugleich diskutiert er regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. 2016 ist sein Buch "Weltunordnung. Die globalen Krisen und das Versagen des Westens" erschienen.

Hat die ukrainische Armee eine Chance gegen die Angreifer?

Die Ukrainer sehen sich einer hochgerüsteten russischen Armee gegenüber, die seit 2008 systematisch modernisiert worden ist. Und bei Einsätzen etwa in Syrien auch Kampferfahrung erworben hat. Die ukrainische Armee kann den russischen Vormarsch verzögern, immer wieder Gefechte liefern, aber nennenswerte Verluste kann sie den Russen nicht beibringen.

Wenn der Vormarsch in die Ukraine aber schneller und erfolgreicher verlaufen sollte, als von den russischen Generälen geplant: Wird Putin nicht so viel Land einnehmen, wie nur möglich ist?

Eine Besetzung der gesamten Ukraine halte ich für ausgeschlossen. Selbst, wenn es für Russland erstaunlich gut verlaufen sollte. Um ein Land dieser Größe dauerhaft zu besetzen, wäre Russland etwa auf die Kooperation der ukrainischen Sicherheitskräfte angewiesen. Und das sehe ich nicht. Geschweige denn, dass die ukrainische Bevölkerung die Besatzung gutheißen würde.

Im schlimmsten Fall würden Teile der ukrainischen Bevölkerung einen Guerillakrieg gegen die russischen Besatzer eröffnen, wie es manche westliche Experten für möglich halten.

Das ist der Ukraine und ihren Menschen wirklich nicht zu wünschen. Aus Tschetschenien und Syrien wissen wir, wie die Russen einen Guerillakrieg bekämpfen: mit Flächenbombardements.

Die Nationalsozialisten hatten 1939 vor ihrem Überfall auf Polen noch angebliche polnische Provokationen gegen Deutschland fingiert, um so dem Krieg eine Pseudo-Legitimation zu verleihen. Russland hielt das 2022 beim Angriff auf die Ukraine nicht für nötig. Was sagt das aus?

Eine ganze Menge. Es zeigt vor allem, wie wenig Putin von der internationalen Gemeinschaft hält. Von der Europäischen Union und der Nato ganz zu schweigen. Er hielt es eben nicht einmal für nötig, für die Propaganda einen Pseudo-Grund zu inszenieren. 1939 ist übrigens ein gutes Stichwort: Beim Angriff Russlands auf die Ukraine handelt es sich um den ersten zwischenstaatlichen Angriffskrieg in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

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Tatsächlich kämpfen die beiden flächenmäßig größten europäischen Länder miteinander.

Ja. Und dieser Krieg wird die europäische Friedensordnung schwer beeinträchtigen. Von den internationalen Auswirkungen ganz zu schweigen.

Wird die Welt Putin und Russland damit durchkommen lassen? Oder anders gefragt: Welche Optionen hat der Westen überhaupt, um Putin zu stoppen?

Der Westen kann Putin nicht stoppen. Der russische Präsident weiß sehr gut, dass die Nato militärisch nicht eingreifen wird.

Bleiben neben der internationalen Ächtung noch Sanktionen, die tatsächlich das Adjektiv "hart" verdienen.

Putin wusste sehr genau, was ihm blüht. Oder anders ausgedrückt: Alle Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängen wird, sind längst eingepreist. Der Westen kann jetzt noch so sehr drohen, Putin wird unbeeindruckt bleiben. Was sollte denn noch passieren? Nord Stream 2 ist Geschichte, bevor die Pipeline überhaupt in Betrieb gegangen ist. Stattdessen werden wir demnächst wieder diplomatische Missionen nach Moskau schicken. Die dann versuchen, Frieden zu vermitteln. Aber je erfolgreicher der Krieg für Putin verläuft, desto schwieriger wird es werden.

Hätten die Nato-Staaten die Ukraine denn in der Vergangenheit mehr unterstützen sollen? Die 5.000 Schutzhelme, die die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht den Ukrainern senden wollte, nahmen sich schon damals wie eine Lachnummer aus.

Man hätte der Ukraine sicherlich mehr helfen können. Ob es den russischen Angriff verhindert hätte, ist wiederum fraglich. Vor allem eine Sache aber würde den Ukrainern nun sehr nutzen.

Welche ist das?

Der Westen hätte den Ukrainern Waffen zur Flugabwehr liefern sollen. Es ist eine Binsenweisheit der Kriegsgeschichte: Wer die Luftüberlegenheit besitzt, hat die halbe Miete. Und aller Wahrscheinlichkeit nach hat die russische Armee die ukrainische Flugabwehr in wenigen Stunden ausgeschaltet. Man hätte es den Russen sehr viel schwerer machen können, nun sieht es für die Ukraine schlecht aus.

Ist Wladimir Putin denn eher ein Hasardeur oder ein kühler Rechner, dass er das Risiko eines Krieges eingeht?

Putin ist ein rationaler Denker. Er hat auch wenig zu verlieren. Selbst im schlechtesten Fall kann er sich mit der Eroberung der Ostukraine einen Sicherheitspuffer schaffen, im besten Fall gerät das ganze Land wieder in die Einflusszone Russlands. Europa kann jetzt vor allem eines tun.

Was meinen Sie?

Die humanitäre Katastrophe mildern und den Flüchtlingen helfen, die aller Wahrscheinlichkeit nach kommen werden. Das ist auch Putins Kalkül: Während sich die Staaten der EU um die Flüchtlinge kümmern, haben sie wenig Zeit, gegen Russland vorzugehen. Destabilisierung auf ganzer Linie – darin besteht Putins Ziel.

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Die Sorge in den östlichen Nato-Staaten, insbesondere im Baltikum, vor einer weiteren russischen Aggression in ihre Richtung ist sehr groß.

Putin hat kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit der Nato. Insofern bewerte ich das Risiko für die baltischen Staaten im Augenblick als gering.

Finnland und Schweden sind bislang keine Mitglieder der Nato. Was aber, wenn diese Länder nun einen Aufnahmeantrag stellen würden?

Dann wird es interessant.

Professor Masala, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Carlo Masala via Telefon
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