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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Diskussion um Libyen-Mission "Die Bundeswehr ist dazu in der Lage"
Nach der Einigung beim Libyen-Gipfel in Berlin wird über eine Entsendung von Bundeswehr-Soldaten debattiert. Der Politikwissenschaftler Stephan Stetter sieht Deutschland und die Europäer sogar in der Pflicht.
Der Bundesregierung ist bei der Libyen-Konferenz am Sonntag in Berlin durchaus Bemerkenswertes geglückt. Nachdem bald zehn Jahre lang fast ausschließlich die Waffen sprachen und immer mehr internationale Akteure den Konflikt in dem nordafrikanischen Land weiter anheizten, scheint es nun so etwas wie eine Perspektive für ein Ende der Gewalt zu geben. Im neun Seiten langen Abschlussdokument haben sich die Unterzeichner zum 2011 verhängten Waffenembargo bekannt. Auch wollen sie sich aus dem Bürgerkrieg künftig heraushalten, sowie die derzeit herrschende Waffenruhe in einen dauerhaften Waffenstillstand überführen.
Freilich stellt sich nun die Frage, wie man diese Ziele in die Tat umsetzen kann. Schon vor der Tagung hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eine Entsendung deutscher Soldaten nach Libyen ins Spiel gebracht. Wenngleich Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag auf die Bremse trat und vor überstürzten Beschlüssen warnte, wusste die Ministerin und CDU-Chefin doch jene Stimmen auf ihrer Seite, die nach der diplomatischen Libyen-Offensive Berlins nun gleichsam eine aktive Rolle vor Ort einforderten.
So sieht es auch der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Stephan Stetter von der Bundeswehr-Universität in München. "Deutschland und insbesondere Europa stehen in der Pflicht", sagte Stetter zu t-online.de. "Es kann ja nicht in unserem Sinne sein, dass wir die Regelung der Konflikte in unserer Nachbarschaft allein der Türkei und Russland überlassen. Deshalb muss sich Europa hier stärker beteiligen."
Dass die EU nun mehr oder weniger zum Handeln gezwungen ist, hängt auch mit ihrem Versagen nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi zusammen. 2011 bombten europäische, arabische und amerikanische Jagdbomber al-Gaddafi von der Macht. Doch statt anschließend beim Aufbau einer neuen Ordnung zu helfen, verloren die Europäer Libyen aus den Augen, und nahmen allenfalls zur Kenntnis, wie vor ihrer Haustür ein Land im Chaos versank.
Schon damals ging ein Riss durch Europa, denn Deutschland blieb bei den Angriffen außen vor. Eine gemeinsame Sprache in Sachen Libyen hat man bis heute nur in Ansätzen erlangt, wie auch Stetter erklärt: "Die Europäer sprechen in Libyen nur partiell mit einer Stimme, etwa wenn es um die Mission zur Ausbildung der libyschen Küstenwache geht. Bei der Frage der Unterstützung für eine der Konfliktparteien sieht es hingegen ganz anders aus. Da hat sich Frankreich hinter den abtrünnigen General Chalifa Haftar gestellt, während Italien Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch und die Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis unterstützt. Wenn es eine breite Mission unter europäischer Führung gäbe, könnte das auch helfen, das Auseinanderdriften der EU-Partner zu verhindern."
Seibert: Frage nach Militäreinsatz stellt sich noch nicht
Im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt übte man am Montag – anders als zuvor im Verteidigungsministerium – Zurückhaltung. Vor einer Entscheidung über eine Mission zur Überwachung des Embargos und des Waffenstillstands müsse man zunächst den weiteren Verlauf des Friedensprozesses abwarten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Erst dann stelle sich die Frage, "wie ein solcher Waffenstillstand überwacht werden kann".
Die Grünen und die FDP zeigten sich grundsätzlich offen für Beratungen über einen Einsatz. Der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff schränkte in den Funke-Zeitungen zugleich ein, ein Einsatz sei "nur denkbar, wenn es einen gut strukturierten politischen Prozess zur Befriedung des Landes gibt".
Dieser Ansicht ist auch Stetter: "Eine solche Mission ist sicher durchsetzbar. Sie kann gelingen, wenn der militärische Ansatz mit dem politischen und dem entwicklungspolitischen ineinandergreift. Voraussetzung für einen dauerhaften Waffenstillstand etwa ist eine Entwaffnung aller Konfliktparteien. Nur dann hätte ein politischer Prozess mit dem Ziel einer Nachkriegsverfassung eine wirkliche Chance. Im Nachbarland Tunesien hat man ja gesehen, wie so ein Weg erfolgreich beschritten werden kann."
Kann die Bundeswehr ein weiteres Mandat tragen?
Eine militärische Beteiligung Deutschlands in einem solchen Prozess würde der Bundeswehr einen Kraftakt abverlangen. So mahnte etwa der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), in der "Augsburger Allgemeinen", dass die Bundeswehr durch Einsätze etwa in Mali oder Afghanistan ohnehin schon stark beansprucht sei, und eine Friedensmission in Libyen die Belastung weiter erhöhen würde.
Für Stetter ist deshalb eine breite Aufgabenverteilung und gute Absprache unter den Europäern unabdingbar. "Die Bundeswehr ist durchaus in der Lage, sich in eine solche Mission einzubringen. Damit das in Libyen aber funktionieren kann, braucht es eine gemeinsame europäische Kraftanstrengung. Niemand kann die Anforderungen, die dort warten, allein meistern. Aber jedes Land hat Ressourcen, die es einbringen kann. Die Frage wird sein, ob es gelingt, die notwendige Bandbreite an Fähigkeiten abzubilden und zu bündeln."
Drei Optionen in der Diskussion
In Brüssel werden derzeit vor allem drei Optionen zur Umsetzung der Beschlüsse des Libyen-Gipfels diskutiert. Schon vor dem Treffen hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell eine bewaffnete EU-Mission ins Gespräch gebracht. Die Union müsse bereit sein, "bei der Umsetzung und der Überwachung [eines] Waffenstillstandes zu helfen – eventuell auch mit Soldaten, etwa im Rahmen einer EU-Mission", sagte er. Einige Mitgliedsländer äußerten sich jedoch skeptisch. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sagte, einen Militäreinsatz in Libyen müsse sich die EU "sehr gut überlegen". Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn forderte, zuerst müssten die UN entscheiden, "ob sie eine Friedensmission einsetzt".
Außenminister Heiko Maas wiederum dachte im ZDF über eine Beobachtermission nach. Es müsse bei der Kontrolle eines dauerhaften Waffenstillstands in Libyen "nicht gleich um Militäreinsätze" gehen, sagte er. Ob sich eine zivile Beobachtermission für die unberechenbare Lage in Libyen eignet, ist aber fraglich.
Eine dritte Option wäre die Wiederbelebung der Marinemission "Sophia". Sie war 2015 eigentlich zum Kampf gegen Schmuggel und Menschenhandel beschlossen worden, diente aber auch zur Überwachung des UN-Waffenembargos von See aus. Allerdings wurden im Frühjahr 2019 alle Schiffe von der Mission abgezogen, weil Italien sich weigerte, Boote mit Flüchtlingen in seine Häfen zu lassen.
Wie sich am Montag abzeichnete, könnte "Sophia" schon bald eine Neuauflage erleben. Das Mandat der Mission solle nicht geändert, aber auf die Durchsetzung des Embargos fokussiert werden, sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell nach einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel.
Nach Ansicht von Politikwissenschaftler Stetten kann das aber nur ein erster Schritt sein. Er sagt: "Sophia" allein werde nicht reichen. "Es braucht in Libyen eine zivil-militärische Mission, die Fragen zum Umgang mit Flüchtlingen und Menschschmuggel ebenso aufgreift, wie jene zur Ausbildung der Marine, zur wirtschaftlichen Entwicklung oder zur Rohstoffförderung. Europa wird nicht umhinkommen, sich stark zu beteiligen. Was passiert, wenn man das nicht tut, sieht man ja gerade in Libyen."
- Eigene Recherchen
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters