US-Sanktionen in Kraft Das Politikum Nord Stream 2: Worüber wird überhaupt gestritten?
Streit um die Gas-Pipeline Nord Stream 2: Warum ist das Projekt für Europa, Deutschland und Russland so wichtig? Und warum sind die USA und die Ukraine so erzürnt? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Mit aller Macht wollen die USA die für rund zehn Milliarden Euro schon fast fertig gebaute Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 noch stoppen. Sanktionen sollen das Großvorhaben, mit dem Russland seinen Einfluss auf dem europäischen Energiemarkt ausbaut, auf den letzten Metern verhindern. Milliarden wären verloren. Einige Fragen und Antworten:
Wie die umstrittene Ostsee-Pipeline aussieht und was die jüngst beschlossenen US-Sanktionen auslösen, sehen Sie oben im Video.
Können die US-Sanktionen Nord Stream 2 und andere russische Pipeline-Projekte denn noch stoppen?
Das Betreiberkonsortium Nord Stream 2 hat nach den von US-Präsident Donald Trump unterzeichneten Sanktionen erklärt, dass der Bau mit den Partnern fortgesetzt werden solle. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am Sonntag in einem Fernsehinterview, dass Nord Stream 2 fertig gebaut werde. Zudem werde Russland den USA gebührend antworten auf die Strafmaßnahmen. Wie genau, ist noch unklar. Aber Lawrow reagierte gewohnt gelassen und sagte, dass auch die ebenfalls im Sanktionspapier erwähnte türkische Leitung Turk Stream eh schon fertig sei. Künftige Projekte dürften es dennoch schwerer haben.
Wie weit ist das Vorhaben – und wie wäre es zu retten?
Die Schweizer Spezialfirma Allseas, die die Röhren am Boden der Ostsee verlegt, hat zwar ihre Arbeiten vorübergehend eingestellt. Der größte Teil ist aber fertig. Mehr als 2.100 Kilometer Doppelstrang sind verlegt. Es fehlen noch etwa 300 Kilometer. Das russische Verlegeschiff "Fortuna" etwa, das in Mukran auf Rügen liegt, könnte nun ablegen. Es arbeitet russischen Medien zufolge aber langsamer – und erfüllt wohl für den Streckenbereich in Dänemark nicht die dort vorgeschriebenen technischen Voraussetzungen. Russland hat aber noch ein anderes Schiff, das die Bedingungen erfüllt. Die Russen gehen davon aus, dass nun allenfalls alles länger dauert. Zur Jahresmitte soll das Gas fließen.
Was haben Deutschland und Russland von der Leitung?
Für Berlin und Moskau ist die Ostseepipeline gleichermaßen wichtig. Beide Seiten erinnern immer wieder daran, dass Russland schon zu Zeiten des Kalten Krieges zuverlässig Gas geliefert habe. Deutschland und Europa brauchen das russische Gas, um bei Energiepreisen wettbewerbsfähig zu sein. Zudem wächst gerade in Deutschland der Energiehunger wegen des Ausstiegs aus der Kohle- und der Atomenergie. Die Rohstoffgroßmacht Russland wiederum ist abhängig von den Einnahmen aus dem Gasverkauf, weil sich der Staatshaushalt dort zu großen Teilen aus den Rohstoff-Devisen speist.
Und warum sind die Amerikaner und viele europäische Staaten dagegen?
Nord Stream 2 lehnen sowohl US-Präsident Donald Trump als auch die Republikaner und die Demokraten im Kongress ab. Sie argumentieren, dass sich Deutschland in Abhängigkeit von Russland begeben würde und dass der Kreml seinen Einfluss mit der Pipeline ausbaut. Trump warnte bereits vor Monaten, Deutschland könnte mit der Pipeline zur "Geisel Russlands" werden.
Kritiker verweisen allerdings darauf, dass die USA ihr eigenes Flüssiggas in Europa verkaufen wollen – das teurer als das russische Pipeline-Gas ist. EU-Staaten wie Polen stehen fest an der Seite der USA. Sie hoffen auf eine Schwächung Russlands durch den Wegfall der Devisen. Die Ukraine ist gegen Nord Stream 2, weil sie dadurch als wichtigstes Transitland für die EU an Bedeutung sowie Milliarden an Durchleitungsgebühren verliert.
Wie genau sehen die Strafmaßnahmen in dem US-Gesetz aus?
Die Sanktionen im "Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit" zielen auf die Betreiberfirmen der hoch spezialisierten Schiffe ab, mit denen die Rohre für die Nord-Stream-2-Pipeline durch die Ostsee verlegt werden. Personen, die solche Schiffe zur Verfügung stellen, werden mit einer Einreisesperre belegt. Besitz und Vermögenswerte der betroffenen Personen und Firmen in den USA werden eingefroren, das betrifft auch Schiffe in US-Hoheitsgewässern. Die betroffenen Unternehmen werden außerdem nicht nur von Geschäften in den USA ausgeschlossen, sondern auch vom US-Finanzsystem.
Ab wann gelten die Sanktionen?
US-Präsident Donald Trump hat das Gesetz am Freitag unterzeichnet, damit trat es auch in Kraft. Zwar muss die US-Regierung dem Kongress erst nach 60 Tagen einen Bericht vorlegen, in dem Firmen und Personen genannt werden, gegen die Sanktionen verhängt werden. Die Maßnahmen gelten dann aber rückwirkend. US-Senator Ted Cruz – der das Gesetz einbrachte – warnte den Schweizer Offshore-Pipelinespezialisten Allseas davor, die Arbeiten an Nord Stream 2 auch nur für einen einzigen Tag nach Unterzeichnung des Gesetzes fortzuführen. Eine 30-tägige Übergangsfrist gilt nur, wenn Unternehmen überzeugend darstellen, dass sie ihre Arbeiten an dem Projekt abwickeln.
Zeigt das Gesetz Wirkung?
Die Aufregung international ist groß. Deutschland kritisiert die USA wegen des Eingriffs in seine Energiepolitik. Die Sanktionen sind eine Belastungsprobe für das deutsch-amerikanische Verhältnis. Russland droht mit Gegensanktionen. Und ganz konkret kündigte die Firma Allseas an, die Arbeiten auszusetzen. Sie werde im Einklang mit dem Sanktionsgesetz innerhalb der Übergangsfrist die Arbeiten an dem Projekt abwickeln und erwarte dazu Orientierungshilfe der zuständigen US-Behörde – bestehend aus nötigen regulatorischen, technischen und ökologischen Klarstellungen.
Wie abhängig ist Europa vom russischen Erdgas?
Europa ist für Russland – trotz zunehmender Ausrichtung nach China – weiterhin der mit großem Abstand wichtigste Exportmarkt für Gas. Russlands Monopolist Gazprom, das größte Gasunternehmen der Welt, lieferte im vergangenen Jahr 201,8 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa. Das entsprach nach Gazprom-Angaben einem Anteil von 36,7 Prozent. Für Deutschland dürfte der Anteil nach Branchenschätzungen höher sein. Große Gas-Mengen bezieht Deutschland aber auch aus den Niederlanden und aus Norwegen.
- Nachrichtenagentur dpa