Äthiopische Flüchtlinge im Sudan "Wir sind in Todesangst davongelaufen"
Zehntausende Menschen sind vor Kämpfen aus der Tigray-Region im Norden Äthiopiens geflohen – viele von ihnen in ein überfülltes Flüchtlingslager im Sudan. Trotz der elenden Zustände will kaum jemand zurück.
Im Flüchtlingslager Um Rakuba sind die Bilder wieder da. Bilder, die die Welt längst vergessen glaubte: Verhärmte Gesichter weinender äthiopischer Mütter und ihrer ausgemergelt wirkenden Kleinkinder, wie sie einst Bob Geldof und andere Musiker zu Benefizkonzerten animierten.
An der Grenze zwischen dem Sudan und Äthiopiens Tigray-Region hoffen Zehntausende Flüchtlinge auf Unterstützung – Helfer schätzen ihre Zahl auf knapp 50.000 Menschen. Viele davon berichten von Hunger und Entbehrung, von Angst und Verzweiflung. Die meisten flohen nur mit den Kleidern am Leib.
In Äthiopien herrscht ein blutiger Konflikt. Die Zentralregierung hatte vor fast einem Monat eine Offensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) gestartet und sie inzwischen für beendet erklärt. Hintergrund des Konflikts sind Spannungen zwischen der Region und der Zentralregierung. Die TPLF dominierte Äthiopien mehr als 25 Jahre lang, wurde aber seit 2018 von Ministerpräsident Abiy Ahmed zunehmend rausgedrängt. Viele Menschen in Tigray fühlen sich von der Zentralregierung nicht vertreten und fordern mehr Autonomie.
Auffanglager im Sudan stark überfüllt
"Wir sind in Todesangst davongelaufen, ohne etwas mitzunehmen", schluchzt Spara Abra. Hals über Kopf war der 34-Jährige aus der Stadt Birkuta geflohen – einem Ort in der Tigray-Region, die wegen der Kämpfe dort wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten war. Ja, sagt er, unterwegs habe er auch Leichen gesehen, nachdem äthiopische Kampfjets die Ortschaften bombardiert hatten. Um nicht selbst ins Visier von Militärpiloten zu geraten, sei er über unwegsame Pfade zwischen Wäldern und Bergen in die Grenzstadt Hamdayit geflohen, berichtet er Helfern und Journalisten in dem Lager.
Auch nach den offiziell für beendet erklärten Kämpfen in Tigray kamen vereinzelt noch Flüchtlinge im Nachbarland Sudan an. Hamdayit, aber auch Hashaba oder Al-Lukdi heißen die Grenzübergänge, über die sich Flüchtlinge wie die 27-jährige Asha Denier nach eigenen Angaben in Sicherheit brachten. Auf sudanesischem Gebiet wurden sie zunächst von der dortigen Bevölkerung, später dann von Hilfsorganisationen in Erstaufnahmelagern in Empfang genommen und mit dem Nötigsten versorgt, bevor es weiterging ins Flüchtlingslager Um Rakuba.
Aus dem Nichts entstand dort nach sudanesischen Angaben ein Lager für rund 12.000 Flüchtlinge. "Die humanitäre Situation in den Lagern ist aktuell sehr prekär, denn trotz erhöhter Aufnahmekapazitäten sind sie durch den großen Zustrom von Menschen stark überfüllt", teilte das Deutsche Rote Kreuz am Mittwoch mit. Es ist vor Ort und engagiert sich in Hamdayit und Um Rakuba beim Bau von Gemeinschaftsunterkünften und -küchen sowie der Errichtung sanitärer Anlagen. Hinzu kommt die Vermittlung von Hygienemaßnahmen, auch zur Covid-19-Eindämmung.
Viele haben tagelang nichts gegessen
Viele Flüchtlinge sind hilflos, haben tagelang nichts gegessen und hatten auch kaum Kontakt zu ihren Familien. "Ich bin mit meiner Tochter losgerannt, als mein Ehemann noch auf dem Markt war", sagt Asha Denier, die aus dem Ort Hamra geflohen ist und sich von der Welt verlassen fühlt. Fluchtauslöser waren plündernde Gruppen der amharischen Volksgruppe, sagt sie.
Sie seien zum Teil mit Stöcken und Messern bewaffnet plündernd über Bewohner ihres Heimatortes hergefallen und hätten auch ihr Haus nicht verschont. "Die Amharen plünderten unsere Farmen, und die äthiopische Armee bereitete ihnen den Weg", klagt der ebenfalls aus Hamra stammende 72-jährige Khabri Ziyad. "Sie nahmen mir 400 Sack Sesam und den Traktor weg", klagt er.
Kaum einer denkt an Rückkehr
Trotz der Zusicherung des äthiopischen Regierung, dass die Kämpfe vorüber seien, denkt kaum jemand in den Flüchtlingslagern vorerst an eine Rückkehr. Viele der Flüchtlinge wie der Bankkaufmann Abari Samet äußern sich verbittert über die Regierung in Addis Abeba. Der 31-Jährige aus dem Ort Bar Kota beschuldigt sogar Soldaten, Menschen aus Tigray teilweise gewaltsam an der Flucht gehindert zu haben.
Hilfsorganisationen hörten nicht auf, vor einer sich anbahnenden humanitären Katastrophe zu warnen. Die äthiopische Regierung lenkte schließlich ein und vereinbarte mit den Vereinten Nationen, dass wichtige Hilfe für Millionen Menschen in Tigray geliefert werden kann – einschließlich der Flüchtlinge, hatte der Leiter des Norwegischen Roten Kreuzes (NRC), Jan Egeland, erklärt. Die Menschen hätten nun mehr als einen Monat lang ohne jegliche Hilfe ausgeharrt.
- Nachrichtenagentur dpa