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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Klimakonferenz in Madrid Deutschland enttäuscht die Welt
Großes wurde erwartet von der UN-Klimakonferenz. Einen Tag vor dem Ende sieht es nicht gut aus für das Klima und die Welt. Schuld daran ist auch Deutschland.
Die UN-Klimakonferenz in Madrid neigt sich dem Höhepunkt entgegen. Doch am Donnerstagmittag – einen Tag bevor große Lösungen für das größte Problem unserer Zeit präsentiert werden sollen – plätschert die Stimmung auf dem Klimagipfel vor sich hin. Die Schlangen an den kostenlosen Kaffeebars der Länderpavillons sind lang. Es wird oberflächlich geplaudert.
Auch wenn die Delegierten in der Zeit verhandeln, sind die Szenen symptomatisch. "Tiempo de actuar" – Zeit zu handeln – ist das Motto der Weltklimakonferenz. So richtig will die Euphorie für die Rettung der Welt aber nicht überschwappen. Einen Tag bevor es vorbei sein soll, bevor es konkrete Ergebnisse geben soll, fühlt sich die Veranstaltung an wie eine Tourismusmesse.
Deutschlands Klimapaket enttäuscht in Madrid
Deutschland präsentiert sich in einer luftigen Installation aus hellem Holz, dazu Cremetöne. Junge spanische Baristas kredenzen den Gästen Kaffee in kleinen hippen Papierbechern – recyclebar natürlich. So wie der Pavillon aussieht, soll auch die deutsche Klimapolitik wirken: modern, geradlinig, am Nabel der Zeit. Doch während der Pavillon der Bundesrepublik sich großer Beliebtheit erfreut, auch weil er viele Sitzgelegenheiten bietet, kommt die deutsche Klimapolitik in Madrid nicht so gut an.
Deutschland präsentiert sich in der Welt gerne als Vorreiter. Doch in Spanien enttäuscht das Klimapaket, von dem nicht einmal die Bundesumweltministerin wirklich überzeugt zu sein scheint. In der Kritik stehen vor allem der geringe CO2-Preis und der späte Kohleausstieg 2038. Zwar wiederholt sie immer wieder, dass Deutschland wichtige Schritte nehme, aus Kohle- und Atomenergie aussteige und dabei auf soziale Gerechtigkeit setze. Darüber hinwegtäuschen, dass das Klimapaket mehr als unambitioniert ist, kann sie trotzdem nicht.
Denn Deutschland spricht in Madrid nicht in erster Linie zu Deutschen. Sondern zu fast 200 Ländern, von denen viele längst von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Länder, in denen Stürme und extreme Regenfälle große Zerstörungen angerichtet haben, in denen Seuchen ausgebrochen und unzählige Menschen gestorben sind.
Deutschland spricht in Madrid auch nicht zu den Industrienationen, die maßgeblich für klimaverändernde Emissionen verantwortlich sind. Dadurch kann Deutschland sich hier nicht als Besserer unter den Schlimmen verkaufen.
Der Einfluss der Treibhausgase auf das Klima ist Fakt
So steht beispielsweise die Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl an einem der stylischen Kaffeetische und unterhält sich mit Vertretern aus dem Senegal. Immer wieder fällt der Satz, vor dem alle hier Angst haben: "It is too late" – es ist zu spät. Sie tauschen sich über sichtbare Veränderungen in den letzten Jahrzehnten aus. Etwa über den Zustand des Victoriasees. Ihre ratlosen Mienen stehen beispielhaft für die Gesichter vieler auf dem Messegelände in Madrid.
Die Fakten kennt hier jeder. Niemand stellt infrage, dass die Emissionen einen enormen Einfluss auf das Leben auf diesem Planeten haben. Den Teilnehmern ist bekannt, dass Treibhausgase – allen voran CO2 und Methan – Sonnenwärme daran hindern, aus der Atmosphäre zu gelangen, und sich so die weltweite Temperatur erhöht. Die Teilnehmer wissen, dass der menschliche Anteil an den Treibhausgasen insgesamt zwar gering ist, dass er das Klimagleichgewicht dennoch massiv stört. Wenn die Emissionen nicht gesenkt werden, wird das verheerende Folgen haben – auch für Deutschland. Nämlich dann, wenn das Klima noch mehr Flüchtlinge in Bewegung setzt, weil ganze Länder unbewohnbar werden.
Auf die üblichen Vorreiter, das wird in Madrid deutlich, kann und will sich in Sachen Klimaschutz niemand verlassen. Greta Thunberg warf den Politikern, auf die es jetzt ankäme, "Irreführung statt Führung" vor. Sie würden so tun als würden sie handeln, aber es würde nicht genug passieren. Ihre Kritik zielt auch auf die Klimapläne der Bundesrepublik ab.
Die Klimakrise aber ist die größte Herausforderung unserer Zeit, sie wird zunehmend jeden Lebensbereich beeinflussen. Auch die Deutschen werden sich nicht ewig verstecken können in einem bisher recht angenehmen Klima in einer privilegierten wirtschaftlichen Lage.
Die Klimakrise wird die globalen Spielregeln verändern
Am Rande einer Veranstaltung antwortet Frans Timmermans, Vize von Ursula von der Leyen in der EU-Kommission und Kommissar für Klimaschutz, auf die Frage, ob die Vorreiternationen in der Klimakrise politisch und wirtschaftlich an Bedeutung verlieren: "Ich glaube das schon. Wir haben jetzt schon zu viel Zeit verschlafen, das können wir uns nicht mehr leisten." Er betont, wie wichtig eine klimafreundliche Transformation der Wirtschaft für den Wohlstand vieler Staaten ist.
Timmermans sagt auch, er spüre bei der Konferenz, dass einige Länder daran zweifeln, ob die Klimakrise bewältigt werden kann, ob sie die Bedingungen dafür erfüllen. Vorreiternationen, wie etwa die Mitglieder der EU mit ihrem "Green Deal" könnten als positive Beispiele vorangehen und so den Unterschied machen, appelliert der Klimaprofi. So würden sie auch ihre einflussreiche Stellung in der Welt behalten.
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Am Abend tritt das Plenum erneut zusammen, die Abschlusssitzungen beginnen. Am Freitag soll es konkrete Ergebnisse geben, die das weltweite Miteinander beeinflussen werden. Noch ist Zeit zum Handeln. Für Deutschland und die Welt. Aber die Zeit rennt, das sagt auch Frans Timmermans. "Wir müssen mit unseren Plänen schnell vorankommen, denn auf der nächsten Klimakonferenz in Glasgow wird sich entscheiden, wie wir in den nächsten Jahrzehnten weiterleben."
Moderne Sitzmöbel und coole Kaffeebecher sollten dann nicht Deutschlands sichtbarster Beitrag zur Weltklimakonferenz sein.
- Recherche vor Ort