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Warum Greta Thunberg den Friedensnobelpreis nicht gewonnen hat


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Friedensnobelpreis
Warum Greta Thunberg nicht gewonnen hat


Aktualisiert am 11.10.2019Lesedauer: 4 Min.
Greta Thunberg: Die Klimaschutzaktivistin hat eine weltweite Bewegung begründet.Vergrößern des Bildes
Greta Thunberg: Die Klimaschutzaktivistin hat eine weltweite Bewegung begründet. (Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa)
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Das Nobelpreiskomitee macht wieder Politik: Es hatte die Wahl zwischen zwei logischen Kandidaten. Dafür, dass es nicht Greta Thunberg wurde, gibt es gute Gründe.

Greta Thunberg bekommt also nicht den Friedensnobelpreis. Die 16-jährige Klimaschutzaktivistin war zuvor als eine Favoritin gehandelt worden. Ausgezeichnet wird der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed. Auch sein Name wurde immer wieder genannt.

Tatsächlich wäre Greta Thunberg eine logische Wahl gewesen – aber Abiy Ahmed ist es auch.

Laut Alfred Nobels Vermächtnis soll den Preis derjenige erhalten, "der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat." Die übergeordnete Idee: Der Preis soll an diejenigen gehen, "die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben."

Kinder dieser Welt erfahren sich als Einheit

Thunberg hat es geschafft, eine wirklich internationale soziale Bewegung zu inspirieren, die in mehr als 150 Ländern am selben Tag Millionen Menschen mobilisiert hat, unter demselben Namen, für dasselbe Ziel. Kinder dieser Welt erfahren sich als Einheit. Das ist Verbrüderung der Völker.


Wenn sich die Erde erhitzt, wenn die Konkurrenz um Ressourcen wie Wasser und das Risiko von Missernten steigt und wenn Abermillionen ihre Heimat verlassen müssen, dann steigt auch das Risiko gewaltsamer Konflikte. Aber vor allem leiden und sterben dann Menschen, ganz ohne Panzer und Granaten.

Die kleine Chance bewahren

Thunberg hat es geschafft, ganze Gesellschaften aus ihrer Apathie zu reißen und eine Frage, die das Leben und Überleben aller Menschen jetzt und in Zukunft auf grundlegende Weise berührt, zu einem Gegenstand echter Auseinandersetzung zu machen. Damit hat sie verhindert, dass die Menschheit achselzuckend die eigenen Lebensgrundlagen zerstört. Das macht sie nicht zur Heiligen, nicht zur Prophetin, und es kann sein, dass es schon zu spät ist, die Erhitzung noch auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Aber eine Chance besteht noch und beides ist Abermillionen Menschen heute klarer als vor einem Jahr. Dafür hätte man ihr den Preis verleihen können.

Abiy Ahmed, der selbst vom Regime auf den Posten gebracht wurde, hat in kürzester Zeit massive Reformen in Äthiopien begonnen, die Repression extrem zurückgefahren und vor allem ziemlich abrupt und bedingungslos Frieden mit dem Nachbarstaat Eritrea geschlossen, nach zwei Jahrzehnten und in einem Konflikt, in dem sich wenig besserte. Damit erfüllt auch er das wichtigste Kriterium.

Politische Interventionen

Praktisch zeigt sich in den vergangenen Jahren eine Verschiebung. Der Friedensnobelpreis war seltener eine Würdigung eines abgeschlossenen Friedensprojekts oder eines Lebenswerks – und oft eine politische Intervention in einen laufenden Prozess. Wer dabei ist, die Welt besser und friedlicher zu machen, bekommt den Friedensnobelpreis häufig als Unterstützung, um mit noch mehr Gewicht für die eigenen Pläne eintreten zu können. Und als Schutz.

So wurde das freilich nie formuliert, aber man kann das an der Liste der Preisträger erkennen.

Zusätzliche Legitimation

Barack Obama etwa bekam den Preis 2009 für das bloße Versprechen, sich für nukleare Abrüstung einzusetzen. Die EU erhielt den Preis im Jahr 2012 zwar für sechzig Jahre Frieden und Versöhnung, aber das dann doch genau in einer Zeit, in der die Union an der Finanz- und Griechenlandkrise zu zerbrechen drohte, als immer wieder öffentlich darüber nachgedacht wurde, ob Griechenland ausgeschlossen werden müsse.

Ein Jahr später, 2013, wurde die Organisation für das Verbot chemischer Waffen ausgezeichnet, nur Wochen nach einem wahrscheinlichen Gasangriff im syrischen Ghouta nahe Damaskus und Monate vor einer Einigung, die garantieren sollte, dass die syrischen Chemiewaffenbestände außer Landes geschafft und vernichtet werden. Man ahnte, dass man sie bald wieder brauchen würde – und gab ihr zusätzliche Legitimation und Aufmerksamkeit mit.

Im Jahr 2016 erhielt der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos den Preis für seine Bemühungen, den damals längsten andauernden Bürgerkrieg der Welt zu befrieden – wenige Tage, nachdem sein Friedensabkommen in einem Referendum vorerst gescheitert war.

Größeres Risiko, größere Hilfe

Außerdem ist da noch die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die bisher jüngste Friedensnobelpreisträgerin. Sie überlebte im Oktober 2012 ein Attentat, begann erst im Sommer 2013 wieder öffentlich aufzutreten, und bekam dann ein Jahr später mit 17 Jahren den Nobelpreis. Für ihre Arbeit vor Ort, aber mindestens ebenso sehr auch für das, was sie für viele Menschen weltweit ist: ein Vorbild, eine Inspiration. Und für alles, was da noch kommen kann, wenn man sie nur lässt.

Thunberg passte insofern genau ins Muster: Sie hat ein Anliegen – und sie kann jede Hilfe brauchen, damit sie nicht nur gelobt, sondern auch gehört wird. Und sie wäre eine Kandidatin mit geringem Risiko gewesen: Sie ist berühmt, aber nicht in einer Machtposition, die sie missbrauchen könnte. Dass in einigen Jahren die Frage aufkommt, wie es passieren konnte, dass ausgerechnet sie den Preis erhält, ist unwahrscheinlich.

Am Beispiel von Aung San Suu Kyi, die als Dissidentin den Preis bekam, mittlerweile Regierungschefin von Myanmar, lässt sich das Risiko zeigen: Sie regiert jetzt mit der Auszeichnung "Friedensnobelpreisträgerin", aber nimmt die brutale Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya hin.


Das Risiko, dass so etwas passieren könnte, ist mit Abiy Ahmed größer, als es mit Thunberg gewesen wäre. Er ist immer noch Teil einer autoritären Regierung, die sich gerade erst zu öffnen beginnt. Zumal es immer noch Kritik an Menschenrechtsverletzungen unter seiner Regierung gibt.

Allerdings ist sein Status prekärer, nicht nur seine Macht, auch sein Leben ist gefährdet: Auf Abiy Ahmed wurde bereits ein Attentat verübt, auch Putschgerüchte gibt es immer wieder. Der Preis kann ein wenig helfen, ihn zu schützen.

Thunberg und Abiy Ahmed wären beide logische Kandidaten gewesen, denen der Preis helfen kann, ihre politischen Ziele umzusetzen. Das Nobelpreiskomitee hatte die Wahl zwischen einer, die dem Preis kaum schaden und einem, dem der Preis noch mehr helfen kann. Es hat sich wieder einmal für die größtmögliche politische Hilfeleistung entschieden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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