Vor der libyschen Küste 100 Vermisste nach Untergang von Flüchtlingsboot
In Brüssel einigt sich die EU auf eine Verschärfung ihrer Asylpolitik. Fast zeitgleich sinkt vor der libyschen Küste ein Boot mit 120 Flüchtlingen an Bord.
Mitten in der Debatte um die Verbannung von privaten Seenotrettern sind möglicherweise wieder etwa 100 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Ein Boot mit mehr als 100 Migranten an Bord sei vor der Küste Libyens gekentert, teilte die libysche Marine am Freitag mit. 14 Menschen seien gerettet worden.
Das Schlauchboot sei am Morgen von der Küste bei Garaboulli rund 50 Kilometer östlich von Tripolis aus in See gestochen, sagten Überlebende AFP. Wenige Stunden später habe sich eine Explosion an Bord ereignet und der Motor sei in Brand geraten. Das Schiff habe Wasser aufgenommen. Verzweifelte Insassen hätten sich an einem Teil des Bootes oder Treibstoffkanister geklammert. Laut Küstenwache wurden sie von Fischern entdeckt, die die Marine alarmierten. Laut Zeugen waren viele marokkanische Familien und Jemeniten an Bord des Flüchtlingsbootes, darunter neben Babys auch mehrere Kinder und zahlreiche Frauen.
Tödlichste Woche des Jahres
Die Küstenwache barg nach eigenen Angaben zunächst drei tote Babys. Weitere Opfer hätten bislang nicht geborgen werden können, weil es dafür keine ausreichend großen Rettungsboote gebe. "Es ist noch nicht klar, ob die 100 ertrunken sind", sagte der Sprecher der Marine dpa. Wie viele Menschen genau an Bord waren, ist unklar.
Die vergangene Woche ist laut Ärzte ohne Grenzen mit mindestens 220 Ertrunkenen die tödlichste im Mittelmeer in diesem Jahr gewesen – da war das neue Unglück noch nicht bekannt. Dies fällt direkt mit der Blockade privater Schiffen von Hilfsorganisationen auf dem zentralen Mittelmeer zusammen.
"Durch ausländische Mächte finanziert"
Zuerst durfte die "Aquarius" von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée mit rund 600 Migranten an Bord nicht mehr in Italien anlegen. Sie musste nach Spanien ausweichen. Dann saßen etwa 230 Flüchtlinge und 17 deutsche Crewmitglieder der Dresdner Organisation Mission Lifeline fast eine Woche auf dem Meer fest, weil sie nirgends anlegen durften. Nach langem Hin und Her konnte das Schiff nach Malta – gegen den Kapitän wird dort ermittelt.
Doch nicht nur Schiffe mit schon Geretteten an Bord sollen nach Meinung der neuen populistischen Regierung in Rom nicht mehr nach Italien. Die Schiffe sollen dort auch nicht mehr zum Tanken oder zur Versorgung anlegen dürfen, verkündete Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega am Freitag. "Die ausländischen Schiffe, auf dunkle Art und Weise durch ausländische Mächte finanziert, werden in Italien keinen Boden berühren."
Malta schottet sich zunehmend ab
Auch Malta verschärft die Gangart gegen die NGOs, von denen zum Beispiel die deutsche Sea-Watch ihre Basis auf der Mittelmeerinsel hat. So dürfen Schiffe mit ähnlicher Registrierung wie die "Lifeline" nicht mehr die Häfen benutzen, wie die Regierung ankündigte.
Das ist zwar noch kein generelles Hafenverbot für die Seenotretter. Aber dass sich Malta abschottet, zeigt auch der Fall der "Aquarius": Die durfte zum Crew-Wechsel nicht an der Insel anlegen und musste den tagelangen Umweg nach Marseille in Frankreich fahren. In drei Wochen habe das Schiff nur drei Tage im Rettungsgebiet vor Libyen verbringen können, schrieb SOS Méditerranée auf Twitter.
Folter, Vergewaltigungen, Versklavung
Wochen, in denen viele Menschen auf der Flucht nur den Tod im Meer finden: "Europäische Grenzen geschlossen, NGO-Schiffe blockiert. Die europäische Politik verdammt Menschen dazu, in Libyen gefangen zu bleiben oder zu ertrinken", schrieb Ärzte ohne Grenzen. In den Lagern, in denen viele Migranten im Bürgerkriegsland Libyen gefangen gehalten werden, sind sie laut Menschenrechtsorganisationen Folter, Vergewaltigungen und Versklavung ausgesetzt.
Libyen ist das Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, die über das Mittelmeer in die Europäische Union gelangen wollen. Vom Westen Libyens aus ist Italien nur etwa 300 Kilometer entfernt.
- dpa, AFP