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Flüchtlinge in Bosnien: "Das ist ein klares Zeichen: Wir wollen euch nicht"


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Flüchtlinge in Bosnien
"Das ist ein klares Zeichen: Wir wollen euch nicht"

  • Philip Friedrichs
InterviewVon Camilla Kohrs und Philip Friedrichs

31.01.2021Lesedauer: 5 Min.
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Humanitäre Katastrophe: Diese Aufnahmen von Mediziner Gerhard Trabert zeigen, wie desolat die Umstände sind, in denen Tausende Flüchtlinge derzeit in Bosnien ausharren. (Quelle: t-online)

Keine winterfesten Unterkünfte, kaum medizinische Versorgung: Die Lage der Migranten in Bosnien ist eine Katastrophe, sagt der Arzt Gerhard Trabert. Im Interview erzählt er, was er dort erlebt hat – und welche Verantwortung die EU trägt.

Eigentlich wollten sie in die EU: Bis zu 2.500 Migranten sind nach Angaben der Vereinten Nationen in Bosnien in einer desolaten Lage. Mehrere Hundert harren in dem bosnischen Camp Lipa aus, das vor etwa einem Monat teilweise abbrannte. Auch um das Lager herum, etwa in der Stadt Bihać, leben Geflüchtete in Abrisshäusern und leerstehenden Hallen. Die EU ist unzufrieden, wie das arme Bosnien die Situation händelt und macht Druck auf die Behörden des Landes.

Gerhard Trabert, Arzt und Professor für Sozialmedizin, ist mit einem kleinen Team dorthin gereist, um die Geflüchteten zu behandeln. Im Interview mit t-online berichtet er von illegalen Pushbacks, der Verantwortung der EU und woran die Menschen vor allem leiden.

t-online: Sie fahren seit mehr als 20 Jahren in Krisenregionen, haben schon oft Geflüchtete versorgt. Was hat Sie an der Situation in Bosnien besonders schockiert?

Gerhard Trabert: Ich habe selten so viele desolate, versprengte Unterkünfte gesehen. Die Menschen leben in Ruinen, in Abbruchhäusern, im Wald. Nach dem Brand im Lipa-Camp und wegen der menschenunwürdigen Lage dort allgemein, gibt es sehr viele Menschen, die versuchen, irgendwo anders unterzukommen. Etwa 60 bis 70 Menschen leben beispielsweise in Bihać in einer Fabrikhalle, die abbruchreif ist, eine andere Gruppe von 100 Menschen war in einem Altersheim-Rohbau ohne Türen und ohne Fenster.

Es gibt kaum Versorgungsstrukturen, viele Geflüchtete werden medizinisch überhaupt nicht versorgt. Ab und zu mal werden Decken gespendet und ab und zu gibt es etwas zu essen und zu trinken. Das ist eine Katastrophe. Es ist unheimlich kalt dort, mit Minusgraden in der Nacht. Die Menschen versuchen sich an offenen Feuerstellen zu wärmen. In diesen Fabrikhallen und Ruinen haben wir die Menschen dann medizinisch behandelt.

Nicht weit von Bihać ist das Camp Lipa. Wieso bleiben die Migranten lieber in den Fabrikhallen als dorthin zu gehen?

Der Allgemeinarzt Gerhard Trabert versorgt seit mehr als 20 Jahren immer wieder Menschen in Krisengebieten. In Mainz richtete er 2013 die "Ambulanz ohne Grenzen" ein, in der Wohnungslose kostenfrei behandelt werden. Trabert ist Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule Rhein-Main und Autor mehrerer Fachbücher. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet.

Wir haben einmal eine EU-Delegation in das Lager begleitet, ohne Genehmigung durften wir da ja eigentlich nicht rein. In dem Lager leben etwa 700 bis 800 Menschen, und auch dort ist die Versorgung katastrophal. Die vom Militär aufgestellten Zelte sind nicht dicht, es gibt zwar Dixi-Klos, aber keine Duschen und auch Trinkwasser, Lebensmittel und Medikamente sind knapp.

Lipa liegt dazu in einem absolut lebensfeindlichen Raum, auf einer Anhöhe am Wald, umgeben von nichts. Die nächste Stadt ist zu Fuß einen halben Tagesmarsch entfernt. Das ist ganz ähnlich wie auf Lesbos, der griechischen Insel, auf der das Moria-Camp 2.0 liegt. Direkt am Meer, da regnet es auch in die Zelte hinein. Das ist ein klares Zeichen: Wir wollen euch nicht.

Sie mussten Bosnien nach einer Woche verlassen. Auf welche Probleme sind Sie vor Ort gestoßen?

Wir haben versucht, eine Genehmigung zu bekommen und auch kooperiert mit der bosnischen Organisation SOS Bihać, die sich für uns bei den bosnischen Behörden eingesetzt hat. Aber mein Team und ich haben keine Arbeitserlaubnis bekommen. Wir haben dann einfach illegal gearbeitet. Die Legitimation ziehe ich aus der Verpflichtung als Arzt, Menschen in Not zu helfen. Wenn es da keine Versorgung gibt, ist das meine Legitimation. Allerdings drohte uns die Ausweisung, deshalb sind wir vorerst wieder abgereist.

Wie geht es nun weiter?

Die deutsche Botschafterin in Bosnien hat uns ihre Unterstützung hinsichtlich des Erhalts einer offiziellen Arbeitsgenehmigung zugesagt. Das könnte einige Monate dauern. Ich hoffe aber, dass wir in drei bis vier Wochen wieder dort sein können. Wir wollen dann ein Arztmobil mit einem festen Team nach Bihać bringen, das durch wechselnde Krankenschwestern und Ärzte unterstützt wird.

Woran leiden die Geflüchteten vor allem?

Die Menschen haben häufig Skabies, also Krätze. Viele haben sich die stark juckenden Hautstellen aufgekratzt, dann kommt es zu Superinfektionen, sodass wir Antibiotika einsetzen mussten. Dann gibt es viele Menschen mit Wunden, die sie sich beim Versuch in die EU zu gelangen, an der Grenze zu Kroatien zugezogen haben. Es gibt viele Belege mittlerweile, dass die Kroaten die Menschen zurückdrängen. Andere wurden von streunenden Hunden gebissen. Das ist höchst problematisch, weil in so einer Wunde viele Keime sind.

Dazu kommen die "normalen" Krankheiten: Atemwegsinfektionen, Erkrankungen der Verdauungsorgane. In so einer extremen Stresssituation zu leben, wirkt sich auch auf die psychische Situation aus: Die Menschen sind frustriert, deprimiert, teilweise depressiv. Einige leben schon Jahre in diesen Abbruchhäusern.

Welche Rolle spielt Corona?

Das lässt sich kaum beantworten, weil dort nicht getestet wird. Die gesundheitliche Lage ist aber insgesamt schwierig, auch für die bosnischen Einwohner. Das örtliche Krankenhaus ist seit dem Erdbeben vor kurzem schwer beschädigt und nicht mehr betriebsfähig. Ich habe selbst die Risse in den Wänden gesehen. Das soll nun abgerissen und neu aufgebaut werden. Also kann auch die Zivilbevölkerung derzeit nicht ausreichend medizinisch versorgt werden. Wer dort erkrankt und einen schweren Verlauf hat, der stirbt.

Die Menschen wollten eigentlich nicht nach Bosnien, sondern in die EU. Müssen die EU-Staaten Bosnien stärker unterstützen?

Die EU schiebt die Verantwortung auf die bosnischen Behörden. Sie gibt Bosnien zwar Geld, aber das reicht nicht, da die Geldtransferwege nicht transparent sind. Das muss kritisiert werden, aber auch die EU hat eine konkrete Verantwortung. Ich denke, eine Soforthilfe in Form von Lebensmittellieferungen und medizinischer Versorgung wäre sinnvoll. Außerdem müsste die UN die Koordination der Hilfsangebote übernehmen.

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Hinzu kommt, dass die Kroaten immer wieder an illegalen Pushback-Aktionen beteiligt sind, also die Menschen, die versuchen in die EU zu kommen, teilweise mit Gewalt zurückdrängen. Das ist laut EU-Recht nicht erlaubt. Hier versagt die europäische Staatengemeinschaft. Die Betroffenen selbst nennen das übrigens "Game", also Spiel. Manche haben es schon zehnmal versucht und sind zehnmal wieder zurückgekommen, andere haben es wohl dann in die EU geschafft. Uns wurde aber auch berichtet, dass es dort in den Wäldern Bären und Wölfe gibt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Menschen deswegen auf dem Weg zur Grenze umgekommen sind.

Was erwarten Sie von der EU?

Unsere Forderung ist ganz klar, die Menschen von dort zu evakuieren und in der EU zu verteilen. Die Geflüchteten sind in einer desolaten Situation, die bosnischen Behörden größtenteils überfordert. Wir können nicht auf eine gesamteuropäische Lösung warten, die es sowieso so bald nicht geben wird. Wir brauchen dringend ein Bündnis der Willigen mit den EU-Staaten, die die Menschen aufnehmen. Und Deutschland muss da als eines der reichsten EU-Länder eine Vorreiterrolle übernehmen.

Ich teile auch nicht die Angst, dass es eine Sogwirkung hätte. Das Argument wird ja auch bei der Seenotrettung immer wieder angebracht, eine Studie von der University of Oxford hat das schon längst widerlegt. Die Menschen kommen nicht zu uns, weil bei uns das Paradies ist, sondern in ihrer Heimat die Hölle.

Herr Trabert, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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