Krise in Belarus Polen verurteilt Merkels Telefonat als "keinen guten Schritt"
Migranten versuchen seit Wochen die Grenze zu überqueren und von Belarus in die EU zu kommen. Merkel schaltete sich ein. Während Polen ihren Vorstoß verurteilt, nimmt die Bundesregierung sie in Schutz.
Polen hat die Vermittlungsversuche von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron in der Krise um die Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze kritisiert.
Die Regierung in Warschau sei vorab über Merkels Telefonat mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und über Macrons Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin informiert worden, sagte Regierungssprecher Piotr Müller. Er persönlich habe sich über das Gespräch mit Lukaschenko gewundert, denn dies sei "in gewisser Weise die Akzeptanz seiner Wahl", sagte Müller weiter. "Ich verstehe die Situation, aber ich glaube, dass es kein guter Schritt ist."
Bundesregierung verteidigt Merkel-Telefonat
Nach Angaben der Bundesregierung sei das Telefonat von Merkel mit Lukaschenko jedoch mit der Brüsseler EU-Kommission abgesprochen gewesen. "Sie hat dieses Telefonat eng abgestimmt mit der Europäischen Kommission geführt und nach vorheriger Information wichtiger Partner gerade auch in der Region", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, bezeichnete das Gespräch vom Montagabend wiederum als "verheerend". Polens Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski äußerte sich in allgemeinerer Form zum internationalen Engagement in der Krise um die Migranten an der belarussisch-polnischen Grenze.
Vertiefung der Krise befürchtet
"Man muss bedenken, dass eine Internationalisierung sicher nötig ist, aber nicht so, dass man über unsere Köpfe hinweg redet, und solche Vorschläge werden gemacht", sagte der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Sollten die internationalen Bemühungen fehlschlagen, müsse Polen mit einer Vertiefung der Krise und "noch größerer Dreistigkeit unserer Gegner" rechnen, warnte er.
Regierungssprecher Seibert nannte die Lage der Migranten an der Grenze dramatisch. "Um diese besorgniserregende humanitäre Lage für Tausende von Menschen zu verbessern, hat es Sinn, auch mit denen zu sprechen, die in Minsk die Möglichkeiten haben, diese Situation zu verändern – auch wenn es um einen Machthaber geht, dessen Legitimität Deutschland wie alle anderen europäischen Mitgliedsstaaten nicht anerkennt." Die Kanzlerin habe in dem Gespräch bekannte EU-Positionen vertreten.
Erstes Gespräch seit Wahl in Belarus
Merkel hatte am Montagabend angesichts der Not der Migranten mit Lukaschenko telefoniert. Nach einem Bericht des belarussischen Staatsfernsehens dauerte das Gespräch etwa 50 Minuten. Es war Merkels erstes Gespräch mit dem Machthaber seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August vergangenen Jahres in Belarus.
Die EU erkennt Lukaschenko nicht als Präsidenten an. Hintergrund sind massive Betrugsvorwürfe bei der Wahl sowie das Vorgehen der belarussischen Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten und die Zivilgesellschaft.
Nachtlager in Lagerhalle eingerichtet
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt harren Tausende Migranten seit mehreren Tagen an der Grenze in provisorischen Camps aus. Lukaschenko hat nach Angaben der belarussischen Staatsagentur Belta angeordnet, in den Lagerstätten eines Logistikunternehmens in der Region Grodno nahe der Grenze ein Nachtlager einzurichten. Die EU beschuldigt Lukaschenko, in organisierter Form Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck zu machen. Vermutet wird, dass er sich damit für Sanktionen der EU rächen will.
Die polnische Regierung rechnet nicht mit einer schnellen Beilegung des Flüchtlingsandrangs an der Grenze zu Belarus. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze nicht schnell gelöst wird", sagte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak. "Wir müssen uns auf Monate einstellen. Ich hoffe, nicht auf Jahre", sagte Blaszczak weiter.
In der vergangenen Nacht hätten Migranten erneut "die polnische Grenze angegriffen". Dabei seien sie genauso vorgegangen wie am Vortag. Am Dienstag war es zu verschärften gewalttätigen Auseinandersetzungen an der Grenze gekommen. Die polnischen Sicherheitskräfte setzten nach eigenen Angaben Tränengas und Wasserwerfer gegen Flüchtlinge ein, nachdem sie aus deren Reihen mit Steinen beworfen worden waren.
Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit habe sich auf die Ereignisse am Grenzübergang Kuznica konzentriert, kleinere Gruppen von Migranten hätten aber auch in anderen Bereichen versucht, die polnische Grenze zu "durchbrechen", auch in der Nacht, sagte der Verteidigungsminister weiter.
"Zwei gewaltsame Versuche am Abend"
Der polnische Grenzschutz zählte nach eigenen Angaben am Dienstag 161 Versuche illegaler Grenzüberquerungen, darunter "zwei gewaltsame Versuche am Abend". Nach Polizeiangaben vom Mittwoch wurden am Dienstag neun Polizisten, ein Grenzschützer und ein Soldat verletzt.
Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, absichtlich Flüchtlinge ins Grenzgebiet zur EU zu schleusen, um sich für frühere Sanktionsbeschlüsse der Europäischen Union zu rächen. Minsk weist diese Anschuldigung zurück.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP